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»Fainder hat uns berichtet, wie sie den Leichnam entdeckte«, meinte Coba. »Das paßt zu deiner Theorie.«

»Außer daß der Angelsachse Blut an der Kleidung hatte und ein Stück .« Äbtissin Fainder brach ab, als ihr einfiel, was das Mädchen über Gabrans Kleidung ausgesagt hatte.

»Was geschah mit dem blutigen Stück Stoff, das Gabran in der Hand hielt, Fial?« fragte Coba.

»Der Matrose gab es dem Mönch. Er meinte, es könnte nützlich verwendet werden, wenn es dem Mönch gelänge, in die Abtei zurückzukommen.«

»Mit anderen Worten, es wurde Bruder Eadulf angehängt«, murmelte Fidelma. »Aber wir wollen nicht vorauseilen. Das Erscheinen der Äbtissin löste Panik aus. Der Matrose und der Mönch hörten, wie Mel Äbtissin Fainder anrief, als er sich dem Kai näherte. Ga-brans Auftraggeber steckte auf dem Schiff in der Klemme. Das Verbrechen ließ sich nicht mehr verheimlichen. Deshalb wurde es nun dringend nötig, daß Gabrans Dienstherr in der Dunkelheit verschwand und kein Verdacht auf Gabran fiel. Jemand kam auf die Idee, die kleine Fial dazu zu zwingen, falsch auszusagen mit dem Versprechen, sie würde dadurch freikommen. War es so?«

Fial bestätigte ihre Vermutung.

»Ich spielte meine Rolle. Ich sagte allen, was man von mir verlangte. Ich erkannte den Angelsachsen an seiner ungewöhnlichen Tonsur. Man erklärte mir, ich müßte zu meiner eigenen Sicherheit bis zur Gerichtsverhandlung in einem Raum in der Abtei eingesperrt bleiben. Die Zeit verging, bis vor zwei Tagen ein Mönch kam und mich hinausließ.«

»Dieselbe Person, die bei dem Matrosen saß, der dir befahl, den Angelsachsen zu identifizieren?«

»Nein, nicht derselbe. Diesen Mann hatte ich vorher noch nicht gesehen. Er brachte mich auf Gabrans Schiff. Gabran war an Bord. Bevor ich mich wehren konnte, wurde ich wieder angekettet wie vorher. Ich hörte, wie der Große zu Gabran sagte: >Du sollst sie wegschaffen.< Das war alles, was er sagte. Gabran antwortete: >Das wird erledigt.< Der Mönch ging weg, und Gabran stieß mich hinunter in dieselbe kleine dunkle Kajüte, in der ich mit Gormgilla gelegen hatte. Er grinste mich an und sagte: >Es wird erledigt, aber wann, das bestimme ich.<«

Fial fing erneut an zu schluchzen. »Ich habe eine Ewigkeit da unten zugebracht. Vorige Nacht kam Gabran herunter und . und . er benutzte mich.«

Fidelma nahm das schluchzende Mädchen in die Arme und schaute Coba an.

»Leider waren es meine Ankunft in der Abtei und meine Nachforschungen, die dazu führten, daß das arme Mädchen von dort weggeholt und wieder Ga-bran übergeben wurde.«

Äbtissin Fainder, sehr blaß geworden, räusperte sich nervös.

»Können wir denn sicher sein, daß sie diesmal die Wahrheit sagt? Sie gibt zu, daß sie damals gelogen hat, also lügt sie vielleicht wieder? Die Geschichte hört sich zu grotesk an, als daß sie stimmen könnte.«

»Zu grotesk, als daß eine Dreizehnjährige sie hätte erfinden können«, erwiderte Fidelma scharf. Sie wandte sich wieder an Fial. »Nur noch ein paar Fragen, Kleine. Als du auf dem Schiff in der Dunkelheit angekettet warst, hast du deine Zeit genutzt, nicht wahr?«

Fial sah sie fragend an. »Woher weißt du das?«

»Du hast ein scharfes Stück Metall gefunden und angefangen, die Befestigung der Kette um deine Füße aus der Wand zu sägen.«

»Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dazu brauchte -eine Ewigkeit.«

»Und als du frei warst ...?«

»Ich konnte mich nur von den Fußfesseln befreien. Die Handschellen saßen noch fest.«

»Genau. Aber du konntest durch die kleine Luke in Gabrans Kajüte hochklettern? Der Durchgang zur Hauptkajüte war natürlich verschlossen.«

»Also hat sie ihn umgebracht!« rief Äbtissin Fain-der, die nun merkte, worauf es hinauslief. »Sie erstach ihn in dem Moment, als ich an Bord kam. Ja«, überlegte sie, »sie muß die Tat genau zu dem Zeitpunkt begangen haben. Ich klopfte an die Kajütentür, und das Mädchen schlüpfte durch Luke zurück. Und während ich mich dann über den Leichnam beugte, entkam sie durch die Kajüte und ließ sich über Bord gleiten. Das war das Plätschern, das ich hörte.«

»Du hast beinahe recht, Mutter Äbtissin«, stimmte ihr Fidelma zu.

