„Es behindert aber jene, die danach streben, dieses Problem zu entfesseln.“ Der alte Pandaren atmete tief ein und dann langsam wieder aus. „Was ich Euch nun zeige, wurde von einem Shado-Pan-Meister zum nächsten weitergereicht, und das seit der Zeit, bevor es die Shado-Pan überhaupt gab. Ich kann Euch nur zeigen, was man auch mir gezeigt hat, und ich weiß nicht, ob die Ängste und die Prioritäten meiner Vorgänger die Tatsachen verzerrt haben. Ebenso wenig kann ich Euch sagen, was im Lauf der Zeit vergessen oder ausgeschmückt wurde. Aber was ich nun mit Euch teile, habe ich noch keinem anderen Mönch gezeigt.“
Seine Pfoten tauchten auf Hüfthöhe wieder hinter seinem Rücken auf, dann breitete er sie aus. Dunkle Kugeln aus Energie knisterten in seinen Handflächen. Er hielt sie mit ausgestreckten Armen, die eine nach oben gereckt, die andere nach unten. Ein Fenster, durch das goldenes Licht strahlte, erschien im leeren Raum zwischen ihnen, und dann begannen sich Bilder innerhalb dieses Fensters zu bewegen.
„Dieses Gebiet liegt im Herzen der Tu-Shen-Begräbnisstätte verborgen. Der Donnerkönig – der erste Tyrann unter den Mogu und derjenige, mit dem Eure Zandalari am Anbeginn der Zeit ein Abkommen trafen – hatte unter sich einen Zirkel getreuer Gefolgsleute. Diese Kriegsfürsten wurden niedergemetzelt, als ihr Herr im Sterben lag. Vielleicht sollte dadurch verhindert werden, dass sie Anspruch auf seinen Thron erheben und das Reich in einen Bürgerkrieg stoßen. Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen, ist Folgendes: Die Mogu glauben, dass der Tod nicht immer endgültig ist und dass die Toten, oder Teile von ihnen, später wieder zum Leben erweckt werden können. Ich schätze, das ist der Grund für die Invasion in diesem Tal.“
Vol’jin sah genau hin. Zum ersten Mal erhaschte er einen Blick auf einen Mogu – anstatt sie nur zu fühlen, so wie damals in der Höhle. Sein Mund wurde trocken, sein Hals begann zu schmerzen. Diese Krieger waren noch größer als die Zandalari, mit gewaltigen Muskeln und grausamen Gesichtern. Man hätte meinen können, dass sie aus einem Basaltdolmen geschnitzt waren. Der Troll erinnerte sich an Taran Zhus Warnung, dass die Erinnerungen sie vielleicht Furcht einflößender machten, als sie in Wirklichkeit waren. Doch selbst wenn sie nur halb so groß und stark wären, würden sie noch immer einen furchterregenden Feind abgeben.
In der Vision marschierten sie durch Pandaria und setzten Schwert und Feuer ein, um ihre Herrschaft über das unterworfene Volk auszuweiten. Die Pandaren waren auf die Stufe eines Sklavenvolks herabgesetzt, und einige wenige, die genug Glück hatten, durften zur Unterhaltung der Mogu vor ihren Herren herumalbern. Sie lebten in Palästen aus Stein und führten eine vergleichsweise luxuriöse Existenz, doch damit war es schnell vorbei, wenn sich jemand durch einen ihrer Scherze beleidigt fühlte. Dann konnte nur das Bersten einer Wirbelsäule oder das Abhacken eines Kopfes die Mogu wieder zum Lachen bringen.
Einen Moment lang verschob sich die Vision, und Vol’jins Magen verknotete sich. Er war wieder in der Höhle, wo er gestorben war, doch jetzt war sie mehr als nur ein nasser, modriger Ort voller Fledermausguano. Jetzt wirkten dort Mogu-Zauberer ihre Magie. Gelege von Eidechseneiern – vielleicht Krokolisken; Vol’jin konnte es nicht erkennen, aber es spielte auch kaum eine Rolle – lagen in Gruppen angeordnet im Sand vergraben, durch Magie auf eine ganz bestimmte Temperatur erwärmt. Als die Kreaturen schlüpften, brachte man sie in einen Teil der Höhle, die, wie der Troll nun sah, eine Art Zuchtstation war.
Dort, in dem Gewölbe, wo er gestorben war, beschworen die Mogu die Magie, die er gespürt hatte: Titanenmagie. Die Magie, die die Welt geformt hatte. Sterbliche spielten an diesem Ort mit dem Stoff der Göttlichkeit, um simple Tiere in die Saurok zu verwandeln. Die Echsenmenschen setzten sie anschließend als Truppenersatz ein, der ihr Imperium schützte, damit die Mogu selbst die Früchte ihrer Eroberungen genießen konnten.
