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Der Mann musterte Fidelma mit zusammengekniffenen Augen.

»Was tut eine Nonne aus Cashel hier in Fearna? Willst du nur gegen die Handlungen der Äbtissin protestieren, oder hast du noch ein anderes Anliegen?« wollte er wissen.

»Die Äbtissin hat nicht erwähnt, daß ich eine dalaigh bei Gericht mit dem Rang eines anruth bin«, erwiderte sie. »Außerdem bin ich eine Freundin des Angelsachsen, der mit dem Tode bedroht ist. Ich bin hergekommen, um ihn gegen jede Ungerechtigkeit zu verteidigen.«

Der Fürst wurde etwas zugänglicher.

»Aha. Ich nehme an, es ist dir nicht gelungen, die Äbtissin davon zu überzeugen, daß sie von ihrem schlimmen Vorhaben abstehen soll?«

»Es ist mir nicht gelungen, das Urteil abzuändern, das vom König und seinem Brehon bestätigt wurde«, formulierte Fidelma vorsichtig ihre Antwort.

»Was hast du jetzt also vor? Heute morgen wurde ein Mann hingemordet, und ein zweiter soll morgen umgebracht werden. Rache ist nicht unsere Art.«

Äbtissin Fainder stieß ein paar unartikulierte Laute aus, doch Fidelma ignorierte sie.

»Das ist nicht unsere Art, darin stimme ich dir zu. Aber wir können die Ungerechtigkeit nur bekämpfen, indem wir den Weg des Rechts beschreiten. Ich habe die Erlaubnis, zu untersuchen, ob es Gründe für eine Berufung gibt.«

Der Mann schnaubte vor Zorn. »Berufung! Quatsch!

Der Angelsachse soll morgen hingerichtet werden. Man muß seine Freilassung verlangen. Für juristische Spitzfindigkeiten ist keine Zeit mehr.«

Äbtissin Fainder kniff die Augen zusammen. »Ich muß dich warnen, Coba. Solche Forderungen werden auf Widerstand treffen. Wenn du versuchst, das Recht zu behindern ...«

»Recht? Barbarei ist das! Wer die juristische Tötung eines Menschen unterstützt, ist selbst beinahe ein Mörder und kann sich nicht als zivilisiert betrachten.«

»Ich warne dich, Coba, der König wird von deinen Ansichten unterrichtet werden.«

»Der König? Ein übellauniger junger Bursche, der sich in diesen Dingen schlecht beraten ließ.«

Fidelma legte dem alten Herrn die Hand auf den Arm.

»Ein übellauniger junger Bursche mit großer Macht«, warnte sie ihn freundlich. Der Fürst schien ihr mit einer Freimütigkeit zu reden, die ihm leicht schaden konnte.

Coba lachte trocken über ihre Vorsicht. »Ich bin zu alt und habe ein zu erfülltes Leben geführt, als daß ich vor Leuten mit Macht noch Angst hätte, wer sie auch seien. Und dieses ganze Leben lang, junge Frau, habe ich unser Recht, unsere Kultur und unsere Lebensauffassung bewahrt. Keine neue Barbarei soll meine Grundsätze verdrängen, ohne daß ich meine Stimme dagegen erhebe.«

»Ich verstehe deine Gefühle, Coba«, versicherte ihm Fidelma. »Ich teile sie auch. Aber als Friedensrichter deines Ortes mußt du wissen, daß es nur einen Weg gibt, Dinge in Frage zu stellen und zu ändern, nämlich den Weg des Rechts.«

Coba starrte sie einen Moment aus seinen tiefliegenden dunklen Augen an.

»Euer großer christlicher Lehrer, Paulus von Tarsus, hat einmal gesagt, das Gesetz sei der Schulmeister. Was glaubst du, was er wohl damit gemeint hat?«

»Und welches Gesetz hat er gemeint?« fuhr Äbtissin Fainder dazwischen. »Nicht das heidnische Gesetz, sondern das Gesetz des Glaubens.«

Coba ignorierte sie und sprach direkt zu Fidelma: »Die kennzeichnendste Eigenart unseres Gesetzes ist das Verfahren, nach dem Recht und Unrecht geschützt beziehungsweise wiedergutgemacht werden. Die offensichtlichste Auswirkung eines jeden Verbrechens ist die Schädigung einer anderen Person und die natürliche Folge, die sich daraus für den Täter ergibt. In jeder gut geordneten Gesellschaft herrscht der Grundsatz, daß der Schuldige seinem Opfer den zugefügten Schaden ersetzen muß.«

