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Wenn man mir das nimmt, könnte man mich ebenso gut töt’n.

Das Scharren eines Stuhles oder Hockers auf seiner rechten Seite überraschte ihn. Er hatte niemanden näher kommen gehört. Vol’jin schnüffelte, und der Geruch, der ihn bald in den Wahnsinn trieb, der unterschwellig in allem hier enthalten war, drang nun mit der Wucht eines Faustschlags in seine Nase. Pandaren. Oder genauer: ein Pandaren.

Chen Sturmbräus Stimme, leise, aber voller Wärme, drang in einem Flüsterton an seine Ohren. „Ich hätte dich ja schon früher besucht, aber Meister Taran Zhu hielt es für unklug.“

Vol’jin versuchte zu antworten. Es gab eine Million Dinge, die er sagen wollte, doch nur wenige ließen sich mit den Worten ausdrücken, die seine Kehle aussprechen wollte. „Freund. Chen.“ Irgendwie kam Chen leichter über seine Lippen, wohl, weil es einen weicheren Klang hatte.

„Ich will nicht blinde Kuh mit dir spielen. Dafür bist du zu gut.“ Roben raschelten. „Wenn du die Augen schließt, nehme ich dir den Verband ab. Die Heiler meinen, deine Augen wären nicht verletzt, aber sie wollten, dass du möglichst ruhig bleibst.“

Der Troll nickte, obwohl er wusste, dass Chen nur die halbe Wahrheit sagte. Hätte man auf den Echo-Inseln einen Fremden zu ihm gebracht, hätte er ihm ebenfalls die Augen verbinden lassen, bis er entschied, ob er dem Gefangenen vertrauen konnte oder nicht. Zweifelsohne war das auch Taran Zhus Motiv gewesen; und aus irgendeinem Grund hatte er nun entschieden, dass er Vol’jin vertrauen konnte.

Das hab’ ich vermutlich Chen zu verdank’n.

Vorsichtig entfernte der Pandaren die Mullbinde. „Ich habe meine Pfote vor deinem Gesicht. Mach die Augen auf, dann ziehe ich sie langsam zurück.“

Vol’jin tat, wie ihm geheißen, und gab dann als Zeichen seiner Bereitschaft ein Grunzen von sich. Chen verstand es offenbar auch als solches, denn er zog nun seine Pfote zurück. Die Augen des Trolls tränten in dem grellen Licht, bevor schließlich die Gestalt des Pandaren in seinem Blickfeld erschien. Chen sah noch genauso aus, wie Vol’jin ihn in Erinnerung hatte – er war stämmig gebaut, hatte eine heitere Art an sich und besaß intelligente goldene Augen. Es war ein willkommener Anblick.

Anschließend sah Vol’jin an seinem eigenen Körper hinab, und beinahe hätte er die Augen wieder geschlossen. Laken bedeckten ihn bis zur Hüfte, und der Rest war fast völlig unter Bandagen verborgen. Ihm fiel aber auf, dass er noch beide Hände hatte und alle Finger. Die langen Umrisse unter der Decke ließen darauf schließen, dass seine Beine ebenfalls intakt waren. Er spürte zudem den Verband an seinem Hals, der seine Kehle zusammendrückte, und ein Jucken deutete darauf hin, dass man ihm zumindest einen Teil seines Ohrs wieder angenäht hatte.

Der Troll starrte auf seine rechte Hand und zwang die Finger zu einer Bewegung. Er sah, wie sie sich rührten, aber es dauerte eine Weile, bevor er es auch spürte. Seine Hand schien unmöglich weit entfernt, doch im Gegensatz zu dem Moment, als er zum ersten Mal erwacht war, konnte er sie immerhin fühlen. Das ist ’n Fortschritt.

Chen lächelte. „Ich weiß, du hast viele Fragen. Soll ich am Anfang oder am Ende beginnen? Die Mitte wäre vermutlich nicht der beste Startpunkt. Ich könnte zwar auch dort loslegen, aber das würde aus der Mitte dann den Anfang machen, nicht wahr?“

Chens Stimme wurde während der Erklärung und seiner humorigen Bemerkung lauter. Die anderen Pandaren wandten sich ab; ihr Interesse an der Unterhaltung war wohl in Erwartung eines langweiligen Vortrags geschwunden. Sie fielen Vol’jin jetzt erst auf, ebenso wie die dunklen, uralten Steinmauern. Wie so viele Orte, die er in Pandaria gesehen hatte, war auch dieser von einer Aura des Alters erfüllt, gleichzeitig vermittelte er aber ein Gefühl der Stärke.

