Sie kehrten zur Railroad Avenue zurück und liefen in westlicher Richtung.
An der Eisenbahnunterführung bogen sie nach Süden ab auf die Route 240. Die kleine Werkstatt, die frisch gestrichen war, befand sich an der nächsten Ecke.
Hinter den Autos, die darauf warteten, repariert zu werden, war Normans Audi geparkt.
»Treffer Nummer eins!« kläffte Tucker.
»Wir sollten lieber machen, daß wir nach Hause kommen. Wenn wir um die Stadt kreisen, um Kerrys Wagen zu suchen, sind wir bis Tagesanbruch nicht zurück. Mom würde sich Sorgen machen. Ein Auto haben wir gefunden, das genügt fürs erste.«
Schritte in der Ferne schreckten sie auf. Norman Cramer war auf dem Weg in ihre Richtung.
»Psst, hierher.« Mrs. Murphy deutete auf einen Transporter, unter den sie mühelos kriechen konnten.
Sie spähten hinaus, rührten sich aber nicht. Norman wischte sich die Augen, öffnete leise die Fahrertür, stieg ein, ließ den Motor an und fuhr ungefähr eine halben Häuserblock weit ohne Licht, bevor er die Scheinwerfer einschaltete.
»Der sieht ja aus wie der lebendige Tod«, sagte Tucker.
Sie schafften es, bis Sonnenaufgang zu Hause zu sein. Als Harry sie fütterte, bemerkte sie Schmiere auf Tuckers Rücken. »Verdammt, Tucker, hast du wieder unter dem Transporter gespielt? Jetzt muß ich dich baden.«
»O nein!« Tucker sagte winselnd zu Murphy: »Da siehst du, was du mir eingebrockt hast!«
22
»Für wie blöd hältst du mich eigentlich?« Aysha schob schmollend die Unterlippe vor. »Du warst gestern abend nicht im Büro.«
»War ich wohl.«
»Lüg mich nicht an, Norman. Ich bin an der Bank vorbeigefahren, und dein Auto war nicht da.«
»Ich war bis halb elf dort.« Er betete inständig, daß sie nicht vorher vorbeigefahren war, aber da sie an einer Besprechung in Ash Lawn teilgenommen hatte, bei der es um die Beschaffung weiterer Spendengelder ging, rechnete er sich aus, daß sie nicht vor halb elf oder elf dort weggekommen war. »Dann hab ich Hogan Freely die Papiere vorbeigebracht, und er wollte mit mir reden. Ich konnte meinem Chef nicht gut den Stinkefinger zeigen, oder?«
Mit hochrotem Gesicht griff Aysha zum Telefon und wählte. »Laura, hallo, Aysha Cramer. Ich rufe in Normans Auftrag an. Er meint, er hat gestern abend bei seiner Besprechung mit Hogan seinen Mark-Cross-Füller bei Ihnen liegenlassen. Haben Sie ihn gefunden?«
»Nein. Moment, ich frag Hogan, er ist gerade hier.« Laura kam wieder ans Telefon. »Nein, er hat auch nichts gefunden.«
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie gestört habe.«
»Das macht doch nichts. Sagen Sie Norman, er soll sich ausruhen.«
»Ich richte es aus, und haben Sie vielen Dank. Wiedersehen.« Sie legte den Hörer sorgfältig auf, dann sah sie ihren Mann an. »Ich muß mich entschuldigen. Du bist dort gewesen.«
»Liebeleien, was ist los mit dir? Alles wird gut. Ich werde weder weglaufen noch mit einem Herzanfall zusammenbrechen oder was immer es ist, weswegen du dir Sorgen machst. Wir stehen beide unter Druck. Laß uns versuchen zu entspannen.«
»Es ist Kerry, ich mach mir Sorgen wegen Kerry! Ich weiß, du kannst den Job in den Griff kriegen, aber ich weiß nicht, ob.«
Er legte seine Arme um ihre Taille und koste mit den Lippen ihren Hals. »Ich hab dich geheiratet, oder?«
23
»Nie, nie wieder werde ich mit dir reden!« zischte Mrs. Murphy.
»Nur einmal noch«, gurrte Dr. Parker, als sie der Katze die Tollwutimpfung verpaßte. »So, das hätten wir mal wieder.«
Die Ohren flach angelegt, machte Mrs. Murphy einen Buckel, dann schoß sie vom Behandlungstisch und raste durch das Zimmer.
»Murphy, beruhige dich.«
»Du hast mich angelogen, um mich hierherzukriegen«, heulte Mrs. Murphy.
Die Ärztin prüfte ihre Nadeln. »Sie hört gleich auf. Das macht sie einmal im Jahr, und ich nehme an, nächstes Jahr tut sie's wieder.«
»Ich werd dran denken, wenn das Jahr um ist. Dann steig ich nicht in den Wagen.« Murphy setzte sich, die Ohren immer noch angelegt, mit dem Rücken zu den Menschen.
