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Der Blinde schien zu ahnen, was er dachte.

»Ich wohne an einem einsamen Ort, aber das heißt nicht, daß ich allein bin. Ich sagte dir schon, daß ich Freunde und Verwandte habe, die mir Nachrichten bringen. Wenn du nicht schuldig bist, warum wurdest du dann verurteilt?«

»Vielleicht aus demselben Grunde, aus dem du zur Blindheit verurteilt wurdest. Furcht ist ein starkes Motiv für ungerechte Taten. Ich kann nur sagen, daß ich es nicht getan habe. Ich gäbe alles darum, zu erfahren, welche Gründe zu der falschen Anklage geführt haben.«

Dalbach lehnte sich nachdenklich zurück.

»Es ist seltsam, wie der Verlust eines Sinnes die anderen schärft. Es liegt etwas im Klang deiner Stimme, Bruder Eadulf, das von Aufrichtigkeit zeugt. Vielleicht schmeichle ich mir, aber ich glaube zu wissen, daß du nicht lügst.«

»Dafür danke ich dir, Dalbach.«

»Also bist du deinen Feinden entkommen? Zweifellos suchen sie nach dir. Willst du zur Küste und in dein eigenes Land fliehen?«

Eadulf zögerte, und Dalbach setzte rasch hinzu: »Ach, du kannst mir vertrauen. Ich werde deine Pläne nicht verraten.«

»Das ist es nicht«, erwiderte Eadulf. »Ich hatte daran gedacht, mich zur Küste zu wenden. Aber der beste Weg für mich ist es, hierzubleiben und zu versuchen, die Wahrheit herauszubekommen. Das habe ich auch vor.«

Dalbach schwieg einen Moment.

»Das ist ein mutiger Entschluß. Du hast meinen ersten Eindruck von deiner Unschuld bestätigt. Hättest du mich gebeten, dir zum Erreichen der Küste zu verhelfen, wäre ich sofort mißtrauisch geworden. Doch wie kann ich dir helfen, im Lande zu bleiben und nach der Wahrheit zu forschen?«

»Ich muß nach Fearna zurück. Es gibt . dort gibt es jemanden, der mir helfen wird.«

»Und das ist Schwester Fidelma von Cashel?«

Eadulf war total verblüfft. »Woher weißt du das?«

»Von dem Vetter, den ich schon erwähnte. Ich habe viel von Fidelma von Cashel gehört. Es war ihr Vater, Failbe Fland, der König von Muman, der in der Schlacht von Ath Goan am Iarthar Life meinen Vater erschlug, als er mit Faelan verbündet war.«

Er sagte es ohne Groll, doch Eadulfs Erstaunen wuchs.

»Fidelmas Vater? Aber er starb, als sie noch ein Kleinkind war.«

»Allerdings. Die Schlacht von Ath Goan fand vor mehr als dreißig Jahren statt. Mach dir keine Sorgen, Bruder Eadulf. Mit Schlachten zwischen meinem Vater und seinen Feinden habe ich nichts mehr zu tun. Es gibt keine Feindschaft zwischen mir und den Nachkommen von Failbe Fland.«

»Das freut mich zu hören«, sagte Eadulf erleichtert.

»Also müssen wir einen Weg finden, mit dieser Fidelma von Cashel in Verbindung zu treten«, meinte Dalbach. »Hast du einen Plan?«

Eadulf zuckte die Achseln und merkte dann, daß die Geste zwecklos war.

»Ich habe keinen, außer daß ich nach Fearna zurück will und sehen, ob sie noch dort ist. Das Problem ist, daß ich sehr bald auffallen würde. Selbst in diesem Mantel würde ich kaum lange unerkannt bleiben mit meiner Kutte und meiner Petrus-Tonsur und meinem angelsächsischen Akzent.«

Plötzlich erscholl in der Nähe ein Jagdhorn. Der unerwartete Ton ließ Eadulf zusammenfahren.

»Erschrick nicht, Bruder Eadulf«, beruhigte ihn Dalbach und stand auf. »Es ist wahrscheinlich mein Vetter. Ich erhielt die Nachricht, daß er vermutlich heute oder morgen vorbeikommen und mir Geschenke bringen wolle.«

Eine Gestalt erschien unter den Bäumen und blieb am Rande der Lichtung vor der Hütte stehen.

Eadulf warf einen Blick aus dem Fenster und schoß in die Höhe, so daß sein Stuhl nach hinten flog. Er hatte ohne Mühe den kleinen, drahtigen Mann mit dem spitzen Gesicht erkannt, der ihn am frühen Morgen in der Burg Cam Eolaing aus dem Bett geholt hatte. Es war genau der Mann, der ihn angeblich freilassen wollte und dann versuchte, ihn niederzuschießen, ihn zu töten.

