Выбрать главу

Obwohl er die meiste Zeit mit ihrem Vater verbrachte, beobachtete Chen doch auch, wie Yalia auf ihre Familie reagierte. Ihre Nichten und Neffen hatte sie schnell für sich gewonnen, indem sie mit einem Schlag oder einem Tritt Bretter zertrümmerte. Mit den Holztrümmern in den Händen rannten die Kleinen dann durchs Dorf, und als sie zurückkamen, hatten sie einen Haufen weiterer Kinder im Schlepptau, die eine weitere Demonstration sehen wollten. Einige von ihnen waren die Kinder der beiden Pandaren, die einst um ihre Gunst gestritten hatten. Chen erkannte einen Anflug von Melancholie auf Yalias Gesicht, als man ihr die Kinder vorstellte – aber die Kleinen hatten augenscheinlich keine Ahnung, wer sie war.

Ihre Mutter und ihre Schwestern tadelten sie, aber erst nach viel Kreischen und Umarmen und Weinen. Ihre Brüder schlossen sie gefasster in die Arme, dann stahlen sie sich davon, um zu ihrer Arbeit zurückzukehren oder ein paar Bier mit Chen zu trinken. Und während alldem blieb Yalia gefasst und ruhig.

Doch dann stand sie ihrer Großmutter gegenüber. Die alte Pandaren war im Alter schwach geworden, sie ging gebückt, das Fleisch hing von ihrem Körper, und sie musste sich auf einen Stock stützen. Dabei hielt sie sich zwar besser, als Tyrathan an seinen schlechtesten Tagen, aber nicht um allzu viel. Die Jahre hatten ihre dunklen Augen getrübt, und so hob sie die Pfote an Yalias Gesicht und betastete es.

„Bist du die Enkelin, der ich meinen Schal geliehen habe?“

„Ja, Ama.“

„Hast du ihn mitgebracht?“

Yalia blickte zu Boden. „Nein, Ama.“

„Dann bring ihn bei deinem nächsten Besuch mit, Enkelin. Ich habe ihn vermisst.“

Die alte Pandaren lächelte, dass man ihre Zahnlücken sehen konnte, und umarmte Yalia. Schweigen breitete sich ringsum aus, als die Großmutter in Yalias Armen verschwand. Ihre Körper bebten unter lautlosem Schluchzen, und alle taten so, als würden sie es nicht registrieren.

Wohl aus diesem Grund rülpste Tswen-luo in diesem Moment laut: um die Aufmerksamkeit der anderen durch diese unangebrachte Geste auf sich zu lenken. Chen, der ein guter Gast sein wollte und außerdem seinen Ruf als Rülpswunder verteidigen musste, brachte einen Moment später die Dachsparren zum Beben. So verhinderte er, dass die Frauen ihre Emotionen in einer Schimpfkanonade auf den Patriarchen entluden, und zugleich hatten Yalia und ihre Großmutter ein wenig mehr Privatsphäre inmitten der empörten Rufe.

Nach zwei Tagen waren die Aufräumarbeiten im Dorf beendet, und man begann mit den Vorbereitungen für den Bau der Brauerei. Chen machte Li Li zu seiner Stellvertreterin und heuerte die Steinacker-Brüder – die gerade zu dem Zeitpunkt mit der Essenslieferung eintrafen, die sie versprochen hatten – als Maurer an. Die beiden waren ohnehin nicht fürs Bauersein geschaffen, wenn man bedachte, dass es auf ihren Feldern mehr Steine als Rüben gab, und da sie genug Zeit damit verbracht hatten, diese Steine von ihren Äckern zu schleppen, schien die Maurerarbeit genau das Richtige für sie zu sein.

Chen nahm sich derweil etwas Zeit, um Kräuter aus der Gegend zu sammeln und in einem hölzernen Fässchen eine Testmischung vorzubereiten. Als sie sich auf den Rückweg zum Kloster machten, band er sich dieses Fass auf den Rücken, sodass die Flüssigkeit darin hin und her schwappte. Regelmäßig rührte er sie um, dann gab er wieder Wasser und eine Prise von diesem oder jenem Kraut hinzu.