Der Prozess war grausig anzuschauen, dennoch konnte Vol’jin die Augen nicht abwenden. Knochen barsten und streckten sich, Gelenke knickten um, Muskeln zerrissen. Als sie wieder zusammenwuchsen, veränderte sich die Körperhaltung, und sie wurden noch kräftiger. Die Saurok stellten sich auf die Hinterbeine, während ihnen Finger wuchsen und Daumen sich verschoben. Binnen Minuten verwandelten sie sich von Eidechsen in schuppengepanzerte Krieger – doch das belegte weniger die Fähigkeiten der Mogu als vielmehr die schiere Macht der Magie, mit der sie spielten.
Der Troll erschauderte. Hat die Titanenmagie, die dies’n Ort verseuchte, mich vielleicht vor dem Tod bewahrt? Im ersten Moment, als ihm dieser Gedanke kam, wollte er lachen. Es würde Garrosh ähnlich sehen, seinen Mord an dem einzigen Ort zu planen, an dem er nicht sterben konnte.
Doch das Lachen blieb ihm im Halse stecken, als die Szenerie sich erneut verschob, hin zu einem Bild von Feuer und Blut, ungleich grimmiger als die vorherigen Bilder der Eroberung. Der Himmel war düster, rote Blitze krochen darüber wie Lava, bevor sie auf die Landschaft herabzuckten. Magie verzerrte die Realität, während die Pandaren ihre Mogu-Herren stürzten. Mönche führten den Kampf um die Freiheit an, und ihr Mut brachte ihnen den Sieg ein.
Nach dem Fall des Mogu-Reiches, als der Himmel heller wurde und das Blut aus den Flüssen und Strömen fortgespült war, trugen die Pandaren ihre getöteten Feinde zur Tu-Shen-Begräbnisstätte und bestatteten sie dort. Der Respekt, den sie den Kriegsfürsten der Mogu erwiesen, überraschte Vol’jin. Hätte er Tyrathan auf dem Schlachtfeld niedergestreckt, hätte er den Kopf des Menschen auf eine Stange gerammt und sie an einer Kreuzung aufgestellt, damit jeder Reisende von seinem Sieg erfuhr.
Das hat mit ihrem Sinn für Balance zu tun. Die Furcht und der Hass soll’n durch Respekt ausgeglichen werd’n. Er sah zu, wie die Grüfte versiegelt und alle Hinweise auf diesen Ort verborgen wurden, wie die Nebel sich erhoben, um Pandaria einzuhüllen. Das ist dann wohl ebenfalls ein Gleichgewicht. Der Frieden der Unsichtbarkeit, gut getarnt, als Ausgleich für die Schreck’n des Krieges. Ihre Güte gehört zu ihrem Heilungsprozess, und dass sie sich zurückgezog’n haben, war reine Notwendigkeit.
Als die Vision verblasste, begegnete der Troll Taran Zhus Blick. „Jetzt verstehe ich, Meister Taran Zhu. Ich verurteile Euch nicht.“
„Aber Ihr wünscht Euch, einige Dinge wären anders.“
„Mehr Dinge, als ich zähl’n kann. Aber mit Wünsch’n gewinnt man keine Schlacht.“ Vol’jin drückte den Finger auf die Tu-Shen-Region der Karte. „Ihr sagt, dort leben Leute. Was könnt’n sie uns über diesen Ort sagen?“
„Nur sehr wenig. Die meisten von ihnen sind zufrieden mit ihrem Leben dort. Sie erforschen weder ihre Umgebung noch sprechen sie mit Fremden. Es reicht ihnen völlig, in ihrem kleinen Paradies verborgen zu sein.“ Der alte Pandaren lächelte. „Und die wenigen, die eine abenteuerlustigere Natur hatten, wurden ermuntert, der Schildkröte nachzujagen.“
Chen hob den Kopf. „Damit wir nicht die Grüfte der Mogu-Kriegsfürsten und ihres Kaisers stören.“
„So ist es, Meister Sturmbräu. Einige Mogu haben zwar überlebt, aber sie stellten nie eine Bedrohung dar. Das wenige, was wir über die Zandalari wussten, erfuhren wir durch sie. Doch sie spielten die Mächte der Trolle herunter. Wir errichteten die Begräbnisstätte in dem Glauben, dass niemand die Fähigkeit oder den Drang hätte, die Mogu wiederzubeleben. Allerdings scheint es, als würden Eure Zandalari Schritte unternehmen, um eben das zu tun. Sie haben den Donnerkönig aus seiner Gruft geholt, und …“
Der Mensch verschränkte die Arme vor der Brust. „… jetzt sind sie zurück, um seine Kriegsfürsten zu befreien?“
„Sie würden seinen Willen und seine Macht um ein Vielfaches verstärken.“
Der Donnerkönig sieht in ihnen wohl das, was auch Garrosh in den Anführern der anderen Hordegrupp’n sieht. Vol’jin nickte. „Dann können wir logischerweise von zwei Ding’n ausgehen. Erstens: Das Ziel des Donnerkönigs wird es sein, seine Herrschaft wiederherzustell’n.“