Er wollte „Anfang“ sagen, aber seine Kehle weigerte sich. „Nicht Ende.“

Chen blickte nach hinten, und offenbar bemerkte auch er, dass die anderen Pandaren beschlossen hatten, sie zu ignorieren. „Also am Anfang. Ich habe dich aus einem schmalen Wasserlauf beim Dorf Binan gefischt, weit von hier entfernt. Wir taten dort für dich, was wir konnten. Du lagst nicht im Sterben, aber deine Wunden wollten auch nicht heilen. Es scheint, als wäre der Dolch, der deinen Hals verletzt hat, mit Gift bestrichen gewesen. Also brachte ich dich her, ins Shado-Pan-Kloster, am Kun-Lai-Gipfel, denn ich wusste, wenn dir jemand helfen kann, dann die Mönche.“

Er hielt einen Moment inne und betrachtete kopfschüttelnd Vol’jins Wunden. Der Troll sah aber kein Mitleid in diesem Blick, und er war dankbar dafür. Chen war schon immer scharfsinnig gewesen, wenn er nicht gerade den Narren spielte, und Vol’jin wusste, dass der Pandaren die Rolle des Narren vor allem deshalb spielte, damit andere seine wahre Intelligenz unterschätzten.

„Ich kann nicht glauben, dass Krieger der Allianz dir das angetan haben.“

Vol’jin kniff die Augen zusammen. „Mein. Kopf. Dann. Ab.“

Chen lachte. „Ja, wenn es so wäre, würde dein Kopf jetzt vermutlich gerade als Tafelaufsatz bei einem Mahl des Königs in Sturmwind dienen. Aber ich dachte mir schon, dass du dich von der Allianz nicht so kalt erwischen lassen würdest.“

„Horde.“ Vol’jins Magen wurde zu einem harten Klumpen. Es war nicht wirklich die Horde, es war Garrosh. Seine Kehle zog sich zusammen, bevor er den Namen aussprechen konnte, aber allein, dass er es versuchte, ließ einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge zurück.

Chen setzte sich auf und kratzte sein Kinn. „Darum habe ich dich hergebracht. Dies ist ohnehin der einzige Ort, wo du genesen kannst, aber es ging mir auch um deine Sicherheit …“ Der Braumeister rutschte nach vorne und senkte die Stimme. „Garrosh führt jetzt die Horde. Thrall ist fort, richtig? Und jetzt will er seine Rivalen loswerden.“

Der Troll ließ sich auf die Kissen zurücksinken. „Nicht. Ohne. Grund.“

Chen lachte in sich hinein, aber sosehr er sich auch anstrengte, Vol’jin konnte keinen Tadel in der Geste erkennen. „Kein Allianzkopf, der je ein Kissen berührt hat, hatte nicht schon Albträume von einer Begegnung mit dir. Dass dasselbe auch für einige Köpfe in der Horde gilt, ist eigentlich nicht weiter verwunderlich.“

Vol’jin versuchte zu lächeln, und er hoffte, dass es ihm gelang. „Du. Auch?“

„Ich? Nein, nie. Leute wie ich, wie Rexxar – wir haben gesehen, wie wild und furchterregend du in der Schlacht bist. Aber wir haben auch gesehen, wie du um deinen Vater getrauert hast. Du warst Thrall und der Horde und dem Dunkelspeerstamm stets treu. Das Problem ist nur, wer selbst nicht loyal sein kann, kann nicht akzeptieren, wenn andere es sind. Jemand wie Garrosh sieht darin nur eine Maske, hinter der sich Verrat verbirgt.“

Vol’jin nickte. Er wünschte, seine Stimme würde ihm erlauben, Chen von seiner Morddrohung gegen Garrosh zu erzählen, aber er wusste, der Pandaren würde auch dann bei seiner Einschätzung bleiben. Seine Loyalität hätte ihm ein Dutzend Rechtfertigungen aufgezeigt, um die Drohung zu legitimieren, und Vol’jins gegenwärtiger Zustand hätte jede einzelne davon bestätigt.

Das Einzige, was dadurch bewies’n wäre, wär’ die Tiefe von Chens Freundschaft.

„Wie. Lange?“

„Lange genug, dass ich in der Zwischenzeit mein Frühlingsbier brauen konnte und mein Spätfrühlingspanasch schon halb fertig ist. Oder mein Frühsommerbräu. Wir Pandaren nehmen es mit der Zeit nicht so genau, und die, die in Pandaria leben, noch viel weniger. Es ist einen Monat her, dass wir dich gefunden haben, und zweieinhalb Wochen, seit wir dich herbrachten. Die Heiler haben ein Mittel deine Kehle hinuntergeträufelt, damit du schläfst.“ Er hob die Stimme, damit auch die anderen ihn hören konnten, die sich wieder näher herangeschoben hatten. „Ich habe ihnen gesagt, ich könnte dir einen heißen schwarzen Tee mit etwas Seetang und Kräutern kochen, um dich in kürzester Zeit wieder auf den Beinen zu haben. Aber sie glaubten nicht, dass ein Braumeister genug über Heilung oder über Trolle weiß. Aber immerhin haben sie dir ein wenig Nahrung eingeflößt, Hopfen und Malz ist bei ihnen also noch nicht ganz verloren.“