Die Zandalari schwang sich in den Sattel des roten Raptors und wartete, dass er auf die grün gestreifte Echse stieg. „Dieses Tier hat dem Offizier gehört, den du getötet hast. Ich fand ihn irritierend, darum habe ich ihn gerne geopfert. Reite mit mir, Vol’jin! Fühle, wie es ist, durch dieses Land zu galoppier’n!“
Ihr Raptor sprang vor und raste davon. Die andere Echse reagierte prompt, als der Schattenjäger ihr die Fersen in die Seiten drückte, und nahm bereitwillig die Verfolgung auf. In dem Moment, in dem sie den Ritt vorgeschlagen hatte, hätte er sich nichts vorstellen können, was er weniger gewollt hätte, doch als der Wind nun mit seinem Haar spielte und sein Körper sich daran erinnerte, wie er sein Gewicht verlagern musste, um den Sprint des Raptors zu lenken, erwachte eine alte Freude in ihm. Die Geschwindigkeit und brutale Kraft des Tieres unter ihm, dazu die Gefühle, die dieses Land in ihm hervorrief – das war eine berauschende Mischung.
Vol’jin versetzte seinem Reittier einen weiteren Tritt in die Rippen, und der Raptor gehorchte in dem Wissen, wie viel schmerzhafter die Bestrafung wäre, wenn er nicht schneller rannte. Seine Klauen zerfetzten das goldene Laub auf dem Boden, und Vol’jin beugte sich über den Hals der Bestie, ein harsches, heiseres Lachen auf den Lippen, als er zu der Zandalari-Frau aufschloss und sie überholte.
Er raste weiter, ließ nun aber den Raptor seinen Kurs bestimmen; das Tier wusste, wohin es gehen musste, und Vol’jin war egal, wo dieses Ziel lag. Während er in diesem Sattel saß, vergaß er eine kurze Zeit lang alles: seine Mission, die Horde, Garrosh, das Kloster. Diese Bürde blieb im blutigen Staub des Zandalari-Außenpostens hinter ihm zurück, und er konnte wieder völlig frei atmen. Er wusste nicht, wann er sich zum letzten Mal so gefühlt hatte, nur, dass es schon sehr lange her war.
„Hier entlang!“
Ihr Ritt hatte sie auf den Mogu’shan-Palast zugeführt, der inzwischen fast den Höhepunkt seines nächtlichen Zyklus erreicht hatte. Die Zandalari lenkte ihren Raptor mit den Zügeln nach Osten und dann zwischen zwei Hügeln hindurch. Vol’jin folgte ihr und brachte seine Echse vor einem langen, niedrigen, mit einem spitz zulaufenden Dach versehenen Gebäude zum Stehen, dessen Flügel einen Hof hinter dem Bauwerk einrahmten. Er stieg ab, und nachdem er die Zügel dem Knecht zugeworfen hatte, der sich bereits des Raptors seiner Gastgeberin annahm, folgte er der Zandalari durch den Haupteingang nach drinnen.
Sie klatschte laut in die Hände, woraufhin Trolle mit gesenkten Köpfen aus anderen Durchgängen und Korridoren herbeieilten. Die meisten von ihnen waren Gurubashi, sofern Vol’jin die Tätowierungen richtig interpretierte, aber da war auch eine Handvoll Zandalari, die augenscheinlich das Kommando hatten.
