»Sieht ganz so aus.« Harry hatte Susan den Hörer hingehalten, so daß sie alles mitbekam.
»Kopf hoch, Coop«, ermunterte Susan sie.
»Wird schon gehen. Ich lasse bloß Dampf ab«, sagte sie. »Hören Sie, danke für Ihre Hilfe. Wir sehen uns bald.«
»Klar. Bis dann.«
»Bis dann.«
Harry legte auf. »Arme Coop.«
»Auch das geht vorbei.«
»Das weiß ich. Sie weiß es auch, aber ich will nicht, daß mein Geld dabei flötengeht. Ich hab mein Geld auf der Crozet National Bank. Nicht viel, aber es ist alles, was ich habe.«
»Mir geht's genauso.« Susan stützte tief in Gedanken das Kinn in die gewölbte Hand. Kurz darauf fragte sie: »Du wirst langsam richtig gut am Computer, nicht?«
Harry nickte.
Susan fuhr fort: »Ich bin auch nicht schlecht. Das war sozusagen Notwehr, weil Danny und Brookie ständig an dem Ding sitzen. Anfangs habe ich gar nicht verstanden, wovon sie redeten. Es ist wirklich toll, daß sie das alles in der Schule lernen. Für sie gehört es einfach zum Alltag.«
»Willst du an den Computer der Crozet National Bank ran?«
»Du hast es erraten«, sagte Susan grinsend. »Aber wir können da nicht rein. Hogan wäre vielleicht einverstanden, aber Norman Cramer würde sterben, wenn jemand seine Schätzchen anrührt. Ich nehme an, seine Mitarbeiter wären auch nicht gerade begeistert. Wenn wir was verpfuschen würden, was dann?«
»Das hat schon jemand anders für uns besorgt«, sagte Harry. »Wir könnten uns natürlich reinschleichen.«
»Harry, du bist verrückt. Die Bank hat eine Alarmanlage.«
»Ich könnte mich reinschleichen«, prahlte Mrs. Murphy; sie hatte die Ohren nach vorn gestellt, ihre Augen blitzten.
»Sie könnte das. Laßt sie das machen«, pflichtete Tucker ihr bei.
»Ihr Kerlchen habt wohl schon wieder Hunger.« Harry tätschelte Tuckers Kopf und rieb ihre langen Ohren.
»Immer wenn wir was sagen, denkt sie, wir wollen austreten oder essen.« Mrs. Murphy seufzte. »Tucker, wir können allein in die Bank gehen.«
»Wann willst du hin?«
»Morgen nacht.«
21
Dichter Nebel hüllte die Gebäude ein. Die Innenstadt von Crozet wirkte verzaubert in der trüben, milden Nacht. Mrs. Murphy und Tucker verließen das Haus um halb zwei, als Harry fest schlief. Sie trabten in gleichmäßigem Schritt und kamen um zwei Uhr bei der Bank an.
»Du bleibst draußen und bellst, wenn du mich brauchst.«
»Und wenn du mich brauchst?« fragte Tucker vorsorglich.
»Mir passiert schon nichts. Ob Pewter wohl wach ist? Sie könnte uns helfen.«
»Wenn sie schläft, dauert es zu lange, um sie in die Gänge zu kriegen.« Tucker kannte die graue Katze nur zu gut.
»Da hast du recht.« Die Tigerkatze schnupperte. Ein Duft von Parfüm hing in der schweren Luft. »Riechst du das?«
»Ja.«
»Wieso hier?«
»Weiß ich nicht.«
»Also, ich geh jetzt rein. « Mit hochgerecktem Schwanz ging die Katze zum Hintereingang mit den alten Holzstufen. Einige Ziegel im Fundament hatten sich mit den Jahren gelockert, und ein Loch, groß genug für eine Katze, ein Opossum oder einen mutigen Waschbär, kam Mrs. Murphy gelegen. Sie stellte die Schnurrhaare nach vorn, lauschte gespannt, dann sprang sie in den Keller hinunter. Geschwind rannte sie die Treppe hinauf ins Erdgeschoß. Wieder roch sie das Parfüm, jetzt viel stärker. Sie sprang auf den kühlen Marmortresen vor den Kassenschaltern und marschierte bis ans Ende des Tresens. Das teppichbelegte Treppenhaus, das in das erste Stockwerk führte, war ganz nahe. Sie folgte ihrer Nase bis zur Treppe, nahm lautlos zwei Stufen auf einmal. Das einzige Geräusch machten ihre Krallen, die in dem Teppich Halt suchten.
