Vol’jin hatte genug gesehen, und er war bereit weiterzugehen. Er blickte in die Gesichter seiner Begleiter. „Wir können nicht eingreif’n. Das wisst ihr.“
Tyrathan schluckte mit großer Mühe. „Ich kann ihn nicht ihrer Folter überlassen.“
„Du hast keine Wahl.“
„Nein, du hast keine Wahl.“
Der Troll nickte und nahm einen Pfeil aus dem Köcher. „Ich verstehe. Dann werde ich ihn töt’n.“
Tyrathans Kiefer sackte herunter, dann klappte er den Mund wieder zu und schüttelte den Kopf, aber er weigerte sich, Vol’jin in die Augen zu blicken. „Ich kann ihn nicht sterben lassen.“
„Ihn zu rett’n, wäre Selbstmord.“
„Wir können es schaffen.“
„Wer sind diese Menschen, dass du uns’re Leb’n und uns’re Mission für sie aufs Spiel setzt?“
Die Schultern des Mannes sackten herab. „Es ist nicht genug Zeit, um das zu erklären. Zumindest auf eine Weise, die Sinn ergeben würde.“
„Für dich oder für mich?“
„Vol’jin, bitte, es ist meine Pflicht.“ Der Jäger schloss die Augen, und Schmerz huschte über seine Züge. „Aber du hast recht, was unsere Mission betrifft. Bring die anderen von hier weg. Ich glaube, ich schaffe es auch allein. Wir müssen unserem Ziel schon sehr nahe sein. Betrachten wir es also als Ablenkungsmanöver. Bitte, mein Freund.“
Als Vol’jin die Qual in der Stimme des Menschen hörte, betrachtete er die Szenerie unter ihnen ein zweites Mal, anschließend nickte er. „Schleich dich runter, so nah an das Lager ran wie möglich. Ich werde ihren Anführer erschieß’n, dann werden sie mir folgen, direkt in einen Hinterhalt der Pandaren. Du befreist derweil die Gefangenen. Zieh dich mit ihnen in die Berge zurück!“
Tyrathan legte dem Troll eine Hand auf die Schulter. „Dieser Plan ist sogar noch dümmer als der, der uns hierhergeführt hat, mein Freund. Das kann nur auf eine Weise funktionieren, und zwar, indem ich mich bis zu der Felsgruppe dort vorarbeite. Du und die Pandaren, ihr schleicht euch hinunter in diese Senke nahe dem Eingang. Sobald die ersten Pfeile fliegen, müssen alle Zandalari sterben.“
Vol’jin musterte die beiden Punkte, die der Jäger ausgewählt hatte, und er musste ihm zustimmen. „Aber überlass mir das Schieß’n. Dir werd’n deine Leute aus dem Lager folg’n, aber wohl kaum einem Troll.“
„Der Mann, den sie aufgehängt haben … Er ist hier, weil sie mich für tot halten. Es ist besser, wenn sie das auch weiterhin glauben. Brüll sie einfach an und sag ihnen dann, sie sollen fliehen! Schwester Quan-li kann sie führen und zur Allianz zurückbringen.“ Tyrathan seufzte. „Das wird das Beste sein.“
Vol’jin maß den Abstand mit seinen Augen und nickte. Die Komplexität menschlicher Beziehungen einmal außen vor, wusste er doch, dass er den Zandalari im Nahkampf mehr Schaden zufügen konnte. Mehr noch, er wollte gegen sie kämpfen. Sie hatten verunreinigt, was dieses Tal eigentlich sein sollte, und dafür verdienten sie den Tod. Er wollte, dass sie die Verachtung in seinem Gesicht sahen, wenn sie starben.
„In Ordnung.“
Der Mann drückte die Schulter des Trolls. „Und ich weiß, dass du sie getroffen hättest.“
„Du weißt, dass ich besser geschoss’n hätte als du.“
„Das auch.“ Der Jäger lächelte. „Ihr werdet mein Signal erkennen, wenn ihr in Position seid.“
Tyrathan machte sich auf zu seinem Überfallpunkt, und Vol’jin kehrte zu den Pandaren zurück, um ihnen kurz die Lage zu erklären. Es überraschte ihn, dass keiner von ihnen gegen diesen wahnsinnigen Plan protestierte, aber dann fiel ihm ein, dass Chen stets ein treuer Freund gewesen war und dass Loyalität unter den Pandaren einen hohen Stellenwert hatte. Sie würden nicht blind an ihren Befehlen festhalten, wenn ein Freund ihre Hilfe brauchte – und genau diese Einstellung war es, die das Unmögliche bisweilen möglich machte. Darüber hinaus sahen die Mönche in der Befreiung der Menschen eine Gelegenheit, die Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. In diesem Sinne war es für sie vermutlich noch wichtiger einzugreifen als für Tyrathan selbst.
