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Ein verlegenes Räuspern schreckte Sydow aus seinen Gedanken auf. Mit dem Auftreten nach Gutsherrenart, das seine Kontrahentin offenbar perfekt beherrschte, war es anscheinend endgültig vorbei. Frau von Möllendorf kämpfte mit den Tränen. Ein Anblick, an den sich Tom Sydow erst noch gewöhnen musste.

»Gibt es irgendetwas, das Sie uns zu sagen haben, gnädige Frau?«, meldete sich Klinke zu Wort, tauschte einen Blick mit seinem Vorgesetzten und steckte seinen Notizblock ein.

Irene von Möllendorf wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und schüttelte den Kopf.

»Wenn Sie etwas zum Stand der Ermittlungen beizutragen haben, dann bitte gleich.«

»Ermittlungen?«

»In der Tat.«

»Und weshalb?«

»Weil die Möglichkeit besteht, dass der Freitod Ihres Mannes keiner war«, nahm Sydow erneut das Heft in die Hand.

Irene von Möllendorf wurde aschfahl, und ihre Lippen, nicht viel mehr als ein Strich, begannen zu zittern. »Vermutungen, die auf Fakten beruhen?«, gab sie mit kaum hörbarer Stimme zurück.

»Gegenfrage, verehrte gnädige Frau. Ist Ihr verstorbener Gatte Links- oder Rechtshänder gewesen?« Sydow konnte Klinkes überraschten Blick im Nacken spüren, ließ sich jedoch nicht beirren.

»Ich wüsste nicht, welche Rolle das jetzt noch spielt.«

»Eine nicht zu unterschätzende, fürchte ich.«

»Und welche?«

»Bei allem Verständnis für Ihre Situation–bitte tun Sie mir den Gefallen und beantworten meine Frage.« Sydow wunderte sich, warum ihm die Idee erst jetzt gekommen war. Ein Grund mehr, mit dem Saufen aufzuhören, dachte er, umrundete den Tisch und blieb unmittelbar neben seiner Gesprächspartnerin stehen. »War Ihr Mann Rechtshänder–ja oder nein?«

»Nein.«

»In diesem Fall, fürchte ich, wird dies nicht unser letztes Plauderstündchen mit Ihnen gewesen sein.«

Irene von Möllendorf fuhr herum und sah Sydow schreckerfüllt an. »Heißt das, ich stehe unter Verdacht?«, wimmerte sie.

»Das wohl kaum!«, entgegnete Sydow, wobei er das Gefühl nicht loswurde, zu weit gegangen zu sein.

»Wer dann?«

»Verzeihen Sie, wenn ich Ihre Frage mit einer weiteren Gegenfrage beantworte.«

»Nur zu.«

»Aus welchem Grund tragen Sie eigentlich Handschuhe, gnädige Frau?«

»Eine Entzündung. Vermutlich das falsche Geschirrspülmittel. Wieso?«

»Komisch–ich dachte immer, jemand in Ihrer Position kann sich locker eine Zugehfrau leisten!«, antwortete Sydow, gab Klinke einen Wink und schlenderte mit demonstrativer Gelassenheit zur Tür.

»Kann ich auch!«, fand Irene von Möllendorf allmählich wieder zu alter Form zurück. »Wo liegt dann das Problem?«

»Das Problem, Gnädigste, liegt darin, dass sich die Gestapo vermutlich nicht mit Daumenschrauben begnügen wird!«, fuhr Sydow sie an. »Wenn die jemanden auf dem Kieker haben, können die Jungs aus der Prinz-Albrecht-Straße verdammt nachtragend sein!«

*

»Mal ehrlich, musste das wirklich sein?« Endlich wieder an der frischen Luft, öffnete Klinke den Hemdkragen und atmete tief durch.

Sydow antwortete mit einem Achselzucken. »Keine Ahnung!«, brummelte er vergrätzt, steckte sich eine Zigarette an und ließ das Streichholz in den nächstbesten Gully fallen. »Eins ist jedenfalls klar, die gute Frau lügt wie gedruckt. Darauf kannst du Gift nehmen.«

»Nach dir, Herr Kommissar!«, gab Klinke gänzlich unbeeindruckt zurück. »Und wenn sie Schiss hat, was dann?«

»Na, du machst mir vielleicht Spaß!«

»Wieso?«

»Da spielt diese Scharteke Katz und Maus mit uns, und unser Berliner Teddy mit den Riesenkulleraugen kriegt sich vor Mitleid fast nicht mehr ein!«

»Na, na, na! Jetzt mach aber mal halblang! Redet man so über eine Dame aus adligem Haus? Noch dazu, wenn man selbst blaues Blut in den Adern hat?«

