Der Troll brach zusammen und kippte auf die Bootswand, dann rutschte er darüber hinweg und fiel von Bord. Seine Füße waren das Letzte, was unter den Wellen verschwand, während das Ruderboot kurz aus dem Gleichgewicht geriet und nach Steuerbord krängte, bevor es sich wieder aufrichtete.
Gerade rechtzeitig, damit Vol’jins zweiter Pfeil den Troll am Ruder erwischte.
Nun duckte der Dunkelspeer sich wieder und drehte sich um. Sosehr es ihm auch gefiel, ratlose Soldaten in einem schwankenden Boot zu beobachten, hätte ihn dieser Luxus das Leben gekostet. Bereits jetzt bohrten sich vier Pfeile in die Wand, vor der er gestanden war, und zwei weitere zischten darüber hinweg.
Vol’jin zog sich zu den Ruinen des nächsten Gebäudes zurück, wo ein Mönch gerade einem alten Pandaren mit zerschmetterter Schulter half, unter den Trümmern hervorzukriechen. Weiter draußen in der Bucht war inzwischen auch das letzte Beiboot zu Wasser gelassen worden, aber da rammte sich ein Pfeil ins Ohr des Steuermannes, sodass er um die eigene Achse gewirbelt und von Bord geschleudert wurde.
Das vorderste Boot erreichte nun den Strand, und ein paar der Zandalari rannten in Deckung, während andere das Boot umdrehten und sich dahinter zusammenkauerten. Die beiden nächsten Beiboote kamen ebenfalls schnell näher, und auf dem letzten hatte eine tapfere Seele den Posten des Steuermannes übernommen, doch nur, um einen Pfeil in die Eingeweide zu bekommen. Der Troll krümmte sich, behielt die Hand aber auf dem Ruder und lenkte das Boot gen Strand, während die anderen Trolle mit aller Kraft ruderten.
Der Zandalari, der die Invasion von einem Schiff weiter draußen leitete, gab energisch Zeichen, woraufhin die Flotte im Hafen ihren Angriff mit den Belagerungsmaschinen wiederaufnahm. Steine flogen in hohem Bogen durch die Luft, und wo sie landeten, stob eine gewaltige Sandfontäne auf. Vol’jin hielt es zunächst für Verschwendung, doch dann rannte einer der Zandalari zu einem halb im Strand begrabenen Stein und warf sich dahinter auf den Boden.
Nun landete ein weiterer Felsbrocken, dann noch einer.
Und so begann das Spiel. Während die Zandalari vorrückten, schlich Vol’jin sich an ihrer Flanke entlang und schoss Mal um Mal. Die Späher an Bord der Schiffe richteten die Katapulte dann auf sein Versteck aus und zermalmten es zu Holzsplittern. Im Osten taten sie dasselbe mit Tyrathans Unterschlüpfen, obwohl Vol’jin nicht wusste, wie sie ihn jedes Mal entdeckten; er konnte den Menschen jedenfalls nicht sehen.
Jede Welle von Steinbrocken trieb den Dunkelspeer weiter zurück und ließ die Angreifer weiter vorstoßen. Von den Schiffen wurden noch mehr Boote zu Wasser gelassen, und einige der Zandalari nahmen sogar ihre Rüstung ab und tauchten durch die Bucht, ihre Pfeile und Bögen sicher in Öltuch eingewickelt. Während die Flotte also einen breiten Abschnitt im Zentrum von Zouchin in Schutt und Asche legte, erreichten mehr und mehr Truppen den Strand, um das Dorf einzunehmen.
Jeder Pfeil des Schattenjägers traf sein Ziel, aber nicht alle töteten es auch. Die Rüstungen schwächten einige Schüsse ab, und manchmal zeigten seine Feinde ihm auch nur einen Fuß, oder ein Fleck blauer Haut leuchtete im Gewirr eingestürzter Holztrümmer auf. Tatsache war aber, für jeden Pfeil in seinem Köcher hatten die Schiffe ein Dutzend Katapultsteine und ein halbes Dutzend Soldaten.
Also zog Vol’jin sich zurück. Dabei entdeckte er nur einen toten Mönch, eine Frau. Sie war von zwei Pfeilen durchbohrt worden, und den Fußspuren nach zu urteilen, die in südlicher Richtung davonführten, hatte sie zwei Kinder vor den Geschossen abgeschirmt, die ihr Leben forderten.
