„Und auch einen zweit’n Krieger auf dem Boot.“
„Das war ein sehr guter Schuss.“
Nir’zan deutete nach Osten. „Dort drüben, wo Ihr den Leutnant seh’n könnt, haben wir eine weitere Spur entdeckt. Ein Mensch. Er hat unsere Pfeile benutzt und einen weiteren Steuermann ausgeschaltet.“
Sie maß die Entfernung zu der Stelle auf der anderen Seite der Bucht, wo der Soldat stand. „Und er hat auch einen unserer Bögen verwendet, richtig? War es ein Glückstreffer?“
Nir’zan reckte das Kinn hoch und zeigte Khal’ak seinen Hals. „Das würde ich gerne glaub’n, aber ich kann es nicht. Weder Glück noch Bogen hinterlassen eine Spur.“
„Du bist ehrlich. Gut.“ Sie nickte langsam. „Was noch?“
Der Krieger verließ das Dorf und folgte der Straße in südlicher Richtung. „Wir haben ein paar weitere Leichen zwischen den Ruinen gefund’n. Die beiden Schützen haben sich zwischen ihren Schüssen schnell bewegt. Wollten den anderen Zeit verschaff’n, um den Ort zu räumen. Viele Spuren führen nach Süd’n. Ich denke, das wird Euch interessieren.“
Er führte sie zu einer Stelle, wo eine Pandaren lag, durchbohrt von zwei Pfeilen. Selbst im Tod und obwohl sie eine Rüstung mit einem fauchenden Tigergesicht trug, wirkte die Kreatur geradezu lächerlich gutmütig. Khal’ak ging neben ihr auf ein Knie und stieß die Hüfte der Leiche mit den Fingern an. Obwohl der Körper bereits steif wurde, erkannte sie, dass die gedrungene Pandaren starke Muskeln gehabt hatte.
Sie blickte auf. „Ich sehe keine Waffen. Keinen Gurt.“
„Die Klauen, Mylady.“
Sie nahm eine der Pfoten und strich mit dem Daumen über die Knöchel. Das Fell war zerschlissen, die dunkle Haut schwielig, und die Handfläche fühlte sich ebenso rau an. „Das ist keine Fischerin.“
„Wir hab’n vier weitere gefunden. Einige hatten Waffen.“ Der Krieger zögerte. „Und alle hatten getötet.“
„Zeig sie mir!“
Sie gingen in südlicher Richtung weiter und schlugen dann einen Bogen nach Osten in eine grasbewachsene Senke neben der Straße. Diesen Ort hatte Khal’ak für ihren Hinterhalt ausgewählt; ihre Späher hätten ein paar der Fliehenden töten und die anderen zurück ins Dorf treiben sollen, und sobald Zouchin dann unter ihrer Kontrolle gewesen wäre, hätten sie die Pandaren als Träger eingesetzt.
Nun ließ sie ihren Blick über die Verwüstung schweifen. Ihre Truppen, gekleidet in leichte Rüstung und ausgerüstet mit leichten Waffen, damit sie sich schnell bewegen konnten, lagen leblos über das Gras verstreut. Drei Dutzend von ihnen tot, und nur eine Handvoll Pandaren sollte dafür verantwortlich sein? Dass sie zwei fellbedeckte Leiber sehen konnte, deutete darauf hin, dass die Verteidiger nicht versucht hatten, ihre Toten mitzunehmen. Doch selbst wenn auf jede dieser zurückgelassenen Leichen zwei oder drei Verletzte kamen …
„Hast du irgendwelche Angaben über die Zahl der Pandaren?“
„Nach unseren besten Schätzungen, einundzwanzig.“
Khal’ak stand auf und trat in die Mitte der Senke, wo ein außergewöhnlich großer Körper lag. Es war Leutnant Trag’kal, oder zumindest glaubte sie das. Sein Gesicht war zertrümmert, aber an seiner Größe ließ er sich erkennen. Sie hatte ihn persönlich ausgewählt, um die Späher anzuführen.
Und er hat versagt.
