Während des gesamten Kampfes sausten weiter Pfeile durch die Luft. Eines der Seile, mit denen der Gefangene aufgehängt war, riss mit einem lauten Schnalzen, und der Mensch drehte sich und prallte gegen den Baumstamm auf der anderen Seite, wobei er sich den Hinterkopf anstieß. Der nächste Pfeil durchtrennte auch den zweiten Strick, sodass der Mann auf den Boden sackte, während der Schaft zitternd in dem Baumstamm über ihm stecken blieb.
Die Zandalari erholten sich schnell von ihrem anfänglichen Schock, und nun setzten sie zum Gegenangriff an. Zwei von ihnen stürmten dabei zischend auf Vol’jin ein, wobei einer mit einem Schwert zu einem tiefen Schlag ausholte. Der Schattenjäger parierte den Hieb mit der einen Klinge seiner Gleve und riss dann das andere Ende der Waffe scharf nach oben. Die Klinge dort versank in der Brust des Trolls, aber als der Soldat nach hinten fiel, verhakte der Stahl sich zwischen den Rippen, und die Gleve wurde Vol’jin aus den Händen gerissen.
Der andere Zandalari brüllte siegessicher. „Jetzt stirbst du, Verräter!“
Vol’jin, die Hände zu Klauen gekrümmt, brüllte zurück.
Sein Gegner wirbelte einen dornenbesetzten Streitkolben auf Hüfthöhe, doch anstatt vor ihm zurückzuweichen, machte Vol’jin einen Schritt nach vorne. Das Handgelenk des Trolls prallte gegen seinen Brustkorb, und der Schattenjäger schlang seinen linken Unterarm rasch um den Arm des Zandalari, dann drehte er sich nach rechts zurück, mit genügend Wucht, dass der Ellbogen seines Feindes durchgedrückt wurde. Er drehte sich weiter, bis der Knochen aus dem Gelenk sprang und der Troll kreischend auf den Rücken fiel.
Nun wirbelte Vol’jin in die andere Richtung herum und rammte seine Faust durch das Gesicht des Kriegers hindurch.
Damit endete der Kampf ebenso abrupt, wie er begonnen hatte. Schwester Quan-li durchtrennte die Fesseln der Gefangenen, und Chen, der zu dem gefolterten Menschen geeilt war, ließ sich neben ihm auf ein Knie nieder. Vol’jin ging zu ihm hinüber, verlangsamte seine Schritte aber, als der Pandaren dem Mann auf die Beine half. Der Kerl betastete seinen Hinterkopf, und als er seine Hand zurückzog, klebte Blut daran, aber nicht sehr viel.
Nun blickte der Mensch zu dem Pandaren auf. „Wo ist er? Wo ist Tyrathan Khort?“
Vol’jin ergriff das Wort, bevor Chen antworten konnte. „Hier gibt es keinen Tyrathan Khort.“
Ein Feuer loderte in den Augen des Mannes, als er den Troll ansah. „Ich mag vielleicht Sterne sehen, aber es gibt nur einen, der so schießen kann. Ich kenne die Hand, die diese Pfeile bemalt und befiedert hat. Wo ist er?“
Der Dunkelspeer knurrte. „Er hat vielleicht diese Pfeile präpariert, aber Tyrathan Khort ist tot.“
„Ich glaube dir kein Wort.“
Vol’jin bleckte die Zähne. „Er ist durch meine Hand gestorb’n. Ich bin Vol’jin, Anführer der Dunkelspeertrolle.“
Das Blut wich aus dem Gesicht des Mannes. „Es heißt, du seist tot.“
„Dann sind wir jetzt beide Geister.“ Der Schattenjäger deutete mit seinem blutbefleckten Schwert nach Süden. „Verschwinde, bevor du auch noch einer wirst“
Anschließend nahm Schwester Quan-li den Menschen in ihre Obhut, und auch die anderen Gefangenen folgten ihr. Rasch suchten sie zwischen der Ausrüstung der Zandalari nach Vorräten, dann bewaffneten sie sich und flüchteten in die Berge.
Chen drehte sich zu Vol’jin herum. „Warum hast du gesagt, dass Tyrathan tot sei.“
„Es ist am besten so. Für sie, und für ihn.“ Der Troll wischte seine Gleve an einem toten Feind ab. „Geh’n wir.“
Vol’jin, Chen und die drei Mönche zogen sich aus dem Lager zurück, wobei sie mit den Zweigen, die die Zandalari von den Baumstämmen gehackt hatten, erst die Spuren der geflohenen Menschen und dann auch ihre eigenen verwischten. Anschließend machten sie sich auf den Weg nach Westen, zu der Stelle, wo die Pandaren zurückgeblieben waren, während Tyrathan und Vol’jin das feindliche Lager ausgespäht hatten.