Als sie sich dem oberen Treppenabsatz näherte, hörte sie Menschenstimmen, leise, eindringlich. Sie machte sich ganz flach und schlich durch den Flur. So kam sie zu Hogans Büro, wo Norman Cramer und Kerry McCray im Dunkeln auf dem Boden saßen. Sie erstarrte.
». zu machen.« Normans Stimme klang rauh.
»Laß dich scheiden.«
»Sie wird niemals einwilligen.«
»Norman, was glaubst du, was sie tun wird - dich umbringen?«
Er lachte nervös. »Sie ist leidenschaftlich in mich verliebt, das sagt sie jedenfalls, aber ich glaube nicht, daß sie mich wirklich liebt. Sie liebt die Vorstellung von einem Ehemann. Wenn niemand in der Nähe ist, kommandiert sie mich herum, als ob ich ein Idiot wäre. Und wenn sie mich nicht herumkommandiert, übernimmt Ottoline die Zügel.«
»Sag ihr einfach, es funktioniert nicht mit euch, so leid es dir tut.«
Er seufzte. »Ja, ja, ich kann's versuchen. Ich weiß nicht, was mit mir los war. Ich weiß nicht, warum ich dich aufgegeben habe. Aber es war, als hätte ich Malaria oder so was. Irgendein Fieber. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.«
Den Teil der Geschichte wollte Kerry eigentlich gar nicht hören. »Du mußt es ganz deutlich machen. Sag einfach >tut mir leid, ich will die Scheidung<; das ist ein guter Anfang. Okay, sie wird die Beherrschung verlieren und dich in der ganzen Stadt schlechtmachen. Das tun alle, wenn sie sich trennen, oder fast alle.«
»Ja - ja, ich weiß. Bloß, ich steh im Augenblick unter einem unheimlichen Druck. Der Schlamassel hier in der Bank. Ich weiß nicht, ob ich zwei Krisen auf einmal verkraften kann. Ich muß die eine bewältigen, bevor ich die andere in Angriff nehme. Ich halte dich nicht hin. Ich liebe dich, das weiß ich jetzt. Ich habe dich immer geliebt, und ich will den Rest meines Lebens mit dir verbringen, aber kannst du nicht warten, bis ich hier alles aufgeklärt habe? Bitte, Kerry. Bitte, du wirst es nicht bereuen.«
»Ich.« Sie fing an zu weinen. »Ich will's versuchen.«
»Ich liebe dich, wirklich.« Er legte den Arm um sie und küßte sie.
Mrs. Murphy, den Bauch am Boden, ging leise ein paar Schritte rückwärts, erst dann drehte sie sich um und schlich auf Zehenspitzen durch den Flur zur Treppe. Sobald sie im Erdgeschoß war, sauste sie in diesem Heiligtum des Geldes über das blankpolierte Parkett, huschte wieder in den Keller und quetschte sich durch das Loch ins Freie.
Vor lauter Erleichterung, ihre Freundin zu sehen, hopste Tucker auf ihren Stummelbeinen auf und ab.
»Kerry und Norman sind da drin, sie flennen und küssen sich. Verdammt.« Mrs. Murphy setzte sich hin und legte ihren Schwanz um sich, denn die Luft war jetzt recht kühl.
»Wo sind ihre Autos?« Tucker war neugierig. »Sie mußten sie verstecken. Hier kennt doch jeder jeden. Stell dir bloß mal vor, Reverend Jones oder sonstwer würde vorbeifahren und ihre Autos vor der Bank stehen sehen. Ich will wissen, wo sie die versteckt haben.«
»Ich auch.« Mrs. Murphy atmete die kühle Luft ein. »Ich hasse Dreiecksverhältnisse. Einer kommt immer zu kurz.«
»Meistens alle drei«, bemerkte der Hund weise. »Komm. Laß uns in der Gasse hinter dem Postamt nachgucken.«
Sie überquerten eilig das Bahngeleise. Ihre Mühe wurde nicht belohnt: Kein Wagen parkte auf der anderen Seite.
»Wenn du ein Mensch wärst, wo würdest du deinen Wagen abstellen?« fragte die Katze. »Unter oder hinter etwas, das entweder nicht benutzt oder nicht beachtet wird.«
Sie überlegten eine Weile.
»Hinter Berrymans Werkstatt stehen immer Autos. Sehen wir mal nach.«