Kapitel 15

»Gabran?« Schwester Etromma schien überrascht, als sie Fidelma am Tor der Abtei gegenüberstand. »Wieso glaubst du, ich wüßte, wo er sich aufhält?«

Fidelma verlor etwas die Geduld mit der Verwalterin.

»Du bist die rechtaire der Abtei. Da Gabran regelmäßig mit der Abtei Handel treibt, nehme ich an, daß man dich als erste danach fragen sollte, wo er sich möglicherweise befindet.«

Schwester Etromma gab zu, daß das logisch wäre, breitete aber mit hilfloser Geste die Hände aus.

»Es tut mir leid, Schwester. Es sind schwierige Zeiten, und seit der Flucht des Angelsachsen gestern ist die Mutter Äbtissin besonders ...« Sie brach ab und verzog das Gesicht. »Wirklich, ich weiß nicht, wo er ist.« Ihr Ton wurde klagend. »Plötzlich suchen alle nach Ga-bran. Ich verstehe das nicht.«

»Alle?« fragte Fidelma rasch. »Wieso alle?«

Schwester Etromma korrigierte sich.

»Ich meine, heute haben mich schon mehrere Leute gefragt, ob ich wüßte, wo er ist. Unter anderen die Mutter Äbtissin. Ich habe ihr erst vor kurzem gesagt, daß ich nicht seine Hüterin bin.«

Fidelma zog zweifelnd die Brauen hoch bei der Vorstellung, die vogelähnliche, nervöse Verwalterin sollte so etwas Unerhörtes zu der hochmütigen Äbtissin gesagt haben.

»Also hat Äbtissin Fainder heute morgen nach ihm gefragt?« erkundigte sie sich nachdenklich.

»Gefragt, ob ich wüßte, wo er ist«, verbesserte sie die Verwalterin.

»Aber du hast keine Ahnung, wo er steckt?«

Schwester Etromma stieß einen Seufzer der Erbitterung aus.

»Der Mann wohnt auf seinem Schiff, sofern er nicht zu betrunken ist, um zu ihm zurückzufinden. Er stammt aus Cam Eolaing. Sein Schiff liegt nicht am Kai der Abtei, also wird er irgendwo auf dem Fluß sein, irgendwo zwischen Cam Eolaing und Loch Garman südlich von hier. Ich bin kein Augur, also kann ich dir auch nicht genau sagen, wo er sich befindet.«

Die Reizbarkeit der Verwalterin überraschte Fidelma.

»Vielleicht kannst du eine Vermutung wagen?« fragte sie freundlich.

Schwester Etromma wollte sich erst weigern, dann zuckte sie die Achseln.

»Äbtissin Fainder ist in Richtung auf Cam Eolaing weggeritten. Ich nehme an, dort sollte man wohl zuerst nach ihm suchen.«

Als Schwester Etromma sich abwenden wollte, hielt Fidelma sie zurück. »Es gibt noch ein paar Fragen, die ich dir stellen möchte, Schwester Etromma. Offensichtlich bist du gegen Äbtissin Fainder eingestellt. Warum?«

Die Verwalterin starrte sie trotzig an. »Ich dachte, das wäre klar.«

»Manchmal sind Dinge so klar, daß man sie übersieht.«

»Ich hatte ein Ziel vor meinen Augen. Kein sehr hohes Ziel. Soll ich den Menschen lieben, der es mir genommen hat?«

»Dann muß dir auch Abt Noe verhaßt sein, weil er Fainder hergebracht und dir als Äbtissin vor die Nase gesetzt hat?«

Schwester Etromma zuckte die Achseln. »Das ist mir jetzt gleich. Ich sagte dir schon, daß ich nun andere Pläne habe.«

»Was ist mit diesem Kaufmann Gabran?« wechselte Fidelma das Thema. »Er scheint ein besonderes Verhältnis zur Äbtissin zu haben. Neulich betrat er ihr Zimmer, ohne anzuklopfen.«

Schwester Etromma lächelte säuerlich. »Das kannst du seinem groben, ungehobelten Benehmen zuschreiben. Aber es stimmt, daß er wohl auch ein paar private Geschäfte für die Äbtissin erledigt. Er meint, das setze ihn in ein besonderes, vertrautes Verhältnis zu ihr. Er bringt ihr feine Waren wie Wein mit, wenn er vom Seehafen am Loch Garman zurückkommt.«

Fidelma wartete einen Moment, bevor sie ein anderes Thema aufgriff.

»In der Nacht, in der Gormgilla ermordet wurde .«

»Ich habe dir alles gesagt, was ich weiß«, unterbrach sie Schwester Etromma eilig.

»Ich möchte noch etwas klären. Als Fainder ihre Leiche in die Abtei bringen und dich holen ließ, wo genau warst du da? Lagst du im Schlaf?«