Als Yalia am Beginn eines Serpentinenweges Rast machte, zog er die Brauen zusammen. „Ich glaube, ich muss mich entschuldigen, Schwester Yalia.“

„Wofür denn nur?“

„Dass ich mich in Zouchin niedergelassen habe.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ihr habt nach einem Zuhause gesucht, und Zouchin hat sich für Euch wie eines angefühlt. Warum solltet Ihr Euch dafür entschuldigen müssen?“

„Es ist Eure Heimat, und ich will nicht in Eure Privatsphäre eindringen.“

Yalia lachte, ein Laut, den Chen ungemein genoss. „Lieber Chen, das Kloster ist mein Zuhause. Ich mag Zouchin sehr – und jetzt noch mehr, wo Ihr es ebenfalls so liebt. Aber Ihr als Wanderer solltet doch eigentlich wissen, dass man das echte Gefühl von Heimat in seinem Inneren trägt. Wenn man an einem stillen Abend mit einer Tasse Tee keinen Frieden finden kann, dann kann einem auch kein geografischer Ort diese Ruhe schenken. Wir suchen uns nur deshalb eine Heimstatt, weil das Gefühl dadurch verstärkt wird. Der Ort zeigt uns eine andere Facette dieses Gefühls und wirft es auf uns zurück.“

Sie deutete über die Schulter in die Ferne. „Indem ich Zouchin durch Eure Augen sehen konnte und weil ich auf Euren Ratschlag hin mit meiner Familie in Kontakt getreten bin, habe ich jetzt einen zweiten Ort, der den Frieden in meinem Innern verstärkt. Aber Ihr solltet wissen, dass ich den größten Frieden noch immer an einem ruhigen Abend fühle, wenn ich mit einem Freund Tee trinke.“

Hätte sie sich in diesem Moment in einen Baum verwandelt und Wurzeln geschlagen, hätte Chen sich nie wieder weiter von ihr entfernt, als der Schatten ihrer Äste reichte. Das konnte er natürlich nicht sagen, und sein Lächeln vermochte dieses Gefühl auch nicht zu vermitteln. Also ging er zu ihr hinüber, wobei er sich wünschte, das Gebräu auf seinem Rücken würde nicht so laut hin und her schwappen, und nickte.

„Ob der Abend nun leise oder laut ist und ob es Tee oder Bier oder einfach nur kühles Wasser gibt, an der Seite meines Freundes würde ich auch Frieden spüren.“

Schüchtern wandte sie das Gesicht von ihm ab, aber ihr Lächeln konnte sie nicht verbergen. „Dann lasst uns zu der Heimat abseits unserer Heimat zurückkehren und diesen Frieden genießen.“

Erst nachdem Taran Zhu ihm gut zugeredet hatte, gab der alte Pandaren Chen die Erlaubnis, sein neues Gebräu mit ein paar ausgewählten Mönchen aus dem Kloster zu teilen. Yalia gehörte nicht zu ihnen – Taran Zhu hatte fünf der Ältesten für diese Kostprobe bestimmt. Chen war sich nicht sicher, ob das nun daran lag, dass der Meister fürchtete, es könnte zu einem wilden Saufgelage kommen, oder ob er einfach nur glaubte, dass diese Mönche sich über die neue Erfahrung freuen würden. Doch hätte er wetten müssen, hätte er sein Geld eher auf Ersteres als auf Letzteres gesetzt.

Vol’jin und Tyrathan schlossen sich der Gruppe ebenfalls an, auch wenn sie getrennt erschienen. Die Steifheit und Förmlichkeit zwischen den beiden stach Chen unwillkürlich ins Auge. Es war nicht so, als würde eine große Kluft zwischen ihnen liegen, doch verglichen mit der Nähe, die er zu Yalia fühlte, waren die beiden wie auseinanderdriftende Kontinente.

Der Braumeister schenkte jedem Gast eine kleine Portion seiner neuesten Erfindung ein. „Vergesst bitte nicht, dass das nicht die finale Formel ist. Ich habe viele Dinge zusammengemischt, einschließlich einiger übrig gebliebener Zutaten des Frühlingsbiers, das ich vor einer Weile gebraut habe. Ich werde Euch nicht sagen, wie das Getränk sein soll, und ich möchte auch nicht von Euch wissen, wie es schmeckt. Sagt mir stattdessen, wie es sich anfühlt. Ihr werdet natürlich den Geschmack und den Geruch wahrnehmen, aber diese Eindrücke sollten Erinnerungen wachrufen.“

Chen hob seine eigene Schale. „Auf die Heimat und die Freunde!“ Er verbeugte sich tief, erst vor Taran Zhu, dann vor Vol’jin und dann der Reihe nach vor den anderen am Tisch. Anschließend tranken sie alle, mit Ausnahme des Klostermeisters.

Chen ließ das Gebräu über seine Zunge schwappen. Sofort schmeckte er einzelne Beeren und einen Hauch von Herzensruhe heraus, aber die anderen Zutaten hatten sich zu einem Geschmack vermischt, der manchmal süß und manchmal sauer war, mit nur einem Hauch von Schärfe. Er schluckte und genoss das Kratzen, das seine Kehle hinunterwanderte, bevor er die Schale absetzte.