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Dego und Enda wechselten einen besorgten Blick.

Nach dem Frühstück war Fidelma in schweigendes Grübeln verfallen. Die beiden jungen Krieger wurden ungeduldig.

»Was jetzt, Lady?« fragte Dego schließlich laut. »Was sollten wir tun?«

Nach einem Moment bewegte sich Fidelma. Sie schaute Dego mit leerem Blick an, bis sie den letzten Teil seiner Frage erfaßte. Dann lächelte sie ihre Gefährten verlegen an.

»Es tut mir leid«, sagte sie reuig. »Ich bin alles im Geiste durchgegangen, kann aber den Faden nicht finden, der die Ereignisse miteinander verbindet, geschweige denn ein Motiv für die Tötung aller dieser Menschen.«

»Ist es so wichtig, das Motiv zu kennen?« fragte Dego.

»Wenn du das Motiv kennst, findest du im allgemeinen auch den Schuldigen«, bestätigte Fidelma.

»Sind wir nicht gestern abend zu dem Schluß gekommen, daß Gabran anscheinend den Faden bildet?« erinnerte sie Enda.

»Gerade seine Rolle in diesem Geheimnis habe ich versucht zu ergründen.«

»Warum fragen wir Gabran nicht selbst?« entgeg-nete Enda.

Fidelma lachte leise über seine direkte Art.

»Während ich hier meine Zeit damit vergeude, eine gewisse Ordnung in die Vorgänge zu bringen, kommst du geradewegs zur Sache. Du hast mich daran erinnert, daß ich meine eigene Regel außer acht lasse: keine Vermutungen aufzustellen, bevor ich die Tatsachen gesammelt habe.«

Dego und Enda standen rasch gemeinsam auf.

»Dann suchen wir doch den Schiffer, denn je eher wir ihn finden, Lady, desto eher hast du die Tatsachen«, meinte Dego.

Rauch stieg aus einem kleinen Wäldchen ein Stück vor Eadulf auf. Dort mußte jemand ein Feuer unterhalten. Hunger, Kälte und Müdigkeit ließen Eadulf einen Entschluß fassen. Er durchquerte den kleinen Wald und kam dahinter an eine große Lichtung, auf der eine Hütte an einem kleinen Wasserlauf stand. Sie war fest aus Steinen erbaut und hatte ein niedriges Strohdach. Er blieb stehen, denn ihm fiel auf, daß die Lichtung etwas Merkwürdiges an sich hatte. Sie war eben, und man hatte anscheinend alle Hindernisse weggeharkt bis auf schwere Pfähle, die an verschiedenen Punkten um die Hütte herum in ungleichen Abständen von ihr in den Boden getrieben waren. Sie schienen ein Muster zu bilden. An ihren oberen Enden trugen sie Kerben.

Eadulf hatte lange genug in den fünf Königreichen von Eireann gelebt, um zu erkennen, daß die Einkerbungen Zeichen in Ogham waren, der früheren Schrift, die nach Ogma, dem alten Gott der Schreibkunst und Gelehrsamkeit, benannt war. Fidelma konnte diese Schrift leicht lesen, aber er hatte sie nie beherrschen gelernt, denn sie benutzte Wörter, die veraltet und nicht mehr geläufig waren. Er fragte sich, was diese Pfähle bedeuteten. Zuerst hatte er angenommen, er wäre zu einer Holzfällerhütte gekommen, doch hatte er nie eine mit einer solchen seltsamen Anordnung von Pfählen drumherum gesehen.

Er trat ein paar Schritte vor und bemerkte die toten und welken Herbstblätter, die in einiger Entfernung von der Hütte in großer Menge lagen, während eigenartigerweise bis zu diesem Ring alles von Blättern frei gefegt war. Vorsichtig ging Eadulf noch einen Schritt weiter, wobei die Blätter unter seinem Fuß raschelten.

»Wer ist da?« rief eine kräftige Männerstimme, und ihr Besitzer erschien in der Tür der Hütte.

Eadulf sah, daß er mittelgroß war und langes strohblondes Haar hatte. Das Gesicht lag im Schatten der Tür, doch erkannte Eadulf seine muskulöse Kriegergestalt, und die kampfbereite Haltung seines Körpers verstärkte den Eindruck noch.

»Ein frierender und hungriger Mensch«, antwortete Eadulf leichthin und trat einen weiteren Schritt vor.

»Steh still!« fuhr ihn der Mann in der Tür an. »Bleib auf den Blättern.«

Dieser Befehl verblüffte Eadulf. »Ich bin keine Bedrohung für dich«, versicherte er und fragte sich, ob der Mann irgendwie gestört sei.