Er folgte der Spur der Kinder durch das Dorf, und gerade als die Fußabdrücke auf die offene Fläche hinter einem eingestürzten Stelzenhaus abbogen, hörte er plötzlich ein Scharren. Rasch wirbelte er herum, und ein Zandalari-Krieger tauchte in seinem Blickfeld auf. Vol’jin griff über die Schulter nach einem Pfeil, aber sein Gegner war schneller.
Das Geschoss bohrte sich ihm in die Seite und trat an seinem Rücken wieder hervor. Schmerzen pulsierten durch seine Rippen, ließen ihn taumeln, dennoch streckte er die Hand nach seiner Gleve aus, während er auf ein Knie stürzte und der Troll den nächsten Pfeil anlegte.
Der Zandalari grinste breit und triumphierend und zeigte dabei stolz seine Zähne.
Da bohrte sich ein Pfeil zwischen diese Zähne. Eine halbe Sekunde lang sah es aus, als würde der Troll Federn ausspeien, dann rollten seine Augen nach oben, und er kippte hintenüber auf den Boden.
Langsam wandte Vol’jin sich um und folgte der Flugbahn des Pfeils. Er blickte auf hohes Gras auf der Kuppe eines Hügels. Hat ihm in den Mund geschoss’n. Viereinhalb Fingerbreit. Und er wollte noch, dass ich den Kerl erledige, der ihn erwischt.
Langsam senkte sich Staub auf den zuckenden Zandalari. Vol’jin griff nach hinten und brach die Pfeilspitze ab, dann zog er den Schaft aus seiner Brust. Mit einem Lächeln sah er, wie die Wunde sich schloss, anschließend nahm er dem Toten seinen Köcher ab und setzte kämpfend seinen Rückzug fort.
15
Es sollte regnen. Die helle Sonne verhöhnte Khal’ak, ohne sie zu wärmen. Sie stand hoch aufgerichtet im Bug ihrer Barke, weniger weil es einen so gebieterischen Eindruck machte, sondern vor allem, weil sie von hier aus den besten Blick auf den Strand hatte.
Die Barke stieß ein dahintreibendes Beiboot aus dem Weg, das in der leichten Strömung tanzte. Der Steuermann war mit der Hand auf dem Ruder und einem Pfeil in den Eingeweiden gestorben. Es musste ein schmerzhafter Tod gewesen sein, doch sein Gesicht ließ nichts davon erkennen. Entschlossen starrte er nach vorne, auch wenn seine Augen sich getrübt hatten und Fliegen darauf herumkrochen.
Sand zischte unter dem Rumpf des Schiffes, als es sanft auf den Strand rollte. Mit flatterndem Umhang sprang Khal’ak vom Bug herab. Zwei Krieger erwarteten sie bereits – Hauptmann Nir’zan und ein größerer, muskelbepackter Troll mit einem gewaltigen Schild. Die beiden nahmen augenblicklich Habtachtstellung ein und salutierten vor ihr.
Sie erwiderte den Gruß, legte aber all ihr Missfallen in die Geste. „Habt ihr herausgefunden, was passiert ist?“
„Mit größtmöglicher Gewissheit, Mylady.“ Nir’zan blickte landeinwärts. „Um Überblick zu gewinnen und die Lage zu studier’n, hab’n wir Späher zu einer Bucht im Westen geschickt. Zwei von ihnen sind an Land geschwomm’n, wobei sie zwei Pandaren-Fischer töteten, und hab’n dann eine Anhöhe gesichert. Dort blieb’n sie wie befohlen auf Position, bis wir sie verhört haben. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Späher landeinwärts vorrückt’n, verlief alles nach Plan.“
Sie machte eine Handbewegung, die die Trümmerlandschaft ringsum mit einschloss. „Aber danach wohl nicht mehr.“
„Ja, Mylady.“
„Warum?“
Der Zandalari-Krieger verengte die Augen. „Das Wie ist wichtiger als das Warum, Mylady. Kommt!“
Sie folgte ihm in das Dorf, zu den Überresten eines Hauses, knapp fünfzig Schritte vom Strand entfernt. Als sie näher kamen, ging ein weiterer Soldat auf die Knie und zog eine Schlafmatte aus Schilf zurück, die ausgebreitet worden war, um einen Fußabdruck zu erhalten.
Eiswasser rann durch Khal’aks Körper. „Und das war keiner von uns?“
„Nein. Er stammt definitiv von einem Troll, aber er ist zu klein für einen Zandalari.“
Sie drehte sich um und blickte zum Meer zurück. „Hat dieser Schütze den Steuermann getötet?“