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„Ich glaube, das ist ein vorbestimmter Kurs, dem sie folgen sollten. Wenn du die Unterkante der Seite auf die Höhe des Horizonts hältst, findet man bestimmt ein Sternbild, das der Anordnung der Punkte entspricht. Das zeigte ihnen, in welche Richtung sie weitergehen sollten.“ Er runzelte die Stirn. „Von hier können wir den Nachthimmel natürlich nicht sehen, und die Konstellationen sehen hier auch anders aus, aber ich glaube, wir können herausfinden, wohin sie nach dem Sturm weiterziehen wollten.“

„Das wäre gut.“

Tyrathan stellte seinen Tee ab und starrte auf den schwarzen Ledereinband des Buches. „Sollen wir reinen Tisch machen.“

„Was meinst du?“

Der Mensch deutete in die ungefähre Richtung, in der sich das Bauernhaus befunden hatte. „Du bist ungewöhnlich still, seit wir den Hof verlassen haben. Was ist los?“

Chen blickte in seine Schale hinab, aber die dampfende Flüssigkeit enthüllte ihm keine Antworten. „Die Art, wie du sie getötet hast. Das war kein Kampf. Das war nicht …“

„Fair?“ Der Mann seufzte. „Ich habe die Situation abgeschätzt. Sie waren zu viert, und sie waren besser für den Kampf gerüstet als wir. Ich musste möglichst schnell möglichst viele von ihnen töten oder kampfunfähig machen. Ich musste sicherstellen, dass sie uns nicht angreifen können, zumindest nicht effektiv.“

Tyrathan sah Chen an, einen leicht gequälten Ausdruck auf dem Gesicht. „Stell dir vor, die beiden wären nicht an den Boden genagelt gewesen, als du durch die Tür gestürmt bist. Oder der Troll in der Ecke. Sie hätten dich niedergemetzelt und dann mich getötet.“

„Du hättest sie durch den Boden erschießen können.“

„Das ging nur, weil ich unter ihm war und sein Zauber so ein liebliches Licht verströmt hat.“ Tyrathan seufzte. „Was ich tat, war grausam, ja, und ich könnte sagen, dass der Krieg immer grausam ist, aber das wäre respektlos dir gegenüber. Es ist … Mir fehlen die Worte, um es zu beschreiben …“

Chen schenkte ihm ein wenig Tee ein. „Dann such die Worte! Du bist ein guter Fährtenleser.“

„Nein, mein Freund. Ich bin nicht gut darin, Fährten zu lesen. Ich bin gut darin, zu töten.“ Der Mensch trank und schloss die Augen. „Ich bin gut darin, aus der Entfernung zu töten, damit ich die Gesichter meiner Opfer nicht sehen muss. Ich will sie nicht sehen. Ich will nicht, dass meine Feinde mir nahe kommen, ich will sie auf Distanz halten. Ich halte überhaupt jeden auf Distanz. Es tut mir leid, falls das, was du gesehen hast, dich schockiert hat.“

Der Schmerz in der Stimme des Mannes quetschte Chens Herz zusammen. „Es gibt noch mehr, worin du gut bist.“

„Nein, nicht wirklich.“

„Was ist mit Jihui?“

„Ein Spiel für einen Jäger – zumindest so, wie ich es spiele.“ Tyrathan lachte halbherzig, dann lächelte er. „Darum beneide ich dich, Chen. Du kannst Leute zum Lächeln bringen. Du gibst ihnen ein gutes Gefühl. Wenn ich losziehen und genügend Tiere für ein Bankett erlegen und dann daraus das beste Festmahl zubereiten würde, das je ein Mensch gegessen hat, dann würde man sich meiner erinnern. Aber du müsstest nur auftauchen und eine deiner Geschichten erzählen, und niemand würde dich je wieder vergessen. Du berührst die Herzen der Leute. Ich durchbohre ihre Herzen höchstens mit der Spitze eines Pfeils.“

„Vielleicht trifft das auf die Person zu, die du einmal warst, aber du musst nicht mehr so sein.“

Der Mann zögerte einen Moment und nahm einen weiteren Schluck Tee. „Du hast recht, aber ich fürchte, dass ich wieder zu genau derselben Person werde. Siehst du, ich bin gut im Töten, sehr gut sogar. Und ich habe Angst, dass ich zu großen Gefallen daran finde. Dich hat die Sache in dem Bauernhaus vielleicht schockiert, aber mich noch viel mehr.“

Chen nickte wortlos, denn es gab nichts, was er hätte sagen können, um das Herz dieses Menschen zu berühren. Ihm wurde klar, dass dies in den Augen der meisten Pandaren das Ende von Huojin war. Sich seiner Impulsivität hinzugeben, hieß, sich kaum noch um jemanden oder etwas anderes zu scheren. Ein gesichtsloser Feind in der Distanz ließ sich leichter töten als jemand, der nur eine Schwertlänge entfernt stand. In seiner extremsten Form war Huojin ein Vorbote des Bösen, denn dann machte es alles Leben wertlos.

