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Nicht, daß es im Postamt von Crozet viel zu stehlen gab - Briefmarken, ein paar Dollar. Aber Harry befolgte die Vor­schriften gewissenhaft, da sie Staatsbeamtin war, eine Tatsache, die sie unendlich amüsierte. Sie hatte für die Bundesregierung nicht viel übrig und konnte die Staatsregierung kaum ertragen, die sie als Eldorado der Kleingeister betrachtete. Aber immer­hin wurde sie von dem aufgeblähten Regierungsapparat am Nordufer des Potomac bezahlt, also bemühte sie sich, ihre Mei­nung für sich zu behalten.

Miranda Hogendobber dagegen erinnerte sich noch lebhaft an Franklin Delano Roosevelt, weshalb sie eine viel positivere Einstellung zur Regierung hatte als Harry. Daß Miranda sich an FDR erinnerte, bedeutete aber noch lange nicht, daß sie ihr Al­ter preisgab.

An diesem Julitag waren die Mimosen von den rosa-goldenen Heiligenscheinen ihrer zarten Blüten umkränzt. Myrten und Hortensien übersäten die Stadt, hier mit purpur- und magentaro­ten, dort mit weißen Sprenkeln. Weil sonst nicht viel blühte in diesen schwülen Hundstagen, die am dritten Juli begannen und am fünfzehnten August endeten, war man dankbar für diese Farben.

Bislang waren in diesem Monat keine fünf Zentimeter Regen gefallen. Die Schneeballsträucher ließen die Köpfe hängen. Selbst der widerstandsfähige Hartriegel fing an, sich einzurol­len, und Mrs. Hogendobber sprengte ihre Pflanzen frühmorgens und spätabends, damit nicht zuviel Feuchtigkeit durch Verdun­stung verlorenging. Ihr Garten, um den sie die ganze Stadt be­neidete, zeugte von ihrer wachsamen Fürsorge.

Als die Post sortiert war, gönnten sich die beiden Frauen ihre morgendliche Teepause. Genauer gesagt, Tee für Harry, Kaffee für Miranda. Mrs. Murphy saß auf der Zeitung. Tucker schlief im hinteren Bereich des Postamts unter dem Tisch.

»Ist heute Honigtag oder Zuckertag, Mrs. H.?« fragte Harry, als das Wasser kochte.

»Honigtag.« Miranda lächelte. »Mir ist nach Natursüße.«

Harry verdrehte die Augen und ließ einen dicken Klacks Ho­nig von dem Spiralstab tropfen, der in dem Honigtopf aus brau­ner Keramik steckte. Dann nahm sie den Teebeutel aus ihrem Becher, wickelte den Faden um den Löffel, um die letzten Trop­fen starken Tees auszudrücken. Der Henkel ihres Bechers hatte die Form eines Pferdeschweifs, das übrige stellte Leib und Kopf des Pferdes dar. Mirandas Becher war weiß und trug in Block­buchstaben die Aufschrift SAG JA zu NEIN.

»Mrs. Murphy, ich würde gerne die Zeitung lesen.« Miranda hob sacht das Hinterteil der Tigerkatze an und zog die Zeitung unter ihr weg.

Mrs. Murphy legte die Ohren an und quittierte das Ansinnen mit einem empörten Murren. »Ich steck meine Pfoten auch nicht an deinen Hintern, Miranda, und außerdem steht nie was Le­senswertes in der Zeitung.« Sie stapfte zu der kleinen Hintertür und marschierte hinaus.

»Hat die aber schlechte Laune.« Miranda setzte sich und über­flog die Titelseite.

»Was sagt die Schlagzeile?« fragte Harry.

»Zwei Verletzte auf der I-64. Was noch? Oh, dieser Thread­needle-Virus droht am ersten August unsere Computer zu infi­zieren. Es wäre mir sehr recht, wenn unser neuer Computer todkrank wäre.«

»Ach was, der ist doch gar nicht so schlimm.« Harry griff nach dem Sportteil.

»Schlimm?« Mrs. Hogendobber schob ihre Brille hoch.

»Wenn ich auch nur eine Kleinigkeit in der falschen Reihen­folge mache, erscheint ein barsches Kommando auf diesem widerwärtigen grünen Bildschirm, und ich muß wieder ganz von vorne anfangen. Es gibt da viel zu viele Tasten. Moderne Errungenschaften! Zeitverschwender, das sind sie, Zeitver­schwender, die sich als Zeitsparer verkleiden. Ich kann mir in meinem Oberstübchen mehr merken als so ein Computerchip. Und können Sie mir sagen, wozu wir im Postamt einen Compu­ter brauchen? Wir brauchen eine gute Waage und einen guten Freistempler. Die Briefe kann ich selber stempeln!«

Als Harry sah, daß Miranda mal wieder in Maschinenstürmer­laune war, hielt sie es für das klügste, ihr nicht zu widerspre­chen.

