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Kerrys Gesicht war wutverzerrt. »Lügnerin.«

»Du hast es mir selbst erzählt. Du hast gesagt, du wüßtest, daß Norman dich liebt, und er wäre süß, aber langweilig im Bett.« Aysha kostete diesen Moment aus.

Kerry kreischte: »Du Miststück!«

Wieder riß Norman sie auseinander, mit Cynthias Hilfe. Es war ihm entsetzlich peinlich, sie zu sehen.

»Um Gottes willen, hört auf. Das haben die Freelys nicht ver­dient!« Harry kniff die Lippen zusammen, als sie zu ihnen hin­überrannte.

»Norman, sag ihr, daß du sie verläßt.«

»Das kann ich nicht.« Norman schien vor aller Augen zu schrumpfen.

Kerrys Schluchzer verwandelten sich in rasenden Haß. »Dann hoffe ich, daß du tot umfällst!«

Sie entwand sich Cynthia, die sie wieder packte. »Zeit, nach Hause zu fahren, bis Sie formell angeklagt werden.« Sie schob Kerry in den Streifenwagen.

Norman wandte sich betreten an die kleine Gruppe: »Ich bitte um Entschuldigung.«

»Haut ab«, sagte Harry tonlos.

Aysha drehte sich um und ging vor Norman zum Wagen, als ihre Mutter die Haustür aufstieß. Ottoline rief Tochter und Schwiegersohn etwas zu, aber sie achteten nicht auf sie.

Miranda verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. »Norman Cramer?«

30

Beim Auffüllen der Frankiermaschine bekam Harry jedesmal klebrige rote Stempelfarbe an ihre Finger und ihr T-Shirt, und auch der Schalter bekam etwas ab. Sosehr sie auch aufpaßte, Harry schaffte es immer, etwas zu verschütten.

Mrs. Hogendobber holte ein Handtuch und wischte die Trop­fen ab. »Sieht aus wie Blut.«

Harry klappte den Deckel der Maschine zu. »Macht mir eine Gänsehaut - nach allem, was passiert ist.«

Little Marilyn kam mit einem forschen »Hallo« herein. Sie öffnete ihr Schließfach mit solchem Schwung, daß die Tür aus Metall und Glas gegen das Nachbarfach knallte. Sie nahm ihre Post heraus, sortierte sie beim Papierkorb, kam dann an den Schalter. »Ein Brief von Steve O'Grady aus Afrika. Schauen Sie sich auch so gerne ausländische Briefmarken an?«

»Ja. Das ist eine Art Miniaturkunst«, erwiderte Miranda.

»Als Kerry, Aysha und ich nach dem College in Europa wa­ren, sind wir eine Weile in Florenz geblieben, dann haben wir uns getrennt. Ich hatte ein Interrail-Ticket, und ich bin wohl durch jedes Land gesaust, das nicht hinter dem Eisernen Vor­hang lag. Die vielen Postkarten und Briefe hab ich den anderen vor allem geschickt, damit sie die Marken bekamen, nicht so sehr, damit sie mein Gekritzel lasen. Wir haben uns fleißig Briefe geschrieben.«

Miranda bot Marilyn ein Stück frisches Bananenbrot an. »Ihr seid so lange die allerbesten Freundinnen gewesen. Was ist passiert?«

»Nichts. Jedenfalls nicht in Europa. Wir hatten unterschiedli­che Pläne, aber keine war den anderen böse deswegen. Kerry ist als erste nach Hause gefahren. Sie war in London und bekam Heimweh. Aysha lebte in Paris, und ich bin in Hamburg gelan­det. Mom meinte, ich sollte mir entweder einen Job suchen oder den Porsche-Direktor heiraten. Ich hab ihr erklärt, daß der in Stuttgart sitzt, aber sie fand das gar nicht komisch. Ich hab die Briefe noch, die wir uns damals geschrieben haben. Ayshas waren sehr ausführlich. Kerrys Briefe waren eher sachlich. Es war die Geschichte mit Norman, die uns drei Musketiere ausei­nanderbrachte. Auch als ich schon verheiratet war, haben wir noch zusammengesteckt. Als Kerry dann mit Norman zusam­men war und ich von dem Monster geschieden wurde, haben wir viel gemeinsam unternommen.«

»Vielleicht besitzt Norman verborgene Talente«, grübelte Harry.

»Sehr verborgen«, rief Mrs. Murphy aus der Tiefe des Post­karrens.