Im logischen Umkehrschluss konnte Tushui dazu führen, dass man so lange über alles nachdachte, bis man zu keiner Handlung mehr fähig war. Doch das wäre wohl kaum die Antithese des Bösen. Genau darum betonten die Mönche auch die Bedeutung des Gleichgewichts. Er blickte Tyrathan an. Ein Gleichgewicht, das sich meinem Freund entzieht.

Die Frage der Balance beschäftigte Chen den Rest ihres Rückweges zum Kloster. Er suchte den Angelpunkt seines eigenen Gleichgewichts, und alles schien auf die Frage hinauszulaufen, ob er eine Familie gründen oder weiter die Welt erforschen sollte. Doch mit Yalia an seiner Seite konnte er sich vorstellen, beides zu haben und sich die besten Aspekte des Lebens herauszupicken.

Während sie weiter durchs Land reisten, stellte Tyrathan anhand des Protokollbuchs einige Berechnungen an. „Es ist nur eine grobe Schätzung, aber ich glaube, sie ziehen ins Herz von Pandaria.“

„Das Tal der Ewigen Blüten.“ Chen blickte nach Süden. „Ein wunderschöner und uralter Ort.“

„Du warst schon dort?“

„Ich habe meinen Dienst am Schlangenrücken im Westen geleistet, daher weiß ich von seiner Pracht. Aber ich habe das Tal noch nie betreten.“

Tyrathan lächelte kurz. „Wahrscheinlich wird sich das schon sehr bald ändern. Dort werden wir die Zandalari finden, und ich habe das Gefühl, dass keiner von uns dieses Wiedersehen genießen wird.“

19

„Untertreibungen werden in Zeiten des Krieges überbewertet, Meister Taran Zhu.“ Vol’jin nickte Chen und Tyrathan zu. „Ich freue mich, dass ihr zurück seid.“

Der Mensch erwiderte die Geste. „Und wir sind froh, dass wir es zurück wieder bis hierher geschafft haben. Deine Stimme hat sich erholt. Schön.“

„Ja, das ist sehr schön, Vol’jin.“ Der Braumeister lächelte. „Ich kann etwas Tee machen, der dir vielleicht noch mehr hilft.“

Der Troll schüttelte den Kopf. Ihm fiel eine gewisse Distanziertheit zwischen Chen und dem Menschen auf, aber jetzt war nicht die Zeit, sich damit zu befassen. „Besser wird es nicht. Zumindest nicht im Moment. Bei allem gebührend’n Respekt, Meister Taran Zhu, wir müssen mehr über dies’n Ort wissen.“

„Urteilt nicht zu streng über die Pandaren, Vol’jin. Die Art, wie wir die Dinge handhaben, wird Euch gewiss fehlerhaft vorkommen. Einen Fehler habt Ihr bereits gefunden: Dass wir kein richtiges Militär haben, empfindet Ihr als Fehler, und das, obwohl es hier seit Jahrtausenden keine erfolgreiche Invasion mehr gegeben hat. Womöglich wird die Zukunft Euch in diesem Punkt recht geben.“ Der Anführer der Shado-Pan faltete die Pfoten hinter dem Rücken. „Nach dem, was Chen mir über die Welt jenseits der Nebel erzählt hat, saht auch Ihr Euch Katastrophen gegenüber, die niemand vorhersagen konnte. Ihr könnt also argumentieren, dass unsere Logik in dieser Hinsicht mangelhaft sei, aber sie hatte über Jahrtausende Bestand. Sie war eine Tatsache, so unumstößlich wie der Sonnenaufgang am Morgen und der Sonnenuntergang am Abend.“

„Eure Worte sind nicht sonderlich informativ.“

„Aber sie weisen Euch auf Eure Vorurteile hin, welche Euer Urteil vernebeln könnten, wenn Ihr seht, was ich Euch zu zeigen habe.“ Taran Zhu nickte in Richtung der Karte. „Es wird nur selten erwähnt, aber das Tal ist uns nicht fremd. Es ist sogar bewohnt, und die Flüchtlinge früherer Angriffe haben dort Schutz gefunden. Doch strategische Informationen und Details von der Art, wie Ihr sie wünscht, können wir nicht anbieten.“

„Für mich sieht es so aus, als hättet Ihr gehofft, Ihr könntet Pandaria vor dem bewahren, was dort lauert, indem Ihr das Tal totschweigt.“ Tyrathan betrachtete die Karte. „Aber ein Problem zu verbergen, löst es nicht.“