Die Einheit schlich mühelos an die vereinbarte Stelle und kauerte sich in einem kleinen Gehölz zusammen, zwanzig Schritt von der Lücke im Pfahlkreis entfernt. Allein dass der Zandalari-Offizier versäumt hatte, diese Sichtbehinderung abholzen zu lassen, war für Vol’jin Grund genug, ihn zu töten. Der Schattenjäger nahm die Gleve in die Hand und lächelte langsam.
Viereinhalb Fingerbreit.
Tyrathans Signal hatte die Form eines einzelnen Pfeils, der in den offenen Mund des Offiziers schoss. Der Troll hatte sich gerade wieder seinem Opfer zugewandt, sodass die beiden Krieger, die hinter ihm hockten, mit Blut bespritzt wurden. Bevor einer von ihnen aufspringen konnte, verschwand ein zweiter Pfeil in der Brust des einen und drang aus seinem Rücken wieder hervor. Der Krieger taumelte und spießte einen anderen Troll mit der blutigen Pfeilspitze auf, als er nach hinten fiel.
Der andere kauernde Troll kippte einen Moment später zurück und starrte ächzend auf die blaue Befiederung an dem roten Schaft hinab, die zitternd aus seiner Brust ragte.
Die Wachen am Eingang wirbelten zu dem Tumult am Lagerfeuer herum. Dieser Fehler kostete sie ihre Nachtsicht – nicht, dass es einen großen Unterschied gemacht hätte. Vol’jin näherte sich ihnen so leise wie der Tod, und die Shado-Pan waren die Schatten des Todes. Selbst Chen, der ein wenig hinter die anderen zurückfiel, verursachte so wenig Geräusche, dass sie im Knistern des Feuers und in dem gurgelnden Todeskampf der Wache bei den Gefangenen untergingen.
Der Dunkelspeer warf sich in den Kampf, und seine Gleve summte, als er sie durch die Luft wirbelte. Der erste Hieb zerfetzte einen Schenkel, und als der Troll sich zu ihm herumdrehte, sprang er zurück, doch nur, um wieder vorzuschnellen und mit seinem zweiten Streich den Schädel des Kriegers zu zerschmettern. Der herrliche Geruch von heißem Blut erfüllte die Luft, und Vol’jin wandte sich um, auf der Suche nach dem nächsten Opfer.
Rings um ihn griffen die Pandaren die Zandalari furchtlos an, obwohl die Trolle größer und schwer bewaffnet waren. Schwester Quan-li duckte sich unter einem Axthieb hinweg und stieß ihre messerscharfen Klauen in den Hals des Gegners. Der Zandalari ächzte und versuchte, trotz seines zertrümmerten Kehlkopfes Atem zu holen, aber da zerschmetterte die Pandaren mit einer Geraden seinen spitzen Kiefer, und der anschließende Drehtritt schickte ihn zu Boden.
Bruder Dao hatte sich einen Speer geschnappt und griff damit einen ebenso bewaffneten Troll an. Der Shado-Pan parierte jeden Hieb seines Gegners, und jedes Mal, wenn die Speere sich berührten, wich er ein Stück zurück. Der Zandalari sah das als Zeichen für die Furcht des Pandaren und fühlte sich seines Sieges schon sicher. Zwei weitere Paraden lang durfte er sich noch dieser Illusion hingeben, dann schnellte Dao nach vorne und wirbelte um die eigene Achse. Der Schaft seines Speers schlug gegen die Knie des Trolls und ließ sie einknicken, dann traf ein Faustschlag den Zandalari an der Schläfe. Vermutlich tötete ihn bereits dieser Treffer, in jedem Fall verlor er aber die Besinnung, sodass er die letzte Schmähung nicht mehr mit ansehen musste, als Dao mit dem Speer zustieß und ihn auf dem Boden aufspießte.
Chen stürmte ohne die Präzision der Shado-Pan in den Kampf, aber das machte er durch seine Erfahrung mehr als wett. Er wirbelte einen langen Stab in den Pfoten, wehrte damit einen Überhandschlag mit einem Kriegshammer ab und drehte sich dann, sodass die Waffe seines Gegners nach links abglitt. Der Troll, fest entschlossen, den kleineren Pandaren zu überwältigen, riss seinen Hammer in die andere Richtung zurück.
Chen ließ ihn gewähren, dann duckte er sich und hakte ein Bein hinter dem Knie des Zandalari ein. Nun musste er das Bein einfach nur anziehen, und sein Gegner landete auf dem Rücken. Der Troll prallte heftig auf, und einen Moment später sauste Chens rechter Fuß herab und donnerte auf den Hals des Kriegers hinab. Knochen barsten, und der Braumeister sprang seinem nächsten Feind entgegen.