Sie versetzte seinem Körper einen Tritt, dann wandte sie sich wieder Hauptmann Nir’zan zu. „Ich will sämtliche Informationen. Wo sie ihre Verteidigungspositionen hatten, wie viele Wunden sie davongetragen haben, alles. Bring mir Fakten, keine Vermutungen oder Schätzungen! Und ich will wiss’n, wer diese Pandaren sind. Man hat uns gesagt, sie hätten keine Armee. Keine Milizen. Es scheint, als wären unsere Quellen auf erbärmliche Weise falsch informiert gewesen.“
„Ja, Mylady.“
„Ich will außerdem wissen, wohin die Dorfbewohner geflohen sind.“
Der Zandalari-Krieger nickte. „Wir werden einen Spähtrupp vorschicken. Die Spuren der Bogenschützen – der Mensch und der Troll – konnt’n wir nach Osten verfolgen, von der Straße fort. Aber alles deutet darauf hin, dass die Flüchtlinge sich nach Süden zurückgezogen haben. Und wir haben Anzeichen dafür gefunden, dass diese Biester noch einmal zurückgekommen sind, um die Alten und Verwundeten zu tragen.“
„Ja, über sie will ich auch mehr erfahren.“ Khal’ak bückte sich und zog einen blutigen Pfeil aus dem Hals eines Trolls. Der schlanke Schaft endete in einer schlichten Spitze. „Damit vertreibt man nicht mal Ungeziefer. Wir sind mit einer Armee gekomm’n, und sie haben sich uns mit Spielzeugen entgegengestellt.“
„Bei der erstbesten Gelegenheit haben sie sich unsere Waffen genomm’n, Mylady.“
„Und sie haben einen geordneten Rückzug organisiert.“ Sie deutete mit dem Pfeil auf die Leichen der Späher. „Nachdem ihr hier alles untersucht habt, will ich, dass ihr sie auszieht und häutet. Füllt ihre Häute dann mit Stroh und stellt sie links und rechts der Straße auf. Ihre Körper könnt ihr ins Meer werfen.“
„Ja, Mylady, aber den Pandaren wird dieser Anblick keine Angst einjagen.“
„Er soll auch nicht die Pandaren ängstigen. Das ist für unsere Leute.“ Khal’ak warf den Pfeil zu Boden, wo er von einer Rüstung abprallte und dann im Gras liegen blieb. „Jeder Zandalari, der glaubt, dass dieses Reich sein Geburtsrecht ist, soll daran erinnert werden, dass Geburten nur in den seltensten Fällen einfach sind und in den meisten blutig. So etwas wie hier wird nicht noch einmal geschehen, Nir’zan. Sorge dafür!“
Vol’jin schreckte aus dem Schlaf hoch, aber nicht, weil er in seinem Traum von den Zandalari gejagt worden war. Nein, das hatte er genossen. Gejagt zu werden bedeutete, dass man jemand war. Sie jagten ihn aus Wut und Furcht, und diese Gefühle in ihnen auslösen zu können, erfreute einen Teil von ihm – einen Teil, den er aus dem Wrack seines früheren Selbst bergen wollte.
Sein Körper schmerzte, vor allem seine Schenkel. Er konnte noch immer die Naht an seiner Seite spüren, und seine Kehle blieb wie aufgescheuert. Seine Wunden hatten sich allesamt geschlossen, aber es würde länger dauern, bis sie vollständig heilten. Der Troll verwünschte diese hartnäckigen Schmerzen, weniger weil sie ihn quälten, sondern mehr weil sie ihn daran erinnerten, dass seine Feinde ihn beinahe getötet hätten.
Wie geplant hatte er sich gemeinsam mit dem Menschen zurückgezogen, und dort, wo er es den Mönchen aufgetragen hatte, hatten sie Bögen und Vorräte an Pfeilen gefunden. Essen war ebenfalls dort gewesen, und sie hatten es eilends verschlungen. Die Linien aus Steinen, welche ihnen die Richtung zum nächsten Vorratspunkt wiesen, hatten sie verstreut, bevor sie weitergingen, aber ohne diese Markierungen hätten die beiden sich verirrt und wären zweifelsohne niedergemetzelt worden.
Die Zandalari waren ihnen gefolgt, doch Mensch und Troll hatten gewusst, was zu tun war. Zuerst hatten sie die Bogenschützen ausgeschaltet, um sich im Fernkampf einen Vorteil zu verschaffen. Die feindlichen Schützen hatten ihr Handwerk zwar verstanden – das bezeugte nicht zuletzt der blutgetränkte Stofffetzen um die linke Hüfte des Schattenjägers –, aber Vol’jin und Tyrathan waren einfach besser gewesen, wobei der Dunkelspeer zähneknirschend eingestehen musste, dass Tyrathan ihm weit überlegen war. Einen lästigen Zandalari hatte der Mensch getötet, indem er einen Pfeil in einen schmalen Spalt zwischen zwei Felsen schickte und dann einen zweiten auf die Stelle abfeuerte, an die der Feind sich zurückziehen würde, und zwar noch bevor das erste Geschoss sein Ziel überhaupt erreicht hatte. Vol’jin hatte derartige Kunstfertigkeit schon gesehen, aber noch nie, wenn die Ziele zurückschossen.
Was den Troll hochfahren ließ, war seine Umgebung. Der Tempel des Weißen Tigers war weder opulent noch in irgendeiner Form des Wortes komfortabel, aber er war warm und voller Licht. Die Kammer, die man Vol’jin zugewiesen hatte, ähnelte der, die er im Shado-Pan-Kloster bewohnt hatte, aber die helleren Farben und das Grün, das er durch die Fenster sehen konnte, ließen sie viel größer erscheinen.