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»Und wer von denen ist Ihr Mann?«, warf Sydow aus purer Verlegenheit ein.

»Der da!«, erwiderte die Frau und zeigte auf das Bild. Sydow trat näher. Der Mann auf der Parkbank, in der Tat. Gut zu erkennen, obwohl das Foto 20 Jahre alt war. Sydow wollte sich schon wieder abwenden, als sein Blick auf den Mann neben ihm fiel. Er hatte zwar keine Ahnung, wieso. Aber er war sich sicher, dass ihm der schlaksige Seekadett auf dem Bild schon einmal über den Weg gelaufen war.

»Wenn wir Kinder gehabt hätten, wäre vielleicht alles ganz anders gekommen!« Damit war das Thema Marineschule für die Frau anscheinend schon wieder erledigt, und während Sydow noch nach Worten rang, faltete das Objekt seiner Bemühungen den Abschiedsbrief ihres Mannes zusammen und gab ihn kommentarlos zurück.

Sydow war wirklich nicht auf den Mund gefallen, aber dazu fiel selbst ihm nichts mehr ein. Er hatte sich alle möglichen Gedanken gemacht und dann so eine Reaktion.

Reichlich merkwürdig. Gelinde gesagt.

»Falls es Ihnen nichts ausmacht, hätten wir noch ein paar Fragen!«, fand Klinke als Erster die Sprache wieder, und Sydow war sich nicht sicher, ob dies ironisch zu verstehen war oder nicht. »Aber nur, wenn Sie wirklich dazu in der Lage sind!«

Die Frau machte eine wegwerfende Geste. Mit welcher Absicht, blieb unklar, und Sydow war auch nicht erpicht darauf, es zu erfahren. Er wollte nur eins, diesen Granitblock zum Reden bringen, und nachdem er Klinke kurz zugenickt hatte, ließ er sich in den ockerfarbenen Plüschsessel neben der Stehlampe plumpsen.

Die trauernde Witwe, die definitiv keine war, quittierte es mit eisiger Miene und wandte sich wieder der Verandatür zu. »Wenn es sein muss!« Sie machte aus ihrem Widerwillen keinen Hehl. »Aber wenn schon, dann bitte rasch!«

Sydow fragte sich, was denn so wichtig war, dass es mit dem Selbstmord des depressiven, angeblich lebensmüden Gatten konkurrieren konnte, aber da er Klinke nicht ins Handwerk pfuschen wollte, hielt er sich und sein ungestümes Temperament im Zaum. »Kommt ganz auf Sie an, Frau von Möllendorf!« Klinke gab sich unerwartet barsch.

»Und wieso?«

»Erlauben Sie, dass zunächst ich die Fragen stelle!«, setzte Klinke noch eins drauf und nahm seinen Notizblock zur Hand. »Also: Wann haben sie Ihren Mann zum letzten Mal lebend gesehen?«

Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Am Mittwoch!«, erwiderte sie schnippisch und strich eine graue Strähne hinters Ohr. »Bevor er zum Dienst gefahren ist.«

»Und wann war das?«

»So gegen 8 Uhr.«

»Zum Dienst, soso. Und wo?«

Obwohl die Frau so tat, als ließen sie die Fragen kalt, zahlte sich Klinkes Provokation umgehend aus. »Wo ein SS-Sturmbannführer gemeinhin zum Dienst zu erscheinen pflegt!«, giftete sie. »Wieso?«

»Eine harmlose Frage, weiter nichts. Mit anderen Worten, Ihr Mann… wie hieß er doch gleich?«

Sydow musste an sich halten, um nicht laut loszuprusten. Klinkes treudoofe Art war wirklich nicht zu übertreffen. Genau richtig, um diese Giftspritze aus der Reserve zu locken.

»Alfred!«, lautete die Antwort, und die Stimme der Frau hörte sich so an, als habe ihr Klinke einen unsittlichen Antrag gemacht. »SS-Sturmbannführer Alfred von Möllendorf.«

»Dienstelle?«

»Prinz-Albrecht-Straße 8. Wo denn sonst?«

»Referat?«

Einfach zum Kugeln, dieser Klinke. Sydow kämpfte mit dem Lachen, obwohl die Angelegenheit eine überaus ernste war.

»Römisch vier A vier.«

»Ihr Hang zur Kryptografie in Ehren, liebe Frau von Möllendorf, aber könnten Sie sich vielleicht etwas klarer…«

»Schutzdienst, Attentatsmeldungen und Überwachungen.« Der Widerwille in der Stimme von Klinkes Gesprächspartnerin erreichte ungeahnte Höhen. »Oder so ähnlich.«

Klinke pfiff durch die Zähne. »Nichts für schwache Nerven!«, ließ er ebenso treuherzig wie boshaft verlauten.

