Taran Zhu hob mahnend die Pfote. „Ihr habt eine wichtige Weggabelung erreicht, Vol’jin, also hört Euch das Ende der Krabbengeschichte an. Jener andere Bruder, der nach einem neuen Zuhause suchte, fand einen anderen Totenschädel, einen, der größer war, und den Helm, der einst darauf gesessen hatte. Er musste nun also wählen: Schädel oder Helm.“
Der Troll nickte langsam. „Aber das ist nicht die einzige Wahl, die er hat.“
„Für die Shado-Pan ist es äußerst interessant, über diese beiden Optionen nachzudenken. Euch hingegen stehen in der Tat andere Möglichkeiten offen.“ Der Mönch nickte. „Falls Ihr weitere Gleichnisse hören möchtet, werde ich Euch gerne weiterhelfen. Und Ihr, so hoffe ich doch, werdet weiterhin mir in Angelegenheiten militärischer Strategie weiterhelfen.“
„Ja. Totenschädelkrabbe hin oder her, es ist ein Teil von mir.“
„Dann will ich Euch jetzt mit Euren Gedanken alleine lassen.“
Vol’jin ging aus seiner kauernden in eine sitzende Haltung über. Er war zu dem Schluss gekommen, dass kein Troll auf dieselbe Weise gefangen sein sollte, wie er es war, und dadurch hatte er sich selbst glauben gemacht, dass er kein Troll war. Zwar hatte er versucht, Außenstehenden zu beweisen, dass das nicht stimmte, doch an dem, was er in seinem Inneren glaubte, hatte das nichts geändert. Aber ich bin ein Troll. Ich habe überlebt. Alles, was ich vorher war, bin ich auch jetzt noch. Und mehr.
Er lachte um seiner selbst willen. Ich bin sogar schlau genug zu erkennen, wie dumm ich gewes’n bin.
Vol’jin sammelte sich und richtete seine Sinne nach innen. Anschließend öffnete er sich den Loa und schlüpfte in die graue Landschaft hinein, in der er Schatten innerhalb von Schatten erkannte, vage Silhouetten von Pflanzen und Bäumen aus den Dschungeln seiner Heimat. Er deutete das als gutes Omen, dann wirbelte er herum und sah Bwonsamdi über sich aufragen.
„Ich werde mich nicht noch einmal blind erwisch’n lassen.“
„Zumindest nicht von Orcs.“ Der Wächter der Toten lachte hinter seiner Maske. „Wer ist das, den ich hier vor mir sehe.“
„Ein Troll. Das sollte für den Moment reichen.“ Vol’jin streckte ihm die Hand entgegen. „Du musst es mir zurückgeben.“
„Was habe ich denn deiner Meinung nach?“
„Mein Selbstverständnis als Troll.“
Wieder lachte Bwonsamdi, wobei er eine funkelnde schwarze Perle von seinem Gürtel nahm. „Als du herkamst, hattest du dich selbst davon überzeugt, dass du kein Troll bist. Ich dachte nicht, dass du es noch brauchen würdest.“
„Aber du hast es für mich aufbewahrt.“ Vol’jin nahm die Perle und bettete sie in seine Hände. Dort verharrte sie, völlig gewichtslos, und sandte stechende Funken in seine Handflächen; es fühlte sich an wie eine eingeschlafene Extremität, die wieder aufwacht. „Ich danke dir.“
„Und ich danke dir für jene, die du mir geschickt hast.“ Das Loa blickte über die Schulter auf eine ferne Phalanx von Zandalari. „Sie hassen es, unter meinem Schutz zu stehen.“
„Ich werde dir noch mehr schick’n.“
„Du bist ein pflichtbewusster Troll.“
Vol’jin schloss die linke Hand um die Perle. „Die anderen hab’n mir Visionen geschickt. Warum?“
„Um dich daran zu erinnern, was es heißt, ein Troll zu sein.“
„Aber die Vision, die die Mutter der Gifte mir gezeigt hat – sie richtet sich gegen ihre Zandalari.“
„Sie glauben, dass sie die Mutter mit ihren Taten erfreuen. Das heißt nicht, dass sie wissen, was die Mutter wirklich will.“ Bwonsamdi zuckte mit den Schultern. „Wenn man nicht hart dafür arbeitet, kann ein Opfer dann würdig sein?“
„Sie stellt mich ihren Leut’n also in den Weg, damit sie sich mehr anstreng’n müssen?“
„Und du stehst ein wenig in der Schuld der Mutter, falls sie scheitern.“
„Wenn sie scheitern.“
„Ha! Darum habe ich dich schon immer besonders gemocht, ganz gleich, wer du bist.“
„Sobald ich entschieden habe, wer ich bin, wirst du es erfahren.“ Vol’jin lächelte. „Die Lippen toter Zandalari werden die Nachricht überbringen.“
„Mein Hunger ist groß, Troll. Und mein Wohlwollen mächtig.“
Vol’jin nickte, während die graue Welt langsam wieder zum Gipfel des Berges zusammenschmolz. Er öffnete seine linke Hand, doch die Perle war bereits in sein Fleisch eingesunken. Der Schattenjäger konzentrierte sich und spürte, wie ihre Essenz sich in seinem Körper ausbreitete und zu wirken begann. Bereits jetzt ließen die Schmerzen nach, und das Gewebe über seinen Wunden erneuerte sich.
