Diese Befriedigung wurde noch größer, weil die Zandalari sich an wärmere und trockenere Stellen zurückzogen, während er im Bug stand.
Vol’jin war zufällig an Deck, als das Schiff die Insel des Donnerkönigs erreichte. Die Hafenanlagen sahen jünger aus als alles andere an diesem Ort, und sie trugen Merkmale zandalarischer Baukunst. Auf der linken Seite schleppten mehrere Mannschaften gerade etwas, das Schießpulver zu sein schien, und andere Vorräte in Lagerhäuser; der Schattenjäger konnte zwar nicht sagen, ob diese niedrigen Gebäude voll oder leer waren, doch selbst wenn sie nur halb gefüllt sein sollten, gäbe es dort genügend Material, um eine Armee sehr, sehr lange zu versorgen. Da sie Kriegsfürst Kao mit hierher gebracht hatten, war wohl davon auszugehen, dass man diese Vorräte, obwohl sie gerade erst entladen wurden, schon bald wieder zurückverladen würde, wenn die Vorbereitungen für die nächste Reise nach Zouchin begannen.
Nachdem ihr Schiff angedockt hatte, wurden die Gefangenen den Landungssteg hinuntergeschubst und auf einen von Ochsen gezogenen Karren gescheucht. Es war kaum mehr als ein Heuwagen, aber man hatte ihn mit Stoff überdacht, sodass die vier Gefährten in tiefer Dunkelheit nebeneinanderlagen. Doch es gab einige zerschlissene Stellen in der Leinwand, in die man mit dem Daumen Löcher hineinstoßen konnte. So vermochten Vol’jin und die anderen die Insel zu studieren, während der Karren über die Pflastersteine rumpelte, von denen mehr geborsten als heil waren.
Zu seiner Frustration sah der Troll viel zu wenig, doch dieses bisschen verriet ihm viel zu viel. Da er an Deck gewesen war, als sie den Hafen erreicht hatten, müsste es früher Vormittag sein, doch es hatte den Anschein, als wäre es gerade erst eine Stunde nach Mitternacht. Die einzige Lichtquelle, die wirklich etwas enthüllte, waren Blitze am Himmel. Sie ließen eine feuchte Sumpflandschaft erkennen, in der jeder Fleck trockenen Bodens von einem Truppenzelt oder einem Pavillon in Beschlag genommen wurde. Der Troll konnte einige der Standarten erspähen, als sie vorbeifuhren, und sie waren mannigfaltiger, als ihm lieb sein konnte.
Es hätte natürlich nur ein Trick sein können, dass die Zandalari so viele Zelte entlang der Route des Karrens aufstellten, um sie zu täuschen. Doch Vol’jin bezweifelte es. Der Gedanke, dass eine solche List nötig sein könnte, würde den Zandalari gar nicht erst kommen. Sie würden nicht glauben, dass ein Feind, der es bis hierher geschafft hatte, mit den falschen Informationen wieder von der Insel fliehen könnte, waren sie doch ohnehin überzeugt, dass kein Gegner gegen sie bestehen konnte. Unter diesen Umständen wäre eine Täuschung für sie nur eine ehrlose Zeitverschwendung gewesen.
So zu denken war natürlich töricht, aber in diesem Fall vielleicht nicht einmal ungerechtfertigt. Alles, was Vol’jin über die Präsenz der Horde in Pandaria wusste, waren mehrere Monate alte Zahlen, und Tyrathans Informationen waren sogar noch älter. Doch er hielt es für möglich, dass allein die gewaltige Menge an Zandalari und anderen Trollen reichen würde, um beide Fraktionen ins Meer zurückzudrängen. Falls sie ihre Karten richtig ausspielten – und Khal’ak würde dafür sorgen, dass sie es taten –, könnten sie die Horde und die Allianz vielleicht dazu bringen, einander zu bekriegen oder sich ganz auf den anderen zu konzentrieren. Dann könnte niemand die Pläne der Zandalari noch vereiteln.
Falls sie Erfolg haben, wird mir das meine Entscheidung abnehm’n.
Der Karren rollte langsam seinem Ziel entgegen, welches sich schließlich als hastig errichteter Gefängniskäfig aus Eisenstangen entpuppte, mit einer verriegelbaren Tür, die aussah, als hätte man sie von einem der Schiffe genommen und dann hier eingesetzt. Dieser Käfig befand sich auf einem kleinen Hügel in einem Sumpf, und das Einzige, was daran hervorzuheben war, war der stinkende Graben, der die Gefangenen von ihren Wachen trennte.
Noch bevor man Vol’jin zu seinen drei Kameraden in den Käfig werfen konnte, tauchte ein weiterer Wagen auf. Ein Soldat lenkte ihn, ein zweiter stand hinten auf dem Trittbrett, und über eine erhöhte Straße, die sich durch den Morast schlängelte, brachten sie den Troll geschwind zu einem Steingebäude in der Nähe eines niedrigen, düsteren Komplexes im Nordosten der Insel.
