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„Du wälzt dich in deinem Schmerz. Aber dadurch entehrst du sie.“ Der Troll nickte ernst. „Wenn du sie ehren willst, dann berge ihren Glauben an dich aus diesem Wrack.“

„Dieser Glaube hat sie das Leben gekostet.“

„Nein. Du hast keinen Anspruch auf ihren Tod. Es war ihre Wahl. Und es würde sie freuen, dass du noch am Leb’n bist.“

„Da wäre nur eine Sache.“ Der Mensch blickte wieder nach Nordosten zu der gezackten Küstenlinie. „Mein altes Leben – da sind so viele Trümmer, die über die ganze Küste verstreut sind. Sie alle zu bergen würde eine lange, lange Zeit dauern.“

„Dann betrachte es als Spiel.“ Vol’jin trat neben den Mann an den Rand des Vorsprungs. In der Ferne schimmerte das Sonnenlicht silbern auf dem Meer. Sie waren zu weit oben, um außer dem Spiel des Lichts auf den Wellen noch etwas anderes zu erkennen, aber Vol’jin stellte sich vor, dass auch die Trümmer seines Lebens dort verteilt lagen. Was werde ich berg’n?

Etwas strich über sein Gesicht, leicht und unwirklich. Es fühlte sich an wie ein Spinnennetz, aber als er die Hand hob, um es fortzuwischen, war da nichts. Stattdessen erinnerte er sich daran, eine Spinne zu sein, die in der Luft schwebte, und sein Blick wanderte erneut aufs Meer hinaus.

Das Bild vor seinen Augen veränderte sich, wurde geschärft durch eine Linse, welche nicht nur das Licht, sondern auch die Zeit krümmte. Er sah die schwarze Flotte über die Welle segeln, die ihm bereits in seiner Vision begegnet war. Doch nun erkannte er, dass er sich geirrt hatte: Der Traum hatte ihm zwar eine andere Zeit gezeigt, aber es war nicht die graue Vorzeit. Was er jetzt sah, was er in der Vision gesehen hatte, war nur wenige Tage entfernt, und zwar nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft.

„Komm, schnell! Wir müssen mit Taran Zhu sprechen.“

Ein alarmierter Ausdruck sprengte Tyrathans verschlossene Miene. Er starrte aufs Meer hinaus, dann wandte er sich mit einem verständnislosen Blick zu Vol’jin um. „Deine Augen sind nicht so viel schärfer als meine. Was hast du gesehen.“

„Ärger. Großen Ärger.“ Der Troll schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht sicher, ob wir ihn eindämmen, geschweige denn verhindern können.“

So schnell sie konnten, rannten sie den Berg hinab. Vol’jins längere Beine legten mit jedem Schritt eine größere Entfernung zurück, aber schon nach Kurzem begannen Schmerzen in seine Seite zu stechen. Er ließ sich auf ein Knie fallen, um Atem zu schöpfen, was Tyrathan die Möglichkeit gab, zu ihm aufzuschließen. Vol’jin winkte ihn weiter, und der Mensch eilte davon; sein Humpeln war kaum zu erkennen.

Einer der Mönche auf den Mauern musste sie gesehen haben, denn als sie den Hof erreicht hatten, trat ihnen Taran Zhu entgegen. „Was ist los?“

„Kart’n? Habt Ihr Kart’n? Landkart’n?“ Vol’jin suchte nach dem pandarischen Wort, aber er war nicht sicher, ob er es überhaupt gelernt hatte.

Taran Zhu gab einen scharfen Befehl, dann nahm er Vol’jin beim Arm und führte ihn nach drinnen. Tyrathan Khort folgte ihnen in den Raum, wo sie Chens Gebräu gekostet hatten, auch wenn der Tisch inzwischen längst abgeräumt war. Kurz darauf tauchte noch ein anderer Mönch mit einer Rolle aus Reispapier auf.

Taran Zhu nahm die Rolle und breitete sie auf dem Tisch aus. Vol’jin musste neben ihn treten, damit Norden oben war, und obwohl er die Symbole nicht lesen konnte, entdeckte er mühelos das Kloster und den Berggipfel östlich davon. Sein Blick wanderte ein Stück weiter nach Osten, dann tippte er auf eine Stelle an der nördlichen Küste.