»Kerry war davon überzeugt. Sie hatten immer Gesprächs­stoff.« Marilyn lachte. »Aysha kriegte auf einmal Torschlußpa­nik - à la >alle deine Freundinnen sind verheiratet, nur du nicht<. Dann hat Ottoline ihr auch noch in den Ohren gelegen.«

Mrs. Murphy steckte den Kopf aus dem Postkarren. »Panik? Das muß ein schwerer epileptischer Anfall gewesen sein.«

Pewter schob sich durch das Katzentürchen. »Ich bin's.«

»Ich weiß«, rief Murphy. Pewter sprang zu ihr in den Postkar­ren.

»Ist es nicht ein Wunder, daß die beiden Katzen Kerry gefun­den haben?« Marilyn beobachtete die beiden Tiere, die sich im Postkarren herumwälzten und balgten.

»Die Wege des Herrn sind wunderbar«, sagte Mrs. H.

Mrs. Murphy und Pewter ließen von ihrer Balgerei ab.

»Man sollte meinen, sie würden erkennen, daß der Allmächti­ge eine Katze ist. Menschen stehen weiter unten in der Hierar­chie der Lebewesen.«

»Das werden die nie kapieren. Zu egozentrisch.« Pewter schlug Murphy auf den Schwanz, und sie nahmen die Balgerei wieder auf.

»Ich sollte die alten Briefe raussuchen.« Little Marilyn ging zur Tür. »Wäre interessant zu vergleichen, wer wir damals wa­ren und wer wir heute sind.«

»Bring sie mal mit, damit ich mir die Briefmarken ansehen kann.«

»Okay.«

Miranda schnitt noch ein Stück Bananenbrot ab. »Marilyn, glaubst du, daß Kerry einen Menschen töten könnte?« »Ja. Ich glaube, jeder von uns könnte töten, wenn es sein müß­te.«

»Aber Hogan?«

Sie atmete tief durch. »Mrs. H. ich weiß es einfach nicht. Es scheint undenkbar, aber.«

»Wo hat Kerry in London gearbeitet - wenn überhaupt?«

»In einer Bank. Der Londoner Zweigstelle einer der großen amerikanischen Banken. Dort hat sie ihre Berufung entdeckt, so hat sie es mir zumindest erzählt.«

»Davon habe ich nie was gehört.« Harrys Gedanken über­schlugen sich.

»Sie ist verschwiegen. Außerdem, wie viele Menschen inter­essieren sich schon für das Bankwesen, und ihr zwei seid be­stenfalls Bekannte. Ich meine, es hat nichts zu bedeuten, wenn sie es dir nicht erzählt hat.«

»Hm, ja«, erwiderte Harry matt.

»So, ich muß weiter, Besorgungen machen.« Marilyn stieß die Tür auf, und ein Schwall schwüler Luft schwappte herein. Und mit ihm Rick und Cynthia.

»Darf ich?« Rick zeigte auf die niedrige Klapptür, die den Kunden- vom Arbeitsbereich trennte.

»Wie höflich, erst zu fragen.« Mrs. Hogendobber hielt die Klapptür auf.

Cynthia folgte ihm. Sie legte einen Ordner auf den Tisch und schlug ihn auf. »Das hier hat mir der Besitzer einer Bar in San Francisco geschickt, wo Huckstep gearbeitet hat.« Sie reichte Harry und Mrs. Hogendobber Zeitungsartikel über George Jar­vis' Selbstmord.

Harry las ihren zuerst, dann schaute sie Miranda über die Schulter.

»Die Sache ist so, daß dieser Jarvis, ein Mitglied des Bohemi­an Club, Typ Säule der Gesellschaft, homosexuell war. Nie­mand hat es gewußt. Er wurde von Mike Huckstep und Malibu, seiner Freundin oder Frau - wir sind nicht sicher, ob sie tatsäch­lich verheiratet waren - erpreßt. Sie muß ein eiskaltes Luder sein; denn sie hat sich versteckt und Mike dabei fotografiert, wie er es mit seinen Opfern trieb, und damit hat die Erpressung angefangen.«

»In dem Trauring stand M&M.« Harry gab Cynthia den Zei­tungsausschnitt zurück.

»Ich will keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wir haben in San Francisco das Heiratsregister vom 12. Juni 1986 überprüft. Von Huckstep keine Spur. Es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die umliegenden Bezirke haben wir ebenfalls über­prüft. Nach und nach werden wir sämtliche Register Kaliforni­ens durchgehen.«

»Wer weiß, vielleicht haben sich die beiden ans Meer gestellt und sich ewige Treue geschworen«, meinte Rick sarkastisch. »Oder sie sind nach Reno gegangen.«

»Wir haben eine Bekanntmachung an alle Polizeireviere Ame­rikas und an die Registerämter aller Bezirke geschickt. Es kommt vielleicht nichts dabei heraus, aber wir lassen nichts unversucht.«