Rick und Cynthia versuchten, sie zu befragen, aber sie konnte nicht einmal eine milde Vernehmung durchstehen.
Rick zog Mim vor dem Postamt, wohin sie beide gefahren waren, um ihre Post abzuholen, beiseite. »Mrs. Sanburne, Sie haben Hogan sein Leben lang gekannt. Können Sie sich vorstellen, daß er in einen Plan verwickelt war, um Leute zu betrügen und.«
Sie fiel ihm ins Wort. »Hogan Freely war der ehrenhafteste und edelmütigste Mensch, den ich je gekannt habe.«
»Nun nehmen Sie es mir doch nicht gleich übel, Mrs. Sanburne. Ich habe zwei Morde am Hals. Ich muß unangenehme Fragen stellen. Es hätte doch sein können, daß er in den Diebstahl verwickelt war, und sein Partner oder seine Partner haben sich gegen ihn gewendet. So etwas ist nicht ungewöhnlich.«
»Entschuldigen Sie, aber Sie müssen mich verstehen. Hogan hat diese Stadt geliebt, und er hat die Arbeit in der Bank geliebt. Wenn Sie die Leute kennen würden, für die er sich eingesetzt hat, die Leute, denen er bei der Gründung ihres Geschäfts geholfen hat - also, er hat ihnen weit mehr bedeutet als nur Geld.«
»Das weiß ich. Er hat mir zu meiner Hypothek verholfen.« Rick hielt Mim die Tür auf, und beide traten ins Postamt.
Mrs. Murphy, die auf dem kleinen Sims hockte, das die Schließfächer teilte, wartete darauf, daß Rick und Mim ihre Fächer aufschlossen.
Rick öffnete seins zuerst, und die Tigerkatze langte in sein Fach und schlug ihm auf die Hand, als er seine Post herausnahm.
»Murphy.« Er ging an den Schalter und spähte bei den Schließfächern um die Ecke.
Mrs. Murphy sah ihn an. »Ich wollte Sie doch bloß aufheitern.«
»Wird die Katze nach mir schnappen?« rief Mim.
Harry hob die Katze von dem schmalen Sims, das sich ideal dafür eignete, die Post in die Schließfachreihen zu sortieren. »Nein, ich hab sie auf dem Arm.«
Tucker sagte, den Kopf auf den Pfoten: »Murphy, im Moment gibt es gar nichts, was die Menschen aufheitern könnte.«
Rick kraulte die Tigerkatze unterm Kinn. »Wenn Tiere doch sprechen könnten. Wer weiß, was sie in der Nacht, als Hogan ermordet wurde, gesehen hat?«
»Ich hab gar nichts gesehen, wegen dem Nebel, und ich hab die Chance verpaßt, das Auto zu identifizieren. So schlau war ich nicht, Sheriff.«
»Du hast es ganz richtig gemacht, Murphy, du hast Hilfe geholt«, lobte Tucker sie.
Rick ging, Mim sagte Harry und Blair Bescheid wegen der Familienzusammenkunft und der Beerdigung, dann ging sie auch.
Harry bewegte sich mit schwerem Schritt. »Ich fühl mich fürchterlich.«
Blair legte den Arm um ihre Schultern. »Das geht uns allen so.«
27
»Wir kommen zu spät.« Norman sah auf die Uhr und ging nervös auf und ab.
»Ich bin fast fertig. Ich hab Kate Bittner im Golfrestaurant getroffen, und du weißt ja, wie sie quasseln kann.«
Er biß sich auf die Zunge. Sie war immer zu spät dran. Jemanden zufällig im Supermarkt getroffen zu haben war eine von ihren Standardausreden. Ein Auto, das in die Zufahrt einbog, lenkte ihn davon ab, Aysha anzutreiben.
Ottoline stieg in vollem Staat aus ihrem Volvo Kombi.
»O nein«, sagte er leise vor sich hin.
Ottoline kam ohne anzuklopfen zur Haustür herein.
»Norman, du siehst elend aus.«
»Ich bin vollkommen erledigt, Ottoline.«
»Wo ist mein Engel?«
»Im Badezimmer, wo sonst?«
Sie blinzelte ihn an, das spitze Kinn vorgeschoben. »Eine Frau muß immer das Beste aus sich machen. Ihr Männer begreift nicht, daß so etwas seine Zeit braucht. Den Mann möchte ich sehen, der sich eine häßliche Frau an seiner Seite wünscht.«
»Aysha könnte niemals häßlich sein.«
»Allerdings.« Sie klapperte durch den Flur. Die Badezimmertür war offen. »Du brauchst andere Ohrringe.«
»Aber Mummy, ich trag diese so gern.«
»Zu bunt. Wir machen einen Beileidsbesuch. Das mag zwar ein gesellschaftliches Ereignis sein, aber es ist keine Party.«
»Aber. «
»Nimm die Tropfenperlen. Sie sind diskret und machen doch etwas her.«
»Na gut.« Aysha marschierte ins Schlafzimmer, nahm ihre emaillierten Ohrringe ab und griff nach den Perlengehängen. »Die hier?«
Norman kam aufgebracht zu ihnen. »Aysha - bitte.«
»Schon gut, schon gut«, erwiderte sie mürrisch.