„Was ist das für ein Ort?“

Chen Sturmbräu trampelte die Treppe herunter. „Das ist Zouchin. Ich baue dort eine neue Brauerei.“

Vol’jin studierte den nördlichen und nordöstlichen Teil der Karte. „Warum ist die Insel nicht verzeichnet?“

Chen zog eine Augenbraue nach oben. „Was für eine Insel? Da draußen gibt es nichts.“

Taran Zhu blickte den Mönch an, der die Karte gebracht hatte, und gab ihm auf Pandarisch einen Befehl. Chen wandte sich ab, um dem anderen aus dem Raum zu folgen. „Nein, Meister Sturmbräu, bleibt bitte! Bruder Kwan-ji wird die anderen holen.“

Chen nickte und kehrte an den Tisch zurück. Das Lächeln, das seine Ankündigung über die Brauerei in Zouchin begleitet hatte, war inzwischen völlig verschwunden. „Welche Insel?“

Der Shado-Pan-Mönch verschränkte die Pfoten hinter dem Nacken. „Pandaria ist nicht nur die Heimat der Pandaren. Es gab eine Zeit, da herrschte ein anderes, ein mächtiges Volk über dieses Land: die Mogu.“

Vol’jin richtete sich auf. „Ich kenne die Mogu.“

Tyrathan blinzelte verwirrt, und Chen kniff die Augen zusammen.

„Dann wisst Ihr, dass Ihre Zeit vorüber ist. Doch dass Ihr es wisst, heißt leider nicht, dass sie es ebenfalls wissen.“ Taran Zhu berührte die nordöstliche Ecke der Karte, woraufhin der ungleichmäßige Umriss einer Insel erschien, so als würden die Nebel, die sie verborgen hatten, langsam auseinanderdriften. „Das ist die Insel des Donnerkönigs. Viele halten sie für eine Legende, nur die wenigsten wissen, dass es sie wirklich gibt. Und wenn Ihr davon wisst, Vol’jin, dann könnten andere, die auch Kenntnis davon haben, großes Unheil heraufbeschwören.“

„Ich wusste nicht davon, bis ich eine Vision hatte.“ Der Troll deutete auf Zouchin. „Gerade hatte ich noch eine. Eine Flotte ist von dieser Insel aufgebroch’n. Eine Zandalari-Flotte. Ihre Absichten können nur böse sein. Wir müssen schnell handeln, wenn wir sie noch aufhalt’n wollen.“

13

Eine schlimme Vorahnung schlängelte sich durch Vol’jins Eingeweide, als er Taran Zhu anblickte. Der Mönch stand so reglos da, als wäre er eine der Steinsäulen, die die Decke stützten. „Was sollen wir tun, Vol’jin?“

Nachdem er und der Mensch einander ungläubig angesehen hatten, breitete der Troll die Hände aus. „Schickt Boten in das Dorf. Ruft die Bürgerwehr zusamm’n. Baut Verteidigungsstellungen auf. Versammelt Eure Elitekrieger und entsendet sie nach Zouchin. Zieht Eure Flotte zusamm’n. Verhindert, dass die Zandalari an Land geh’n.“

Er betrachtete das Papier. „Ich brauche andere Kart’n. Taktische Kart’n. Mit mehr Details.“

Tyrathan trat vor. „Diese Täler sind Engpässe. Wir könnten … Was ist?“

Der alte Mönch reckte das Kinn hoch. „Vol’jin, welche Vorkehrungen trefft Ihr auf Euren Inseln, um Euch gegen Schneestürme zu schützen, so wie den, der hier gewütet hat?“

„Gar keine. Es gibt keine Blizzards auf den Echo-Inseln.“ Ein unheilvolles Gefühl verknotete seinen Magen. „Aber schlechtes Wetter ist beileibe nicht dasselbe wie eine Invasion.“

Der Mönch zog steif die Schultern hoch. „Falls es keine Nacht gäbe, bräuchte niemand eine Laterne. Seit den Tagen vor dem Beginn der Zeit haben die Nebel uns geschützt.“

„Aber Ihr seid nicht wehrlos.“ Tyrathan deutete nach draußen auf den Hof. „Eure Mönche können mit bloßen Händen Holz zerschmettern. Sie können mit Schwertern umgehen, und ich habe sie beim Bogenschießen beobachtet. Sie gehören zu den besten Kämpfern, die ich je gesehen habe.“

„Kämpfer, ja, aber keine Armee.“ Taran Zhu presste die Hände vor seiner Brust zusammen. „Wir sind nur wenige und über den gesamten Kontinent verstreut. Und auch wenn wir Pandarias einzige Verteidigung sein mögen, ist das doch nicht der einzige Sinn unserer Existenz. Wir trainieren die Kampfkünste nicht nur, damit wir töten können. So üben wir das Bogenschießen nicht um des kriegerischen Aspekts willen – wir suchen darin nach einem Gleichgewicht. Für uns ist es ein Mittel, zwei Punkte über eine Distanz hinweg zu verbinden. Es geht darum, Entfernung und Geschwindigkeit, Flugbahn und Wind auszugleichen, die Natur des Pfeils zu erkennen. Wir verteidigen Pandaria, aber vor allem verteidigen wir das Gleichgewicht.“

Vol’jin tippte auf die Karte. „Ihr redet von Philosophie. Aber das hier ist Krieg.“