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Fidelma blieb stehen, und ihr Blick fiel auf den Mönch, der die anderen beaufsichtigte. Es war die stämmige, kriegerische Gestalt des Bruders Cett. Er maß sie mit einem schiefen Blick und entblößte seine brüchigen schwarzen Zähne. Sie hatte noch kaum einen Menschen gesehen, der so tierisch wirkte. Sie erschauerte. Neben ihm stand ein kleiner, drahtiger Mann in Schifferkleidung. Solche Hosen und Jacken aus Leder und Halstücher aus Leinen wurden gewöhnlich von Flußschiffern getragen. Er blickte nicht auf, als sie den Hof überquerten.

»Wir wollen zur Zelle des Angelsachsen, Cett«, rief ihm Schwester Etromma im Vorbeigehen zu.

Der Riese knurrte, was wohl Zustimmung bekunden sollte, doch der Laut konnte alles mögliche bedeuten. Die Verwalterin nahm es als Einwilligung, denn sie schritt weiter, und Fidelma folgte ihr schnell.

Sie stiegen die Treppe zu der Zelle empor, vor der ein anderer Mönch auf einem Holzschemel unter einer flackernden Fackel saß und sein Kruzifix betrachtete, das er in beiden Händen auf dem Schoß hielt. Er sprang auf, als sie sich näherten, und erkannte Schwester Etromma sofort. Wortlos schob er die Riegel an der Zellentür zurück.

Schwester Etromma wandte sich an Fidelma. »Rufe, wenn du wieder gehen willst. Ich habe anderes zu tun und kann nicht warten.«

Fidelma trat in die Zelle. Eadulf erhob sich, um sie zu begrüßen. Seine Miene war düster.

»Eadulf ...«, begann sie.

Er schüttelte rasch den Kopf. »Du brauchst es mir nicht zu sagen, Fidelma. Ich sah vom Fenster, wie du mit der anderen Schwester über den Hof kamst, und ich kann mir denken, wie das Ergebnis lautet. Hätte die Berufung Erfolg gehabt, hätte wohl Bischof For-bassach dich begleitet und dich nicht mit einer so traurigen Miene vorausgeschickt.«

»Es ist noch nicht sicher«, entgegnete Fidelma schwach. »Das Urteil über die Berufung wird Forbas-sach morgen früh verkünden. Es gibt noch ein wenig Hoffnung.«

Eadulf wandte sich dem Fenster zu. »Das bezweifle ich. Ich habe von Anfang an gesagt, über diesem Ort liegt etwas Böses, das mein Ende bestimmt.«

»Unsinn!« fuhr Fidelma hoch. »Du darfst nicht aufgeben.«

Eadulf blickte über die Schulter zurück und lächelte trübe.

»Ich glaube, ich kenne dich lange genug, Fidelma, so daß du mir nichts vormachen kannst. Ich lese es in deinen Augen. Du betrauerst schon meinen Tod.«

Rasch berührte sie seine Hand. »Sag das nicht!«

Zum erstenmal hörte er ihre Stimme brechen und wußte, daß sie den Tränen nahe war.

»Es tut mir leid«, murmelte er verlegen. »Das war dumm von mir.« Er merkte, daß sie ebensosehr Halt brauchte wie er, um dem Schrecklichen entgegenzugehen. Eigensüchtige Gefühle kannte Eadulf nicht. »Also wird Bischof Forbassach morgen früh über deine Berufung befinden?«

Sie nickte, sprechen konnte sie nicht.

»Gut. Dann nehmen wir es, wie es kommt. Könntest du inzwischen Schwester Etromma bitten, mir Wasser und Seife zu verschaffen? Ich möchte anständig aussehen, was der Morgen auch bringen mag.«

Fidelma spürte, wie Tränen in ihren Augen brannten. Plötzlich nahm Eadulf sie in die Arme, preßte sie fest an sich und schob sie dann fast gewaltsam weg.

»So! Nun geh, Fidelma. Überlaß mich meinen Meditationen. Ich sehe dich morgen früh.«

Sie verstand ihn. Es gab zu viel zwischen ihnen, als daß sie bleiben dürfte. Im nächsten Moment würden sie beide die Kontrolle über ihre Gefühle verlieren. Sie drehte sich um und rief rauh nach dem Mönch draußen. Gleich darauf knirschten die Riegel, und die Tür flog auf. Sie warf keinen Blick zurück in die Zelle, als sie ging.

»Bis morgen, Eadulf«, murmelte sie.

Bruder Eadulf gab keine Antwort, und die Zellentür schlug hinter ihr zu.