»Wieso?«

»Na ja!«, druckste der bullige Kriminalassistent herum und hüstelte verlegen. »Was immer sein genaues Aufgabengebiet war, hatte er wegen des Attentats auf Heydrich bestimmt jede Menge zu…«

»Wie darf ich das verstehen, Herr… wie war doch gleich Ihr Name?«

»Erich!«, ahmte Klinke den angewiderten Tonfall seiner Kontrahentin nach. »Kriminalassistent Erich Kalinke.«

»Na gut, wie immer Sie auch heißen mögen–«, erwiderte Irene von Möllendorf, drehte sich auf dem Absatz um und musterte Klinke wie einen Dienstboten, der versehentlich den Haupteingang benutzt hat, »ich muss Sie ersuchen, mein Haus umgehend zu…«

»Mein Kompliment!«, fuhr Sydow dazwischen.

»Und wofür?«

»Für die bewundernswerte Haltung, verehrte Frau von Möllendorf«, antwortete der Kommissar gedehnt, schlug die Beine übereinander und kramte sein Zigarettenetui aus dem Sakko, »die Sie im Zusammenhang mit dem Freitod Ihres Mannes an den Tag legen.«

»Was soll das heißen?«

»Damit mir ja kein Fehler unterläuft, trifft es tatsächlich zu, dass Sie Ihren Mann vor ziemlich genau vier Tagen zum letzten Mal gesehen haben?«

Irene von Möllendorf deutete ein Nicken an.

»Ich darf doch wohl annehmen, gnädige Frau, dass Sie sich entweder bei seiner Dienststelle oder anderweitig über seinen Verbleib erkundigt haben? Im Klartext: Wenn der eigene Gatte einfach so von der Bildfläche verschwindet, wäre es doch wohl das Naheliegendste, einen Telefonhörer in die Hand zu nehmen und ihn anzurufen, oder nicht?«

Die verbiesterte Miene seiner Gesprächspartnerin sprach Bände. Sydow hatte ins Schwarze getroffen. Die Fassade der Irene von Möllendorf begann zu bröckeln, sämtlichen Täuschungsmanövern zum Trotz. »Heißt das, Sie unterstellen mir, das Schicksal meines Mannes lasse mich kalt?«, trat sie trotz allem die Flucht nach vorne an.

»Eins nach dem anderen!«, gab der Kommissar jegliche Zurückhaltung und den Platz im bequemen Plüschsessel auf. »Im Grunde bin ich momentan nur an einem interessiert: Haben Sie seit Mittwoch früh irgendetwas von Ihrem Mann gehört, ja oder nein? Für den Fall, letzteres träfe zu, warum haben Sie keinen Finger gerührt, um herauszukriegen, wo Ihre bessere Hälfte abgeblieben ist?«

Der Hieb saß. Irene von Möllendorf schlug die Augen nieder und blieb Sydow die Antwort schuldig. Der aber ließ sie gar nicht erst zur Ruhe kommen, steckte sein Zigarettenetui wieder ein und fragte: »Ich darf doch wohl annehmen, dass es einen Grund für Ihr–gelinde gesagt–reichlich merkwürdiges Verhalten gibt?«

»Den gibt es.«

»Und welchen?«

Wenn Irene von Möllendorf wie eine trauernde Witwe aussah, dann in diesem Moment. Gerade so, als habe sie die Todesnachricht eben erst erreicht. Sydow suchte ihren Blick, aber sie wich ihm aus, suchte Halt an der Tischkante und ließ sich auf einen der Stühle sinken.

Sydow hatte in ein Wespennest gestochen, die Frage war nur, in welches. »Wollen Sie oder können Sie nicht antworten?«, fragte er und ließ den Blick durch das blitzblanke Wohnzimmer schweifen. Alles tipptopp, dachte er voller Neid. Bei ihm zu Hause sah es da schon wesentlich unordentlicher aus. Um nicht zu sagen chaotisch. Kein Wunder, dass Evelyn Hals über Kopf verduftet war. Genau genommen konnte man es ihr wirklich nicht verdenken. Anders dieses Wohnzimmer hier. Keine Klamotten, die überall herumlagen, keine leeren Bierflaschen, kein dreckiges Geschirr. Verglichen mit seiner Bruchbude wirkte das Einfamilienhaus der Möllendorfs wie das genaue Gegenteil. Das fing mit dem Hitlerbild an und hörte mit der gehäkelten Tischdecke, dem Volksempfänger und allerlei Nippes auf der Anrichte auf. Die perfekte Nazi-Idylle, wenn nur diese Frau nicht gewesen wäre, die mehr Haare auf den Zähnen hatte als er und Klinke am ganzen Körper.