»Komm«, redete Harry ihr zu.
Die geschmeidige Tigerkatze wollte sich nicht von der Stelle rühren oder ihrer Freundin auch nur das Gesicht zuwenden. Menschen zeigen die kalte Schulter. Katzen zeigen den kalten Körper.
Harry schob ihr eine Hand unter das Hinterteil, legte die andere um ihren Brustkasten und hob sie hoch. »Du warst ein tapferes Mädchen. Jetzt fahren wir nach Hause.«
Als sie in die Stadt zurückfuhren, starrte Mrs. Murphy aus dem Fenster, immer noch mit dem Rücken zu Harry.
»Schau, Murphy, ich find's grauenhaft, wenn du deinen Koller kriegst. Die Spritzen sind zu deinem Besten. Nach dem, was du und Tucker letztes Jahr angestellt habt, kann ich euch unmöglich zusammen zu Dr. Parker schleppen. Es hat mich 123 Dollar gekostet, die Vorhänge in ihrem Wartezimmer zu ersetzen. Weißt du, wie lange ich arbeiten muß, um 123 Dollar zu verdienen? - Ich.«
»Ach, halt die Klappe. Ich will nichts davon hören, wie arm du bist. Mein Hinterteil tut weh.« »Heul doch nicht so. Murphy - Murphy, schau mich an.« Die Katze sprang herunter und kauerte sich auf den Boden.
Harry hob die Stimme. »Wag es bloß nicht, ins Auto zu pinkeln. Ich warne dich.« Sie fuhr schleunigst an den Straßenrand, stieg aus und machte die Beifahrertür auf. Sie nahm Murphy auf den Arm und ging mit ihr in ein Feld. »Wenn du mußt, mach hier.«
»Ich werde nicht tun, was du mir sagst.« Murphy hockte sich zwischen die Gänseblümchen.
Als Harry in Crozet ankam, waren Katze und Mensch total geschlaucht. Harry hielt vor Markets Laden. Als sie die Autotür öffnete, drückte sich Mrs. Murphy fix an ihr vorbei und rannte zur Ladentür.
»Mach auf, Pewter, mach auf. Sie foltert mich!«
Harry stieß die Glastür auf, und die Katze rannte zwischen ihren Beinen durch. Als Pewter das Klagen hörte, lief sie zu ihr, um ihre Nase zu berühren und sie tröstend zu beschnuppern.
»Was ist passiert?«
»Dr. Parker.«
»Oh.« Pewter leckte Mrs. Murphy mitfühlend die Ohren. »Das tut mir leid. Ich bin nach diesen ekligen Spritzen immer einen ganzen Tag krank.«
»Einmal, bloß ein einziges Mal will ich mit Harry zum Arzt gehen und zusehen, wie sie eine Spritze verpaßt kriegt.« Murphy plusterte den Schwanz auf.
»Arm oder Hintern?«
»Beides! Soll sie leiden. Dann kann sie nicht sitzen, und ich will sehen, wie sie einen Heuballen hochwuchtet.« Murphy leckte sich die Lippen. »Wenn sie die Tür aufmacht, laß uns zu Miranda rüberlaufen. Ich will Harry brüllen hören.«
»Wo ist Tucker?«
»Bei Susan.«
»He, sie geht raus. « Murphy folgte Harrys Turnschuh, und als die Tür aufging, flitzte sie hinaus, gefolgt von der nicht ganz so flinken Pewter. »Mir nach. «
Harry dachte, Mrs. Murphy wollte zum Wagen. Als die Katze sich nach links schlängelte, wußte sie, daß an diesem Tag mal wieder alles schiefgehen würde. Sie legte den Salat und die englischen Muffins auf den Autositz und ging den Katzen nach. Würde sie rennen, dann würde Murphy auch rennen, und zwar schneller als sie. Die Missetäterinnen schlenderten gemächlich hinter das Postamt.
»Murphy!« rief Harry, als sie die Gasse erreichte. Sie konnte unter einer blauen Hortensie am Gassenrand einen getigerten Schwanz hervorlugen sehen. Jedesmal, wenn sie Murphys Namen rief, zuckte der Katzenschwanz.
Zwei Autos kamen von beiden Enden der Gasse aufeinander zugefahren, Kerry McCray in einem, Aysha und Norman Cramer in dem anderen. Kerry hielt hinter Markets Laden, und gleich nach ihr kam Hogan Freely, der neben ihr hielt. Norman zögerte einen Augenblick. Zu spät, um abzuhauen. Aysha kochte vor Wut, als Harry ans Fenster trat.