Fidelma kehrte nicht sofort zum Gasthaus zurück, sondern ging am Flußufer entlang und fand schließlich einen einsamen Platz am Ende der Kais, wo sie sich in der Dunkelheit auf einem Baumstamm niederließ. Der Mond schien leuchtend hell, seine Strahlen tanzten geheimnisvoll auf den Wellen. Sie saß still da, heiße Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie hatte zuletzt geweint, als sie ein junges Mädchen war. Sie unternahm nicht einmal den Versuch, sich der Meditationstechnik dercad zu bedienen, um ihre stürmischen Gefühle zu dämpfen. Seit sie wußte, welche Gefahr Eadulf drohte, hatte sie sich bemüht, sie zu beherrschen. Ihm half sie nicht, wenn sie ihnen nachgab. Sie mußte stark bleiben, sich von ihren Gefühlen lösen, um logisch denken zu können.

Doch sie war hin- und hergerissen zwischen schrecklicher Verzweiflung und tiefer Empörung. Seit sie Eadulf kannte, hatte sie versucht, ihre Gefühle zu verbergen, sogar vor sich selbst. Sie trug ihre Pflicht wie eine Last: Pflicht gegenüber dem Glauben, dem Gesetz, den fünf Königreichen und ihrem eigenen Bruder. Jetzt, in dem Augenblick, da sie aufgehört hatte, ihre Gefühle zu leugnen, und sich selbst gegenüber zugab, wieviel Eadulf ihr bedeutete, drohte die Gefahr, daß er ihr für immer entrissen wurde. Es war . so unfair. Sie wußte, wie banal sich das anhörte, aber ihr fiel kein anderer Ausdruck ein, trotz ihrer Kenntnis der Philosophen des Altertums. Die würden ein so schändliches Schicksal damit erklären, daß die Götter es anders gewollt hätten. Das konnte sie nicht hinnehmen. Vergil schrieb: Fata viam invenient - die Götter werden einen Weg finden. Sie mußte einen Weg finden. Sie mußte es einfach.

Kapitel 9

Fidelma bewegte sich in ihrem unruhigen Schlaf.

Sie träumte. Im Traum sah sie den Leichnam des Mönchs am Ende des straffen Seils am hölzernen Galgen pendeln. Dahinter stand eine Gruppe von kapuzentragenden Gestalten, die den Toten auslachten und verhöhnten. Sie versuchte mit ausgestreckten Händen die hängende Gestalt zu erreichen, doch etwas drückte sie zurück. Hände hielten sie fest. Sie wollte sehen, wer es war, und drehte sich um. Hinter ihr erschien das Gesicht ihres alten Mentors und Lehrers, des Bre-hons Morann.

»Warum?« schrie sie ihn an. »Warum?«

»Das Auge verbirgt, was es nicht sehen will«, lächelte der Alte rätselvoll.

Sie wandte sich ab und wieder der hängenden männlichen Gestalt zu.

Es gab ein krachendes Geräusch. Zuerst glaubte sie, der Galgen breche zusammen, das Holz berste und splittere.

Dann merkte sie, daß sie wach geworden war und der krachende Lärm tatsächlich vor ihrem Zimmer entstand. Schwere Schritte polterten die Treppe des Gasthauses zum Gelben Berg hinauf. Sie hatte kaum Zeit, sich im Bett aufzurichten, als die Tür schon ohne weiteres aufgerissen wurde.

Bischof Forbassach stürmte herein, eine Laterne in der Hand. Hinter ihm drängten sich ein halbes Dutzend Männer mit gezogenen Schwertern, darunter eine bekannte, mächtige Gestalt. Es war Bruder Cett.

Bevor sie noch ganz bei Sinnen war, begann Bischof Forbassach mit hochgehaltener Laterne ihr kleines Zimmer abzusuchen, kniete sich hin und spähte unter das Bett.

Einer der Männer drückte ihr wortlos drohend die Schwertspitze auf die Schulter.

Fidelma war entsetzt und verwirrt, dann starrte sie mit wachsender Empörung die Männer an.

»Was soll das heißen?« fragte sie.

Plötzlich gab es ein Handgemenge vor der Tür. Einige Männer kamen ihren Kameraden draußen zu Hilfe, dann wurden Dego und Enda, die Arme auf den Rücken gedreht, hereingeschleppt. Sie waren anscheinend bei dem Lärm mit gezogenen Schwertern herbeigeeilt und von der Übermacht überwältigt worden. Nun standen sie, zwangsweise vornübergebeugt, zwischen Forbassachs Männern.

»Was hat dieser frevelhafte Überfall zu bedeuten, Forbassach?« fragte Fidelma kalt, ihr eisiger Ton verdeckte ihre kochende Empörung. Sie ignorierte die drohende Schwertspitze an ihrer Brust. »Hast du völlig den Verstand verloren?«