Nachdem seine Wachen ihn bis nach drinnen eskortiert hatten, begegnete er wieder Khal’aks Bediensteten. Sie gaben sich alle Mühe, ihn vorzeigbar zu machen. Sie nahmen ihm nicht nur die goldenen Ketten ab, sondern gaben ihm auch seinen Zeremoniendolch zurück. Anschließend hieß es wieder zurück auf den Wagen und hinüber zu dem größeren Gebäude, vor dessen Haupteingang nicht nur Doppelreihen von Qilenstatuen standen, sondern auch Khal’ak auf ihn wartete.
„Gut, so kannst du dich sehen lass’n.“ Sie umarmte ihn kurz. „Kao spricht gerade mit dem Donnerkönig. Um dich und deine Freunde zu retten – und lass mich dir noch einmal sag’n, dass es mir um die Mönche leidtut –, muss mein Meister für euch Fürsprache halt’n.“
Khal’ak führte ihn durch Krümmungen und Biegungen, die sich völlig seinem Orientierungsvermögen entzogen. Er konnte zwar keine Magie spüren, aber ausschließen ließ sich diese Möglichkeit nicht. Der Komplex war vermutlich wieder auf Vordermann gebracht worden, um den Donnerkönig nach seinem Erwachen aus dem Grab willkommen zu heißen, und Vol’jin nahm an, dass der Aufbau des Gebäudes für den Kaiser der Mogu eine gewisse Bedeutsamkeit barg, ein Gefühl der Vertrautheit. Es würde ihm den Übergang in eine Welt erleichtern, in der niemand ihn mehr kannte; eine Welt, die schon bald Grund haben würde, seine Rückkehr zu bereuen.
Zwei Wachen neben einer Tür salutierten, als Khal’ak zwischen ihnen hindurch in den Raum eilte. Vor der gegenüberliegenden Wand wartete Vilnak’dor auf sie, gekleidet in Roben nach Mogu-Schnitt, die augenscheinlich maßgeschneidert waren, um seinen ausladenden Bauchumfang zu bedecken. Der Zandalari-General war sogar so weit gegangen, seine Haare weiß zu färben und sie nach Art der Mogu zu kringeln, und Vol’jin kam es so vor, als würde er außerdem seine Fingernägel wachsen lassen, damit sie wie Klauen aussahen.
Khal’ak blieb stehen und verbeugte sich. „Meister, darf ich vorstellen …“
„Ich weiß, wer er ist. Ich hatte seinen Gestank schon in der Nase, bevor er das Zimmer betret’n hat.“ Der Zandalari-Anführer tat ihre Begrüßung mit einem wegwerfenden Winken ab. „Sag mir, Vol’jin von den Schaumschlägertrollen, warum sollte ich dich nicht gleich hier und jetzt umbring’n?“
Der Dunkelspeer lächelte. „Wäre ich du, hätte ich das vermutlich schon längst getan.“
26
Vilnak’dor starrte ihn an, seine Augen so weit, als wären sie durch die Gläser einer gestohlenen Gnomen-Brille vergrößert. „Hättest du das?“
„Sicher. Es würde Kriegsfürst Kao besänftig’n.“ Vol’jin öffnete die Hände. „Und so, wie du dich kleidest und dich herausputzt, scheint es deine größte Sorge zu sein, die Mogu glücklich zu mach’n. Mich zu töt’n, wäre da genau das Richtige.“ Er ließ die atemlose Fassungslosigkeit des Zandalari einen Moment im Raum hängen, dann fuhr er fort: „Es wäre aber auch ein gewaltiger Fehler. Und es würde euch euren Sieg kost’n.“
„Würde es das?“
„Ohne jeden Zweifel.“ Vol’jins Stimme war so leise und so rau wie während seiner Genesung. „Die Horde hält mich für tot. Ermordet. Doch es gibt Personen, die wiss’n, dass ich überlebt habe. Falls du mich umbringst und damit prahlst, werd’n die Dunkelspeere sich dir niemals anschließ’n. Dann könnte dein König alle Träume von einem vereint’n Trollreich begraben. Nebenbei würdest du die Horde dadurch zu einem stärkeren Feind mach’n, denn ohne mich wird niemand Garrosh noch Widerworte geb’n. Solange ich am Leben bin, muss er jetzt außerdem fürcht’n, dass ich die Wahrheit über die Geschehnisse erzähle. Khal’ak weiß, dass bereits Gerüchte die Runde mach’n. Ich könnte also der Pfeil sein, mit dem du Garrosh ins Herz triffst, wenn die Zeit gekomm’n ist.“