Kaum dass sie auf die kleine Lichtung hinausgetreten waren, spaltete eine Säule aus Feuer die Nacht und blendete Vol’jin. Als seine Sicht sich langsam wieder klärte, stand eine Zandalari-Frau auf der anderen Seite der Lichtung, flankiert von einem halben Dutzend Bogenschützen mit angelegten Pfeilen und gespannten Sehnen. Tyrathan kniete vor der Anführerin der Gruppe, eine Augenbinde um den Kopf, die Hände hinter dem Rücken gefesselt.
Die Zandalari packte das Haar des Menschen und riss seinen Kopf nach hinten. „Dein Schoßhund hat mir große Unannehmlichkeit’n bereitet, Vol’jin. Aber ich bin heute in großzügiger Stimmung. Also leg deine Waffe nieder, dann müssen du und deine Pandaren-Freunde nicht erleb’n, was passiert, wenn meine Laune sich verschlechtert.“
23
Zorn flammte in Vol’jin auf, als er seinen Namen von ihren Lippen hörte. Er blickte den Menschen an, der zwar gefesselt war, aber nicht den Eindruck machte, als wäre er so sehr zusammengeschlagen oder gefoltert worden, dass er die Identität des Trolls preisgegeben hätte. Einen Moment später folgte hämische Scham, dass er diesen Gedanken überhaupt erwog. Tyrathan würde mich nicht verrat’n.
Vol’jin rammte seine Gleve in den Boden.
Die Zandalari neigte den Kopf zum Gruß. „Ich würde auf dein Wort vertrau’n, würdest du mir zusichern, dass ihr keinen Ärger macht, aber da ihr ja bereits Ärger gemacht habt, bin ich gezwung’n, deine Pandaren-Schoßhunde zu fesseln. Ich hege keinen Groll gegen die Pandaren, aber von mein’n Gastgebern hier kann man das leider nicht behaupt’n.“
Vol’jin blickte sich um. „Ich sehe niemand sonst.“
„So soll es auch ausseh’n. Ihr werdet mit mir kommen, eure Ausrüstung wird man später mitnehmen.“ Sie hielt inne, und einen unmerklichen Moment lang verengten sich ihre Augen. „Du erinnerst dich nicht an mich, oder?“
Er musterte sie lange genug, um sie glauben zu machen, dass er wirklich darüber nachdachte. „Ich will nicht lüg’n. Nein.“
„Das hatte ich auch nicht gedacht. Und danke für deine Ehrlichkeit!“ Sie ging voran zu dem Außenposten hinab und dann um den Zaun aus spitzen Pfählen herum. Dort, in der Mitte des Lagers, zwischen einer Handvoll Zandalari, die die Toten anstupsten und die Flugbahn der Pfeile mit den Augen abschätzten, standen zwei hochaufgeschossene, hünenhafte Gestalten. Vol’jin hatte ihresgleichen schon zuvor gesehen, in Albträumen und Visionen. „Deine Gastgeber.“
„Die Mogu. Herrscher von Pandaria.“ Sie lächelte nachsichtig. „Dir muss doch klar gewes’n sein, dass das hier eine Falle war. Nicht unbedingt für dich bestimmt, aber für deinen Bogenschütz’n. Es war nicht schwer, einen Köder auszuleg’n, dem er nicht widerstehen konnte.“
„Und du dachtest, wenn du ihn hättest, hättest du auch mich?“
„Das war meine Hoffnung.“
Sie gingen weiter nach Osten, in die Richtung, in die Schwester Quan-li mit den Menschen verschwunden war. Vol’jin sah keine Anzeichen dafür, dass man sie verfolgt hatte. „Wirst du den Köder gehen lass’n?“
„Falls es ihnen gelingt, dem zu entkommen, was ich hinter ihnen hergeschickt habe, sicher.“ Die Zandalari warf ihm einen Blick zu. „Du kannst dir wohl nicht vorstellen, dass ich sie entkomm’n lassen würde. Es würde mich in den Aug’n der Mogu weichlich erscheinen lassen, und sie halten uns ohnehin schon für schwach. Aber mir ist egal, ob deine Begleiter entkomm’n oder nicht. Es wäre mir sogar ganz recht, um die Wahrheit zu sagen. Die Geschicht’n, die sie zu erzählen haben, würden Furcht unter unseren Feind’n säen. Das wäre nützlicher als die Amani-Armee, die versprochen hat, unsere Flanke zu sichern.“
Vol’jin ging nicht darauf ein und versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen, als sie die Amani erwähnte. „Selbst wenn sie entkomm’n, niemand wird ihnen glaub’n.“
„Aber es würde eine nette Geschichte abgeb’n: ein adeliges Mitglied der Allianz, von Vol’jin aus der Hand von Troll’n gerettet. Mehr noch, von einem Vol’jin, der aus dem Grab zurückgekehrt ist.“ Sie führte ihn zu der Stelle, an der zwei Knechte die Zügel von schlanken Raptoren hielten. Hinter den Bestien standen zwei Karren, augenscheinlich von pandarischer Bauart, aber mit Mushan als Zugtieren.