»So lautet das Gesetz der Brehons«, stimmte ihm Fidelma zu. »Du hast anscheinend diesen Grundsatz gut erfaßt.«

Coba nickte zerstreut. »In den fünf Königreichen haben wir ein System von Sühnepreisen, nach denen, entsprechend der Art der Schädigung und dem Rang der geschädigten Person, die Entschädigung und die Geldstrafen festgelegt werden. Die Absicht der Bre-hons war es, das Gesetz zum Schulmeister zu machen, der dem Übeltäter beibringt, daß der Schaden, den man ihm nun zufügt, dem Schaden entspricht, den er der geschädigten Person zugefügt hat.«

Wieder unterbrach ihn Äbtissin Fainder.

»Ich glaube an die römische Art der strafenden Wiedergutmachung, die da sagt: >Auge um Auge, Zahn um Zahn.< Das ist die Abschreckung und entspricht dem natürlichen Sinn des Menschen. Die natürliche Vergeltung für Mord besteht darin, auch dem Übeltäter das Leben zu nehmen. Tun das nicht schon streitende Kinder? Einer schlägt den anderen, und als Reaktion schlägt der zurück.«

Mit einer Handbewegung fegte der Fürst dieses Argument beiseite.

»Das ist ein System, das auf Furcht beruht. Gewaltsame Vergeltung für ein Verbrechen erzeugt wilden Haß, der die Täter antreibt, aus Rache noch mehr Gewalttaten zu begehen, und das führt zu neuer Vergeltung und vermehrter Furcht und Gewalt.«

Äbtissin Fainder errötete vor Zorn über diesen Zweifel an ihrer Autorität.

»Wir sind aus der ursprünglichen Barbarei herausgekommen. Andere ziehen es vor, darin zu verharren. Wenn wir Verbrechen verhindern wollen, dann müssen wir Mittel anwenden, die einfache, barbarische Gemüter verstehen. Wer die Rute schont, verzieht das Kind. Das trifft auch auf Erwachsene zu. Wenn sie erst einmal begriffen haben, daß Übeltaten mit dem Tode vergolten werden, dann sündigen sie nicht mehr.«

Fidelma fand es an der Zeit, in den hitzigen Streit einzugreifen.

»Eine solche Erörterung ist zwar sehr interessant, bringt uns aber nicht weiter. Ich bin gekommen, um dir ein paar Fragen zu stellen, Äbtissin Fainder. Mit deiner Erlaubnis würde ich Coba bitten, sich zurückzuziehen, damit wir die Sache unter uns besprechen können.«

Coba war nicht gekränkt.

»Mein Anliegen an die Äbtissin ist erledigt. Ich muß noch mit deiner rechtaire sprechen, Äbtissin Fainder.« Er wandte sich um und lächelte Fidelma kurz zu. »Ich wünsche dir Glück, Schwester Fidelma. Wenn du jemanden brauchst, der dich bei deinem Einspruch gegen den Vollzug dieser barbarischen Bußgesetze unterstützt, dann stehe ich dir zur Verfügung. Ganz bestimmt.«

Fidelma neigte dankend den Kopf.

Als Coba gegangen war, kam Fidelma sofort zur Sache.

»Du hast mir nicht gesagt, daß du es warst, die die Leiche des ermordeten Mädchens gefunden hat.«

Äbtissin Fainder verzog keine Miene.

»Du hast nicht danach gefragt«, antwortete sie ruhig. »Außerdem stimmt es nicht ganz.«

»Dann sag mir, wie es wirklich war.«

Äbtissin Fainder lehnte sich nachdenklich zurück und legte die Hände in ihrer gewohnten Haltung auf den Tisch.

»Wenn ich mich recht erinnere, kehrte ich in jener Nacht in die Abtei zurück ...«

»Eine merkwürdige Zeit für eine Äbtissin zur Rückkehr in ihre Abtei. Es war nach Mitternacht, hat man mir berichtet.«

Fainder zuckte die Achseln. »Ich kenne keine Regel, die einer Äbtissin vorschreibt, ihre Abtei nicht zu verlassen.«

»Wo warst du gewesen?«

Einen Moment verengten sich die Augen der Äbtissin vor Empörung. Dann entspannte sie sich und lächelte erneut.

»Das geht dich nichts an«, sagte sie ohne Groll. »Es genügt die Feststellung, daß das nichts mit dieser Angelegenheit zu tun hatte.«

Fidelma wußte, daß sie ohne nähere Kenntnis hier nicht weiterkam.