Sie goss Wein in beide Kelche, machte aber keine Anstalten, sie vom Tisch zu nehmen. „Ich bin Khal’ak, Dienerin von Vilnak’dor. Er ist für König Rastakhan, was du für Thrall warst, und mehr. Er kümmert sich um das Pandaren-Problem, und auch wenn er es nicht weiß, steht er tief in deiner Schuld.“
„Wie das?“
Khal’ak lächelte. „Zuerst ein wenig Geschichte: Ich diente Vilnak’dor und er unserem König, als Rastakhan Zul vorschlug, sämtliche Trolle unter einem Banner zu vereinen. Von all den Anführern hast nur du, Vol’jin von den Dunkelspeeren, dich dem Bündnis verweigert. Du hast dich umgedreht und bist gegang’n. Dabei bist du direkt an mir vorbeigeschritten. Ich sah zu, wie du davonmarschiert bist, und als du außer Sicht verschwund’n warst, habe ich noch lange deine Fußspur’n im Sand betrachtet. Ich fragte mich, was wohl zuerst vom Winde verweht würde, Zuls Träume oder diese Fußabdrücke.“
Kurz blickte sie auf das Feuer hinab. „Dementsprechend überrascht war ich in Zouchin, als einer meiner Krieger mir einen Fußabdruck zeigte, den ich mühelos wiedererkannte. Zu der Zeit hatten wir natürlich längst durch unsere Spione in der Horde von deinem Verschwinden erfahren. Die Gerüchte, die man sich erzählt, gereichen dir zur Ehre. Die meisten in der Horde glauben, dass du bei einer geheimen und unglaublich wichtig’n Mission gestorben bist, um sie zu schützen. Weithin trauert man um dich. Aber es gibt auch jene, die behaupt’n, man hätte dich ermorden lassen.“
Vol’jin zog die Augenbraue hoch. „Glaubt denn niemand, dass ich überlebt hab’n könnte?“
Khal’ak nahm die Kelche und streckte ihm beide zur Auswahl entgegen, als sie zu ihm trat. „Es gibt ein paar Verrückte, die das denken, und ein paar Schamanen sind davon überzeugt, dass du in den Rang eines Loa aufgestieg’n bist. Ein paar Trolle beten dich sogar an, und andere haben sich eine Dunkelspeer-Tätowierung ins Fleisch stechen lassen, meistens jedoch an der Seite oder an der Innenseite des Bizeps, da die Orcs nicht viel für solche Respektsbekundungen übrig hab’n.“
Er nahm einen der Kelche. „Aber warum soll dein Meister in meiner Schuld steh’n? Mag er gute Geistergeschicht’n?“
„Oh nein, seinen Dank hast du dir durch etwas viel Bedeutenderes verdient.“ Sie nippte an ihrem Wein und drehte sich um. Die Muskeln ihres schlanken Körpers bewegten sich geschmeidig unter der Seide, als sie gelassen zu der Sitzmatte hinüberging und sich hinkniete, beinahe wie ein Bittsteller vor einer Götterstatue, anschließend nahm sie einen zweiten Schluck. „Bitte, leiste mir Gesellschaft!“
Vol’jin kam ihrer Bitte nach, stellte den Wein aber auf dem Tisch ab, bevor er sich setzte. „Was ist nun mit deinem Meister?“
„Eins noch, Vol’jin. Ich halte dich nicht für einen Narr’n. Du wirst während dieser Unterhaltung viele Dinge erfahren, wichtige Dinge. Aber sei versichert, ich weiß genau, was ich mit dir teile. Dass ich das tue, hat seine Gründe. Ich werde ehrlich sein. Falls du eine Frage hast, stell sie, und ich werde sie beantwort’n, sofern es in meiner Macht steht.“
Er nahm seinen Kelch und trank. Der dunkle Wein schmeckte fruchtig und würzig, ein wenig nach Kalimdor, aber noch mehr nach Pandaria. Der Geschmack gefiel ihm, aber er wollte sich davon nicht einlullen lassen. „Du wolltest sagen …“
„Die Mogu sind arrogant und herablassend. Alles, was sie über Trolle wiss’n, entstammt den Geschichten aus der Zeit, bevor ihr Reich zusammenbrach. Was sie seitdem gesehen haben, sind Zandalari, die nur noch einen Bruchteil ihrer früheren Macht hab’n, und andere Trolle, die sie als minderwertige Mischlinge betrachten. Und das sind die Trolle, die mit uns kämpf’n. Das wenige, was sie von den Trollen gesehen haben, die sich der Horde anschlossen, hat ihre Vorurteile nur bestätigt.