»Du bist Ausländer - Angelsachse nach deinem Akzent. Bist du allein?«

»Wie du siehst«, antwortete Eadulf mit wachsender Verwunderung.

»Bist du wirklich allein?« beharrte der Mann.

Eadulf wurde ärgerlich. »Traust du denn deinen eigenen Augen nicht?« fragte er spöttisch. »Natürlich bin ich allein.«

Der Mann in der Tür senkte den Kopf ein wenig, und damit schwand der Schatten von seinem Gesicht. Es war ein hübsches Gesicht gewesen, aber eine alte Brandnarbe zog sich über Augen und Brauen.

»Ach so, du bist blind!« rief Eadulf überrascht aus.

Der Mann fuhr zurück.

Eadulf hob eine Hand offen zum Friedenszeichen, erkannte die Sinnlosigkeit der Geste und ließ sie wieder fallen.

»Hab keine Angst. Ich bin allein. Ich bin Bruder ...« Er zögerte. Vielleicht hatte sich sein Name im Lande verbreitet und selbst die Blinden erreicht. »Ich bin ein angelsächsischer Bruder im Glauben.«

Der Mann legte den Kopf schief.

»Du willst mir anscheinend nicht deinen Namen nennen. Warum das?« fragte er scharf.

Eadulf sah sich um. Der Ort schien einsam genug, und dieser Blinde konnte ihm sicherlich keinen Schaden zufügen.

»Ich heiße Bruder Eadulf«, sagte er.

»Und du bist allein?«

»Ja.«

»Was tust du hier allein in dieser Gegend? Sie ist öde und abgelegen. Warum wandert ein angelsächsischer Bruder durch diese Berge?«

»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte Eadulf.

»Ich habe viel Zeit«, antwortete der andere grimmig.

»Aber ich bin müde und obendrein hungrig, und ich friere.«

Der Mann zögerte, als fasse er einen Entschluß.

»Ich heiße Dalbach. Dies ist meine Hütte. Du kannst eine Schüssel Suppe haben. Sie ist frisch gekocht, von Dachsfleisch, und ich kann dir Brot und Met dazu reichen.«

»Dachsfleisch? Na, das ist wirklich ein gutes Essen«, meinte Eadulf, der wußte, daß viele Leute in Ei-reann es als Leckerbissen betrachteten. Hatte nicht der alten Sage nach Molling der Schnelle zum Zeichen seiner Hochachtung dem großen Krieger Fionn Mac Cumhail versprochen, ihm ein Gericht Dachsfleisch zu besorgen?

»Beim Essen kannst du mir etwas von deiner Geschichte erzählen, Bruder Eadulf. Geh jetzt weiter, komm gerade auf mich zu.«

Eadulf schritt zu ihm hin, und Dalbach streckte ihm die Hand zum Gruß entgegen. Eadulf nahm sie. Es war ein kräftiger Griff. Der Blinde hielt die Hand fest, hob die andere Hand und strich damit leicht über Ea-dulfs ganzes Gesicht. Das erschreckte Eadulf nicht, denn er erinnerte sich an Moen, den blinden Taubstummen von Araglin, der auch durch Abtasten »sehen« konnte. Er blieb geduldig stehen, bis die Untersuchung beendet war.

»Du bist an die Wißbegierde der Blinden gewöhnt, Bruder Angelsachse«, sagte Dalbach schließlich und ließ die Hand sinken.

»Ich weiß, daß du nur mein Gesicht >sehen< willst«, antwortete Eadulf.

Der Mann lächelte. Es war das erste Mal.

»Dem Gesicht eines Menschen kann man viel entnehmen. Ich traue dir, Bruder Angelsachse. Du hast angenehme Züge.«

»Das ist eine nette Art, den Mangel an Schönheit zu umschreiben«, lachte Eadulf.

»Stört dich das, nicht mit gutem Aussehen gesegnet zu sein?«

Eadulf wurde klar, daß er es mit einem scharfsinnigen Mann zu tun hatte, dem nichts entging.

»Wir sind alle etwas eitel, selbst die Häßlichsten unter uns.«

»Vanitas vanitatum, omnis vanitas«, lachte der Mann.

»Der Prediger Salomo«, bestätigte Eadulf. »Es ist alles ganz eitel.«

»Dies ist mein Haus. Komm herein.«

Damit drehte sich der Mann um und ging in die Hütte. Eadulf war von ihrer Reinlichkeit beeindruckt. Dalbach bewegte sich mit unfehlbarer Sicherheit zwischen allen Hindernissen. Eadulf begriff, daß alle Gegenstände so angeordnet waren, daß er sich ihren Ort merken konnte.