An zwei Stellen steuerte der Troll den Prozess selbst. Die Naht an seiner Seite heilte er fast vollständig, ebenso seine Lungen, damit er wieder atmen konnte, doch die Narbe ließ er zurück. Er wollte, dass sie ihn weiter stach, ihn an die Fehler erinnerte, die er gemacht hatte.
Gleichsam heilte er seine Halswunde, und auch sie nicht ganz. Sie sollte weiterhin das Melodiöse aus seiner Stimme nehmen, denn das war Vol’jins Stimme gewesen: die Stimme, die Garrosh gedroht hatte; die Stimme, die die Mission akzeptiert hatte. Diese Stimme wollte er nicht mehr hören.
Seine jetzige Stimme war ihm zwar noch nicht ganz vertraut, aber damit konnte er leben. Es war so, wie er es Bwonsamdi erklärt hatte: Fürs Erste genügte es, dass er ein Troll war. Mehr musste er nicht sein. Und sobald ich weiß, wer ich bin, werde ich die Stimme dieser Person erkennen.
Während er zum Kloster hinabstieg, wurde ihm klar, dass er in vielerlei Hinsicht wie die Totenschädelkrabbe gewesen war. Er hatte sich von anderen definieren lassen. Der Traum seines Vaters war sein Erbe geworden, und es hatte ihn geformt. Ihn gefangen, hätte er beinahe gedacht, aber sein Vater wäre schockiert gewesen, zu erfahren, dass sein Sohn sich eingesperrt fühlte. Ein Schattenjäger zu sein, die Dunkelspeertrolle anzuführen, in den obersten Rängen der Horde zu stehen – diese Dinge waren die Knochenplättchen gewesen, aus denen sich sein Totenschädel zusammengesetzt hatte.
Und da lag das echte Geheimnis dieser Parabel. Der Schädel und der Helm, der ihn einst beschützt hatte, waren für unterschiedliche Zwecke bestimmt. Beide Krabben brauchten Schutz, aber nur die Krabbe, die in den Helm kroch, traf die richtige Wahl. Die andere Krabbe mochte ein praktisches Heim gefunden haben, aber sie konnte nicht mehr weiterwachsen, um ihr Schicksal zu erfüllen.
Schädel, Helm oder … was? Die Mönche, die vor dieser Wahl standen, wandten sich entweder völlig nach innen und blieben im Kloster wie die Krabbe in ihrem Totenschädel. Andere – und Vol’jin ordnete Yalia Weisenwisper in diese Gruppe ein – konnten das Kloster verlassen und in jede Form hineinwachsen, die die Umstände verlangten. Hier in Pandaria gab es nur wenig Grund, über diese beiden Optionen hinauszublicken, und falls doch jemand eine dritte Möglichkeit suchte, dann gab es da noch den Panzer der Schildkröte, ein Leben als Abenteurer, wie Chen es gewählt hatte.
Für mich hingeg’n … Es war nicht so, als wären die Elemente, die er als Knochen seines Totenschädels verstand, in irgendeiner Form schlecht. Der Traum seines Vaters hatte viel Gutes, und Vol’jin glaubte daran. Ebenso verhielt es sich mit der Führung der Dunkelspeere und mit seiner Rolle in der Horde. Vol’jin hatte die Angebote der Zandalari abgelehnt und die Horde als Verbündete für seine neue Welt gewählt. Doch nun hatte sich die Horde gegen ihn gewandt.
Die Entscheidung, die er treffen musste, war alles andere als einfach, und das akzeptierte er. Gleichzeitig wurde ihm klar, wie viele Entscheidungen bisher von anderen für ihn getroffen worden waren. Darin hätte er etwas Schlechtes sehen können, doch das tat er nicht. So hatten die Ermutigungen seines Vaters und die Erwartungen der anderen ihm die Entscheidung leicht gemacht, ein Schattenjäger zu werden – nicht, dass es leicht gewesen wäre, danach wirklich ein Schattenjäger zu werden. Er hatte es nie bereut, aber er hatte auch nie wirklich über eine Alternative nachgedacht.