»Beinahe recht?« fragte die Äbtissin streitlustig.

»Als Fial in die Kajüte kletterte, stellte sie fest, daß Gabran bereits tot war. Er starb durch einen Schwertstreich, der mit mächtiger Wucht geführt wurde. Stimmt das, Fial? Soll ich weitererzählen?«

Das Mädchen war völlig verblüfft von ihrer scheinbaren Allwissenheit. Als sie schwieg, fuhr Fidelma fort: »Fial wußte, wo Gabran seine Schlüssel aufbewahrte, und befreite sich von den Handschellen. Sie wollte sich entfernen, als sie der Durst nach Rache überkam, Rache für das schreckliche Leid, das ihr dieser brutale Mensch zugefügt hatte. Es war vielleicht eine instinktive, unreife Reaktion. Sie ergriff ein herumliegendes Messer, zog Gabran an den Haaren hoch

- in ihrer Wut packte sie seine Haare so fest, daß sie ein Büschel davon mit den Wurzeln ausriß - und stieß ihm das Messer ein halbdutzendmal in Brust und Arme. Die Wunden waren oberflächlich. Dann klopfte die Äbtissin an die Tür. Fial ließ das Messer fallen und den Leichnam los. Das war der dumpfe Fall, den Fainder hörte.

Fial wußte, daß sie entkommen mußte. Der einzige Weg führte nach unten, aber die Tür war verschlossen. Sie riß ein paar Schlüssel in Gabrans Kajüte an sich. Es waren vier. Sie dachte, daß einer davon zum Schloß ihres Gefängnisses passen würde. Das war ihr einziger Fluchtweg. Sie schlüpfte zurück in ihre Kajüte. Der Rest ist klar.«

Fidelma hielt inne, nahm das Gesicht des Mädchens in beide Hände und zog es hoch, so daß Fial ihr in die Augen schauen mußte.

»Habe ich es richtig wiedergegeben, meine Liebe? Ist es so gewesen?«

Fial stieß einen schweren Seufzer aus.

»Ich hätte ihn umgebracht, wenn ich gekonnt hätte. Ich haßte ihn so sehr - für das, was er mir angetan hatte! Was er mir angetan hatte!«

Fidelma nahm das Kind tröstend in die Arme.

Coba lehnte sich zurück, schloß die Augen und holte tief Luft.

»Habe ich das richtig verstanden? Während die Äbtissin in Gabrans Kajüte war, gelangte das Mädchen an Deck und sprang in den Fluß? Die Strömung ist dort sehr stark. Warum ging es nicht einfach an Land?«

»Das habe ich mich auf dem Schiff auch gefragt«, gestand Fidelma. »Aber ich habe nicht berücksichtigt, daß die Furcht ein mächtiger Antrieb ist. Die arme Fi-al war zu Tode erschrocken. Sie wußte nicht, wo sie sich befand. Sie wollte auf keinen Fall auf sich aufmerksam machen, indem sie vom Schiff auf den Kai stieg. Sie wußte nicht, ob sich dort nicht ihre Feinde aufhielten. Sie konnte offensichtlich gut schwimmen und zog diesen Weg vor. Und als sie kurz danach am Ufer auf Forbassach und Mel stieß .«

». dachte sie, wir gehörten mit zu dieser Sklavenhändlerverschwörung«, ergänzte Mel.

»Verschwörung ist der richtige Ausdruck, Mel. Denn es gibt hier noch viele Geheimnisse zu ergründen.«

Äbtissin Fainder rümpfte verächtlich die Nase.

»Das ist wohl wahr, Schwester. Wenn Fial nicht Gabran getötet hat und du anscheinend endlich einsiehst, daß ich es auch nicht tat - wer hat ihn dann umgebracht?« Plötzlich funkelten ihre Augen. »Oder sollen wir daraus schließen, daß dein Angelsachse herkam und Rache nahm?«

Fidelmas Augen blitzten zornig auf.

»Ich hoffe, die Aussage dieses armen Mädchens hat bewiesen, daß Bruder Eadulf an der Vergewaltigung und Ermordung von Gormgilla nicht schuldig ist und eine andere Hand diese schändliche Verschwörung eingefädelt hat!«