»Ich hoffe, du wirst jetzt Zweigstellendirektor.« Ottoline inspizierte den Anzug ihres Schwiegersohnes. Er wurde für passabel befunden.
»Jetzt ist nicht die richtige Zeit, daran zu denken.«
Sie schürzte die Lippen. »Glaub mir, andere haben nicht annähernd so viele Skrupel. Du mußt nach Charlottesville und mit Donald Petrus sprechen. Du bist jung, aber für den Job kommt kein anderer in Frage.«
»Ich weiß nicht, ob das stimmt.«
»Tu, was ich dir sage«, schnauzte sie ihn an.
»Es gibt andere mit mehr Dienstjahren«, schnauzte er zurück.
»Alte Weiber.«
»Kerry McCray.«
»Ha!« Damit schaltete sich Aysha in das Gespräch ein. »Sie hat Hogan Freely ermordet.«
»Verdammt, das hat sie nicht. Es wird sich herausstellen, daß sie unschuldig ist.«
Ottoline tappte mit dem Fuß. »Unschuldig oder schuldig. sie ist unerheblich. Du mußt die Chance nutzen, Norman.«
Er sah von seiner Schwiegermutter zu seiner Ehefrau und seufzte.
28
Harry konnte diese schmerzlichen gesellschaftlichen Ereignisse nicht ausstehen, aber sie ging hin. So traurig solche Anlässe waren, jemandem nicht die letzte Ehre zu erweisen bedeutete Mangel an Respekt.
Sie eilte vorn Postamt nach Hause. Miranda war den ganzen Tag zwischen den Postfächern und ihrer Küche hin und her gehetzt. Zum Glück hatte Blair geholfen, das Essen zu den Freelys zu transportieren, und er hatte Miranda einige Besorgungen abgenommen, denn die Post, eine ungewöhnlich schwere Ladung für einen Mittwoch, hatte sie mehr ans Postamt gefesselt, als ihr lieb war.
Sobald Harry zu Hause war, sprang sie unter die Dusche, trug Wimperntusche und Lippenstift auf. Bei ihren kurzgeschnittenen Naturlocken genügte es, wenn sie nur rasch mit den Fingern durchfuhr, solange sie naß waren.
»Was macht sie da drin?« Tucker wälzte sich träge auf der Erde und blieb mit dem Bauch nach oben liegen.
»Sich aufdonnern.«
»Ob sie an Rouge gedacht hat? Das vergißt sie jedes zweite Mal«, bemerkte Tucker.
»Ich geh mal nachsehen.« Mrs. Murphy tappte leise in das kleine Badezimmer. Harry hatte das Rouge vergessen. Die Katze sprang auf das kleine Waschbecken und stieß das Rouge ins Becken. »Du brauchst ein bißchen Rosa auf den Wangen.«
»Murphy.« Harry hob das schwarze Döschen auf. »Schätze, das könnte nicht schaden.« Sie betupfte ihre Wange mit dem Pinsel. »Na also. Eine hinreißende Schönheit. Die Männer werden bei meinem Anblick erbeben. Die Augen der Frauen werden sich zu Schlitzen verengen. Man wird mir Königreiche bieten für einen Kuß.«
»Mäuse! Maulwürfe! Katzenminze, alles zu deinen Füßen.« Mrs. Murphy genoß diesen Traum.
»Wer ist da? Wer ist da?« Tucker sauste zur Hintertür.
Fair klopfte, stieg dann über den kleinen Hund, der sofort zu bellen aufhörte.
»Hi, Schnuckelpuckel.« Fair strich mit der Hand über Tuckers anmutige Ohren, dann rief er: »Ich bin's.«
»Ich wußte nicht, daß du kommst«, rief Harry aus dem Badezimmer.
»Ah, ich hätte anrufen sollen, aber heute ist wieder mal so ein vertrackter Tag. Mußte Tommy Bolenders alte Stute einschläfern. Sechsundzwanzig Jahre alt. Er hat die Stute geliebt, und ich hab ihm gesagt, er soll einfach losheulen. Hat er auch gemacht, und da kamen mir auch die Tränen.