Выбрать главу

Als er ihm näher kam, erkannte er den dunklen Eingang zu einer Höhle mit einer ebenen Felsplatte davor.

Dort verharrte Eadulf einen Moment, um Atem zu schöpfen nach dem kurzen, aber steilen Aufstieg, bevor er den nächsten Schritt tat. Die Höhle lag im Halbdunkel. Er spähte in den finsteren Hintergrund und wartete, bis sich seine Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten.

Ein plötzliches und ungewöhnliches Scharren ließ ihn zurückprallen in dem Glauben, ein Tier halte sich darin verborgen. Dann sah er, woher es kam, und vor Erstaunen blieb ihm der Mund offen.

Am hinteren Ende der Höhle saßen zwei menschliche Gestalten auf dem Boden, den Rücken an die Felswand gelehnt. An ihrer Haltung erkannte er, daß sie an Händen und Füßen gefesselt waren, und bei näherem Hinsehen merkte er, daß sie auch geknebelt waren. Es waren schmächtige Gestalten, so viel konnte er in der Dunkelheit feststellen, mehr aber nicht.

»Wer ihr auch seid«, rief er ihnen laut zu, »ich will euch nichts tun.«

Er ging auf sie zu.

Sofort erhob sich ein ersticktes, jammervolles Stöhnen, und die ihm zunächst sitzende Gestalt schien sich von ihm wegzukrümmen, wenn sie sich auch wegen der Fesseln nur wenig bewegen konnte.

»Ich will euch nichts tun«, wiederholte Eadulf. »Ich muß euch aber ans Licht bringen, damit ich euch sehen kann.«

Er kümmerte sich nicht um die tierartigen Laute, die seine Bewegungen begleiteten, beugte sich nieder und hob die nächste, sich windende, gefesselte Gestalt an. Halb trug, halb schleifte er sie zum Höhleneingang.

Zwei große, angstvolle Augen starrten ihn über dem schmutzigen Lappen an, der als Knebel diente.

Entsetzt trat Eadulf einen Schritt zurück.

Es war das Gesicht eines Mädchens von nicht mehr als zwölf oder dreizehn Jahren, das ihm voller Furcht entgegenschaute.

»Nun, Äbtissin Fainder«, sagte Fidelma langsam, während sie das Blutbad vor sich betrachtete, »ich glaube, du hast eine Menge zu erklären.«

Äbtissin Fainder erwiderte ihren Blick beinahe verständnislos. Dann schaute sie hinab auf den Leichnam Gabrans neben sich und auf das Messer in ihrer Hand. Mit einem seltsamen, tierartigen Stöhnen ließ sie das Messer fallen und sprang auf. Ihr Blick flackerte wild.

»Er ist tot«, sagte sie heiser.

»Das sehe ich«, antwortete Fidelma grimmig. »Warum?«

»Warum?« wiederholte die Äbtissin wie betäubt.

»Warum ist er tot?« drang Fidelma in sie.

Die Äbtissin blinzelte und starrte sie an, als verstünde sie nichts. Es dauerte etwas, bis sie ihre Sinne beisammen hatte.

»Woher soll ich das wissen?« begann sie und brach dann ab. »Du denkst doch nicht, daß ich ...? Ich habe ihn nicht getötet!«

»Bei allem schuldigen Respekt, Äbtissin Fainder«, schaltete sich Dego ein, der Fidelma über die Schulter schaute, »wir sind gerade an Bord gekommen, haben die Kajütentür geöffnet und sehen Gabran tot daliegen. Bei dem vielen Blut ist es klar, daß er erstochen wurde. Du kniest an seinem Kopf. Deine Kleidung ist blutverschmiert, und du hast ein Messer in der Hand. Wie sollen wir diesen Anblick deuten?«

Die Äbtissin schien zu sich zurückzufinden. Sie starrte Dego zornig an.

»Wie kannst du das wagen! Wer bist du, daß du die Äbtissin von Fearna eines gewöhnlichen Mordes beschuldigen willst?«

Als Fidelma die Situation bedachte, verzog sich ihr Mund in bissiger Ironie.

»Kein Mord ist gewöhnlich, Äbtissin, und dieser Mord am wenigsten. Nur ein Narr könnte das Offensichtliche übersehen. Willst du uns tatsächlich erzählen, du hättest nichts damit zu tun?«

Äbtissin Fainders Gesicht wurde bleich.

»Ich habe es nicht getan.« Ihre Stimme brach vor Erregung.

»Das sagst du. Komm heraus aufs Deck, und erkläre es mir.«

Fidelma trat von der Tür beiseite und winkte der Äbtissin, die Kajüte zu verlassen. Fainder ging auf das Deck hinaus und blinzelte ins Tageslicht.