Und dann noch die Sache in Zouchin, mit dir.“ Sie nippte an ihrem Kelch und fuhr sich anschließend mit der Zunge über die Lippen. „Ich wusste natürlich erst nicht, dass du es warst, und ich hatte auch keinen Grund dazu, hatte ich doch von deinem Tod gehört. Ich nahm an, dass die grimmigeren Gerüchte wahr wär’n, schließlich hast du dich Garrosh noch energischer widersetzt als meinem König. Ich war überzeugt, dass nur die Horde dich töt’n könnte, aber jetzt sehe ich, dass ich mich geirrt habe.“
Vol’jin antwortete ihr nicht mit Worten, aber er hob sein Kinn, damit sie die Narbe an seinem Hals sehen konnte.
„Ja. Ich hatte mich schon gewundert. Deine Stimme ist nicht mehr so, wie ich sie in Erinnerung hatte.“ Khal’ak lächelte. „Unsere Gäste von der Allianz haben ebenfalls von deinem Tod erfahr’n. Sie sind erleichtert, zumindest die meisten von ihnen. Viele Albträume, die du inspiriert hast, sind verschwund’n. Fürs Erste jedenfalls.
Aber zurück zu den Mogu. Sie fand’n es höchst amüsant, dass ein Mensch und ein Troll uns in Bedrängnis bringen konnten. Aber dass wir dich nicht fang’n konnten, kündete von einer Stärke, die ihnen imponierte. Als ich die Falle für den heutig’n Abend vorbereitete – ein Schauspiel, das ihnen übrigens sehr gefall’n hat, auch wenn sie sich ein wenig an der Gegenwart deiner Pandaren-Lakaien gestört hab’n –, da hoffte ich, du würdest mir ins Netz geh’n. Und wenn nicht du, dann zumindest deine Gruppe, damit ich deine Kapitulation im Austausch für ihr Leben erzwing’n könnte. So oder so, ich wollte dich wiederseh’n.“
„Warum?“
„Weil ich will, dass du dich uns anschließt. Das würde die Mogu beeindruck’n und ihnen zeigen, dass wir noch immer mächtig’n Einfluss im Rest der Welt haben. In ihren Augen haben wir bislang nichts geleistet, abgeseh’n davon, dass wir ihren schlafenden König wiedererweckt haben. In ihrer Arroganz ignorier’n sie die Tatsache, dass sie selbst diese Aufgabe in all den Jahrtausend’n seit dem Untergang ihres Reiches nicht erledig’n konnten. Dass ein Mensch und ein Troll uns behindern konnten, darin sehen sie Schwäche, ein Zeichen dafür, dass die Kraft in unserem Blut schwächer geword’n ist. Wenn du zu uns stoßen würdest, wäre das großartig.“
Vol’jin runzelte die Stirn. „Du warst doch dort. Ich habe das Angebot der Zandalari bereits abgelehnt.“
„Dies ist weder dasselbe Angebot, Schattenjäger, noch dieselbe Welt.“ Sie streckte die Hand aus und streichelte mit ihrem Finger die Wunde an seinem Hals und dann die an seiner Seite. „Damals sagtest du, die Horde wäre deine Familie. Aber sie hat dich verstoßen. Garrosh, feige und kleingeistig, wie er ist, hat die einzige Person niedermetzeln lass’n, die ihn mit Rat und Tat durch den Mahlstrom der Zukunft hätte führen können. Dein Volk sind die Dunkelspeere, und wir sind willens, sie zu den Ersten unter den Stämmen zu erheb’n.
Gewiss, die Gurubashi werden sich beschweren, die Amani werden jaulen, und sie werd’n auf ihre Geschichte pochen, aber ich werde ihnen ihre Fehler und ihr Versag’n aufzeigen. Denn die Dunkelspeere sind der einzige Stamm, der sich selbst treu geblieb’n ist. Dass ihr nicht zu den Herrschern eines großen Reiches aufgestieg’n seid, liegt nicht daran, dass ihr es nicht konntet. Ihr habt euch nur für einen anderen Weg entschied’n. Dass sie nach einem solchen Imperium strebten, kann nicht darüber hinwegtröst’n, dass sie versagt haben. Sie erwarten, dass man sie wegen Taten ehrt, die Jahrhunderte zurücklieg’n und die nur kurz darauf wieder ungeschehen gemacht wurd’n.“
Sie hob sein Kinn an, sodass ihre Blicke sich trafen, und das Versprechen einer glorreichen Zukunft funkelte in ihren Augen. „Dies ist mein Angebot an dich, Vol’jin Dunkelspeer von den Dunkelspeeren. Sei mir, was du Thrall warst! Entfalte deine ganze Macht als der Schattenjäger, den dein Volk braucht! Dein Volk: die Dunkelspeere und alle Trolle. Gemeinsam werd’n wir der Welt ihre Fehler aufzeigen, und wir werden wieder Recht und Ordnung in Lande bring’n, die schon viel zu lange unter ihrer Abwesenheit darben.“