Seine Gastgeberin deutete auf ihn. „Das ist Vol’jin von den Dunkelspeeren. Falls ihr ihm nicht den gebührend’n Respekt zollt, werde ich morgen eure Herzen zum Frühstück verspeis’n. Badet ihn und kleidet ihn angemessen!“
Die vorderste der Bediensteten zog die Nase hoch, als sie den Schattenjäger musterte. „Er ist ein Dunkelspeer, Herrin. Seine Sorte wälzt sich mit Schweinen im Dreck und trägt die Kleidung, die sie den Schweinehirten gestohlen hat.“
Die Zandalari verpasste ihr eine Ohrfeige mit dem Handrücken, so schnell und so hart, dass die Dienerin dem Schlag nicht einmal dann hätte ausweichen können, wenn sie eine Woche Zeit gehabt hätte, sich darauf vorzubereiten. „Er ist ein Schattenjäger. Die Loa acht’n ihn. Und du wirst dafür sorgen, dass er glänzt wie ein Gott. Wenn die Sonne morgen ihren Zenit erreicht, soll seine Schönheit den Mogu die Tränen in die Augen treiben und die Zandalari vor Neid heulen lassen. Falls du mich enttäuschst, wirst du meinen Zorn spür’n. Jetzt geht!“
Abgesehen von der uneinsichtigen Bediensteten, die sich flach auf den Boden geworfen hatte, eilten die anderen Trolle davon. Die Zandalari drehte sich herum und lächelte schmal. „Ich nehme an, deine Pandaren sind gehorsamere Diener. Manchmal glaube ich, selbst ein Mensch wie dein Bogenschütze würde einen besser’n Knecht abgeben. Wir werden über diese und andere Dinge reden, nachdem du dich gewaschen hast und angemessen gekleidet bist.“
Obwohl Vol’jin im Allgemeinen nicht viel für die Zandalari übrig hatte, war er doch von dieser Frau fasziniert. „Und dann wirst du mir auch helf’n, mich an deinen Namen zu erinnern?“
„Nein, mein lieber Vol’jin.“ Ihr Lächeln wuchs in die Breite. „Du wirst dich nicht daran erinnern können, denn du hast ihn nie gehört. Aber ich will ihn dir später nennen, und ich werde dir allen Grund geb’n, ihn nie wieder zu vergessen.“
Vol’jin hätte sich vermutlich ihrem Wunsch widersetzt, sich baden zu lassen, aber zu sehen, wie sehr die Bediensteten es hassten, sich um ihn kümmern zu müssen, gefiel ihm. Für sie war es eine weit schlimmere Folter, als es für ihn je sein könnte. Dass die Zandalari und Gurubashi seinen Körper waschen, sein Haar und seine Nägel schneiden, Salben auf seine Hände und Füße schmieren und ihn dann in einen edlen seidenen Kilt mit einem Gürtel aus Raptorleder kleiden mussten, das war kaum erträglich für sie. Und um es noch schlimmer zu machen, mussten sie ihm auch noch die Ehre erweisen, einen kleinen Dolch, wie er für Zeremonien benutzt wurde, in einer Hülle um seinen linken Oberarm zu schnallen, denn als Schattenjäger stand ihm dieses Privileg zu. Doch sosehr sie ihn auch als Mitglied eines unwürdigen, in Ungnade gefallenen Stammes von aufmüpfigen Mischlingen verachten wollten, wusste doch selbst der Dümmste von ihnen, dass sie selbst nie in den Genuss solcher Ehren kommen würden, wie sie ihm nun zuteilwurden.
Die Magie dieses Ortes flößte ihm zudem das Gefühl ein, dass ihm jede Ehrung und jedes Lob zustand. Ein kleiner Teil von ihm begrüßte sogar die Zuwendung seiner Gastgeberin, weil er nicht weniger verdient hatte. Die Gurubashi und Amani mochten nur ein abfälliges Zischen für den Dunkelspeer übrig haben, aber als der Zandalari-König Rastakhan versucht hatte, alle Trolle zu vereinen, hatte er da nicht nach Vol’jin geschickt, um die Dunkelspeere zu vertreten? Zugegeben, er hatte das Angebot abgelehnt, mit der Begründung, dass die Horde jetzt seine Familie war, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass man ihn eingeladen hatte.
Als er bereit war, führte ein Diener ihn mit langem Gesicht zum zentralen Hof. In seiner Mitte brannte ein Feuer in einem schlichten Steinkreis, daneben stand ein kleiner Tisch mit zwei goldenen Kelchen und einer gleichfarbigen Karaffe voll dunklem Wein. Zwischen Tisch und Feuer waren zwei Sitzmatten ausgebreitet, sodass die Erfrischungen komfortabel in Griffweite waren.
Die Zandalari kniete auf einer dieser Matten und stocherte mit einem Stock im Feuer herum, aber als er eintrat, erhob sie sich. Sie hatte sich umgezogen und Leder gegen Seide eingetauscht. Der Stoff war dunkelblau, aber die Blitze vom Mogu’shan-Palast zauberten auch hellere Töne auf das ärmellose Kleid, das an der Taille von einem einfachen goldenen Gürtel zusammengehalten wurde. Dieser Gürtel bestand aus Münzen, geprägt von den verschiedensten Nationen und in den unterschiedlichsten Epochen. Die Enden hingen der Zandalari bis zu den Knien, und Vol’jin vermutete, dass sie ihn sich wohl bald zweimal um den Körper schlingen müsste, wenn sie auf ihren Eroberungszügen noch weitere Münzen hinzufügte.
Sie deutete mit einer Hand auf den Wein. „Damit du dich stärken kannst. Du kannst den Kelch wähl’n und selbst einschenken. Ich werde von dem Kelch trinken, den du mir gibst, oder von beid’n. Du sollst wissen, dass ich keinen Verrat im Schilde führe. Du bist mein Gast.“
Vol’jin nickte, blieb aber so stehen, dass das Feuer zwischen ihnen war. „Dann schenk du ein, und wähl du einen Kelch aus! Du hast mir schon diese Ehre erwies’n, also werde ich dir vertrau’n.“