»Es ist niemand weiter an Bord«, berichtete Enda mit etwas boshafter Freude. Er hatte das Schiff flüchtig abgesucht. »Du bist anscheinend allein hier, Mutter Äbtissin.«

Äbtissin Fainder setzte sich plötzlich auf einen Lukendeckel, schlang die Arme um den Leib, beugte sich vor und schaukelte leicht hin und her. Fidelma setzte sich neben sie.

»Das ist eine schlimme Sache«, sagte Fidelma sanft nach einer kurzen Pause. »Je eher wir eine Erklärung bekommen, desto besser.«

Äbtissin Fainder hob das Gesicht und schaute sie verängstigt an.

»Erklärung? Ich habe dir doch gesagt, daß ich es nicht getan habe! Was willst du noch für eine Erklärung?«

Es schwang so viel von ihrem früheren Ton in ihrer Stimme mit, daß Fidelma ungeduldig den Mund verzog.

»Glaub mir, Mutter Äbtissin, eine Erklärung ist notwendig, und es sollte schon eine sein, die mich zufriedenstellt«, erwiderte sie scharf. »Vielleicht erklärst du zuerst einmal, wieso du hier bist.«

Die Miene der Äbtissin veränderte sich schlagartig. Ihre frühere Arroganz brach wieder durch.

»Dein Ton gefällt mir nicht, Schwester. Willst du mich etwa beschuldigen?«

Fidelma blieb unbeeindruckt. »Ich brauche dich nicht zu beschuldigen. Die Umstände sprechen für sich. Aber wenn du mir etwas zu erzählen hast, dann tust du das am besten gleich. Als dalaigh habe ich zu berichten, was ich gesehen habe.«

Äbtissin Fainder starrte sie an, während ihr die Bedeutung dieser Worte aufging. Sie öffnete den Mund, doch für den Augenblick war sie sprachlos.

»Aber ich habe es nicht getan«, sagte sie schließlich. »Du kannst mich nicht beschuldigen. Das kannst du doch nicht!«

»Wie ich mich erinnere, hat Bruder Eadulf so ziemlich dasselbe gesagt«, hielt ihr Fidelma vor, »und trotzdem wurde er auf viel dünnere Beweise hin angeklagt und verurteilt. Und dich finden wir hier tatsächlich über die Leiche gebeugt, ein Messer in der Hand und von Blut besudelt.«

»Aber ich bin doch ...« Die Äbtissin schloß rasch den Mund, als sie begriff, von welchem Dünkel das zeugte, was sie hatte sagen wollen.

»Aber du bist die Äbtissin, während Bruder Eadulf nur ein durchreisender Ausländer war?« schloß Fidelma. »Nun, Äbtissin Fainder? Wir warten auf deine Geschichte.«

Ein Schauer durchlief die Äbtissin. Ihre hochmütige Haltung war dahin, und ihre Schultern erschlafften.

»Bischof Forbassach sagte mir, daß du Gabran beschuldigt hast, er habe dich gestern abend überfallen.«

Fidelma wartete geduldig.

»Bischof Forbassach meinte, in einer solchen Sache würdest du nicht lügen. Also kam ich her, um von Ga-bran eine Erklärung zu verlangen«, fuhr Äbtissin Fainder fort. »Ich konnte deine Geschichte nicht glauben, anders als Forbassach. Gabran hatte ...« Sie zögerte.

»Gabran hatte was?« fragte Fidelma.

»Gabran ist als Kaufmann am Fluß wohlbekannt. Er hat seit vielen Jahren mit der Abtei Handel getrieben, lange bevor ich Äbtissin wurde. Eine solche Beschuldigung macht unserer Abtei Unehre und muß untersucht werden. Ich kam her, um zu hören, was Gabran dazu zu sagen hatte.«

»Du kamst also her in der Hoffnung, daß sich meine Anschuldigung gegen Gabran als falsch erweisen würde? Sprich weiter.«

»Schließlich fand ich die Cag hier vertäut. Es war niemand in der Nähe. Ich ging an Bord und rief nach Gabran. Es kam keine Antwort. Ich glaubte eine Bewegung in der Kajüte zu vernehmen, also ging ich hin und klopfte an. Dann hörte ich etwas Schweres fallen . Jetzt weiß ich, daß es der Körper Gabrans war. Ich rief noch einmal und trat ein. Ich sah das gleiche Bild wie du. Ga-bran war tot und lag auf dem Rücken in der Kajüte. Überall war Blut. Ich dachte zuerst an den Mann und kniete bei ihm nieder. Ihm war nicht mehr zu helfen.«