»Nicht alle, die im Postdienst arbeiten, sind so schlau wie Sie. Die können sich nicht so viel merken. Für sie ist der Computer ein Geschenk des Himmels.« Harry reckte den Hals, um das Foto von dem Autounfall zu sehen.

»Das haben Sie hübsch gesagt.« Mrs. Hogendobber trank ih­ren Kaffee. »Wo Reverend Jones nur bleibt? Gewöhnlich ist er um diese Zeit hier. Alle anderen waren pünktlich.«

»Tausend Jahre sind vor dem Herrn wie ein Tag. Eine Stunde ist für den Reverend wie eine Minute.«

»Hüten Sie Ihre Zunge.« Miranda, tiefgläubig, auch wenn sie ihren Glauben gelegentlich den Umständen anzupassen pflegte, drohte mit dem Finger. »Wie Sie wissen, machen wir uns in der Kirche zum heiligen Licht< nicht über die Heilige Schrift lu­stig.« Miranda gehörte einer kleinen Kirchengemeinde an. Tat­sächlich waren es Abtrünnige der Baptistenkirche. Vor zwanzig Jahren war ein neuer Pfarrer gekommen, der viele Gemeinde­mitglieder zur Weißglut brachte. Nach vielem Hin und Her spalteten sich die Unzufriedenen nach altehrwürdiger Tradition ab und gründeten ihre eigene Kirche. Mrs. Hogendobber, die große Stütze des Chors, war bei der Abspaltung eine treibende Kraft gewesen. Als der unbeliebte Pfarrer sechs Jahre nach dem Aufstand seine Sachen packte und die Stadt verließ, waren die Angehörigen der Kirche zum heiligen Licht< so mit sich zufrie­den, daß sie sich weigerten, in den Schoß der Ursprungskirche zurückzukehren.

Ein leises Tappen am Hintereingang verkündete den Eintritt einer Katze. Mrs. Murphy kehrte zur Gruppe zurück. Ein laute­res Tappen zeigte an, daß sie Pewter im Schlepptau hatte.

»Hallo«, rief Pewter.

»Hallo, Miezekätzchen«, erwiderte Mrs. Hogendobber das Miauen. Als Harry damals den Posten von Mr. Hogendobber übernahm und Katze und Hund mitbrachte, hatte Miranda ge­gen die Tiere gewettert. Die Tiere eroberten sie allmählich; wenn man Miranda jedoch fragte, was sie von Menschen hielt, die mit Tieren sprachen, behauptete sie steif und fest, so etwas würde sie niemals tun. Die Tatsache, daß Harry täglich Zeugin ihrer Gespräche war, bewog sie keineswegs, von ihrer Behaup­tung abzulassen.

»Tucker, Pewter ist da«, sagte Mrs. Murphy.

Tucker machte ein Auge auf und wieder zu.

»Ich werd mich hüten, dir das Neueste zu erzählen.« Pewter leckte sich gemächlich die Pfote.

Beide Augen gingen auf, und die kleine Hündin hob den hüb­schen Kopf. »Hä?« »Mit dir sprech ich nicht. Du läßt dich ja nicht mal herab, mich zu grüßen, wenn ich zu Besuch komme.«

»Pewter, du verbringst dein halbes Leben hier drin. Ich kann doch nicht so tun, als hätte ich dich monatelang nicht gesehen«, erklärte Tucker.

Pewter schnippte mit dem Schwanz, dann sprang sie auf den Tisch. »Gibt's was zu essen?«

Mrs. Murphy lachte. »Schwein.«

»Was können sie schlimmstenfalls sagen, wenn man fragt? Höchstens nein«, sagte Pewter. »Aber sie könnten auch ja sa­gen. Mrs. Hogendobber muß was haben. Sie kommt doch nicht mit leeren Händen ins Postamt.«

Die Katze kannte ihre Nachbarin gut; tatsächlich hatte Mrs. Hogendobber einen Schwung glasierte Doughnuts mitgebracht. Sobald Pewters Pfoten den Tisch berührten, wollte Harry die Leckereien mit einer Serviette zudecken, aber zu spät. Pewter hatte ihre Beute erspäht. Sie krallte sich ein Stück Doughnut, köstlich feucht und frisch. Die Katze flitzte mit ihrer Beute vom Tisch auf den Boden.

»Diese Katze stirbt noch mal an Herzversagen. Ihr Choleste­rinspiegel muß höher sein als der Mount Everest.«

»Haben Katzen auch Cholesterin?« wunderte sich Harry laut.

»Wieso nicht? Fett ist Fett...«

Bei dieser Bemerkung schritt Reverend Herbert Jones durch die Tür. »Fett? Machen Sie sich über mich lustig?«

»Nein, wir sprachen über Pewter.«