»Ach, rutsch mir doch mitsamt deinem Kreuzberger Karnickelstall den Buckel runter!«

»Ganz wie Ihre Lordschaft wünschen!«, frotzelte Klinke drauflos. »Wenn wir die Sache hinter uns gebracht haben, stehen Edith, die Kinder und meine Wenigkeit Ihnen gerne zur Verfügung! Aber im Ernst, was liegt als Nächstes an?«

»Erst mal schauen, was die Spurensicherung sagt. Dann sehen wir weiter.«

»Ich sags ja nicht gerne, aber das mit dem Linkshänder war ein Geistesblitz der Güteklasse A.«

»Verbindlichsten Dank. Was das bedeutet, muss ich dir ja wohl nicht sagen.«

»Ärger hoch drei, ich weiß.« Auf einmal war Klinke das Frotzeln vergangen, und er machte ein betretenes Gesicht. »Sollte sich bestätigen, dass sich der Herr Sturmbannführer nicht selbst die Kugel gegeben hat, haben wir ein Problem.«

»Ich wüsste nicht, wieso.«

»Was soll denn das jetzt schon wieder heißen?«

Im Begriff, Klinke eine Antwort zu geben, drehte sich Sydow instinktiv um. Zu Recht, wie ein Blick auf die hin und her schaukelnden Wohnzimmergardinen bewies. Der Kommissar tat so, als sei ihm nichts aufgefallen und ließ den Blick über das nagelneue Anwesen mit Vorgarten schweifen. Nichts für kleine Geldbeutel, dachte er. Für Haus und Garten hatte der Herr Sturmbannführer gut und gerne 120Reichsmark berappen müssen, wenn das mal reichte. Weit mehr jedenfalls, als ein Arbeiter im Monat verdiente. Blanker Hohn, wenn man das Gefasel von der Volksgemeinschaft für bare Münze nahm. Sydow verzog das Gesicht. Kein Wunder, dass er immer öfter über die Stränge schlug.

»Was das heißen soll?«, schreckte Sydow aus seinen Gedanken auf. »Doch wohl nichts anderes, als dass wir auf dem besten Weg sind, jemand ganz Bestimmtem in die Quere zu kommen! Oder bildest du dir ein, Moebius und seine zwei Berggorillas sind rein zufällig aufgekreuzt? Etwa, um uns guten Morgen zu wünschen? Komm schon, Klinke, das glaubst du doch wohl selber nicht! Da steckt mehr dahinter, wesentlich mehr. Die Sache stinkt, und zwar gewaltig!«

Klinke brauchte zwei, drei Sekunden, um die Pointe zu verdauen, und nachdem das der Fall war, hatte sich sein optimistisches Naturell in Luft aufgelöst. »Daher also die Schnapsidee, die Leiche nicht von Boehm, sondern von deinem Kumpel an der Charité obduzieren zu lassen!«, antwortete er gedrückt und schwieg sich geraume Zeit aus. »Wenn das mal keinen Ärger gibt!«

»Den gibts gratis, darauf kannst du wetten!«

»Lieber nicht!« Klinke brach abrupt ab, kramte seine Autoschlüssel hervor und machte Anstalten, die Straße zu überqueren. Kurz bevor er den VW-Kübelwagen auf der anderen Seite erreichte, drehte er sich zu Sydow um, der ihm auf dem Fuße folgte.

»Für den Fall, dass du recht hast, ist die Kacke ja wohl gewaltig am Dampfen!«, raunte er ihm über die Schulter zu. »Auf die Gefahr, weiter in deiner Achtung zu sinken: Ich für meinen Teil kann es immer noch nicht so richtig…«

Weiter kam Klinke nicht.

Der Mercedes Benz 230 kam von rechts. Die Sonne blendete ihn, und vielleicht war das auch der Grund, warum Sydows Assistent das dunkle Cabriolet zunächst nicht bemerkte.

Nur ein, zwei Schritte. Dann wäre er aus dem Schneider gewesen. Egal, ob die Limousine mit 100 Sachen vorbeidonnerte oder nicht. So aber blieb Klinke wie auf dem Präsentierteller stehen. Gut zwei Zentner geballte Kraft, die sich keinen Millimeter von der Stelle rührten.

Genau so, wie man es von ihm erwartete.

Als der Fahrer der Limousine einen höheren Gang einlegte, heulte der Sechszylinder-Motor kurz auf. Auf der Windschutzscheibe spiegelte sich die Sonne, der Grund, weshalb Sydow die Insassen nicht sah.

Aber das war auch nicht nötig. Er wusste auch so, wer sich dahinter verbarg.

Und reagierte entsprechend.