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Weiter kam Max Claasen nicht mehr. Er hatte die Phosphorbombe, die ihm zum Verhängnis werden sollte, nicht kommen sehen. Ihm blieb nicht einmal mehr Zeit, seinen Satz zu vollenden, geschweige denn zu schreien.

Und er musste keine Qualen durchleiden, denn kaum war die Bombe in nächster Nähe explodiert, wurde der Marder von einem hell auflodernden, gefräßigen, alles verschlingenden Feuerball verschluckt.

| 23.48h

»Sie können jetzt nicht da raus, Fräulein!«, redete der Luftschutzwart Rebecca gut zu. »Da droben ist gerade die Hölle los!«

»Mag sein«, antwortete sie und warf einen Blick auf die Uhr. »Bedauerlicherweise wird mir nichts anderes übrig bleiben.«

Der Keller, in den sie sich vor knapp 20 Minuten geflüchtet hatte, lag an der Hermann-Göring-Straße, in unmittelbarer Nähe der Ecke Tiergartenstraße. Aufgrund der Zivilstreifen, Schupos und Luftwaffenhelfer, die jeden aufgegriffen hatten, der sich noch im Freien aufhielt, war ihr nichts anderes übriggeblieben. Allmählich lief ihr jedoch die Zeit davon, und das Ticken der Uhr in dem engen, hoffnungslos überfüllten Kellergewölbe brachte sie fast um den Verstand. Bekäme das Haus einen Volltreffer ab, hätte ohnehin niemand eine Chance.

Die Blicke der Hausbewohner im Rücken, die wie in einer Sardinenbüchse aneinander gedrängt waren, sah Rebecca den Luftschutzwart beschwörend an. Bezüglich der Frage, ob einer strammer Nazi war oder nicht, hatte sie ihr Instinkt bislang nur selten im Stich gelassen. Dieser Mann hier, um die 60, grauhaarig und mit leicht gerötetem Gesicht, war es jedenfalls nicht. Sonst wäre jegliche Diskussion von vornherein zwecklos gewesen.

»So nehmen Sie doch Vernunft an, Fräulein!«, beschwor sie der großväterlich wirkende Mann und hantierte nervös an seiner Gasmaske herum. »Ein Schritt vor die Tür, und es ist aus und vorbei!«

Rebecca umklammerte die Tasche, in der sich das Schriftstück befand, um dessentwillen sie das alles hier auf sich nahm. »Und selbst wenn–«, ließ sie nicht locker und reckte trotzig das Kinn, »ich muss es einfach riskieren!«

Der Luftschutzwart runzelte die Stirn. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, Rebecca von ihrem Vorhaben abzubringen, zumal er der weitaus Kräftigere war. Aus einem unerfindlichen Grund ließ er es darauf jedoch nicht ankommen, kratzte sich hinterm Ohr und zuckte verständnislos die Achseln. »Wer immer Sie auch sein mögen, Fräulein–«, brummte er, »Sie müssen ja etwas wirklich Dringendes zu erledigen haben.«

Rebecca lächelte schwach. »In der Tat!«, erwiderte sie, während sie die Tasche, für deren Inhalt sie ihr Leben aufs Spiel setzte, wie ein Kleinkind in den Armen barg.

Der Luftschutzwart bedachte diese mit einem forschenden Blick, vermied es jedoch, Rebecca nach ihrem Inhalt zu fragen. Im Bilde zu sein war gut, über Dinge hinwegzusehen, derentwegen man Scherereien bekommen konnte, noch besser.

»Dann man viel Glück, Fräulein!«, rief er der mysteriösen jungen Frau noch hinterher, tippte an den Schirm seiner Mütze und seufzte tief.

Eine Antwort sollte er jedoch nicht bekommen. Die Tasche fest an die Brust gepresst, hatte Rebecca die Kellertreppe längst hinter sich gelassen.

| 23.50h

Der Anblick, so grausam er ihm auch erschien, hatte etwas Faszinierendes an sich. Von seinen Einsätzen über dem besetzten Frankreich war er zwar einiges gewohnt. An das hier reichten seine Erfahrungen jedoch nicht heran.

McLeod, der dem gut 400 Bomber umfassenden Verband im Abstand von fünf Minuten folgte, fehlten die Worte. Schon aus einer Entfernung von 20 Kilometern war die Zielmarkierung deutlich zu erkennen, und wenn ihm die Flak jetzt keinen Strich durch die Rechnung machte, wäre der Rest so etwas wie Routine für ihn.

Na ja, jedenfalls fast.

Das Einzige, was ihm derzeit Kopfzerbrechen bereitete, war diese Unwetterwarnung, mehr als sämtliche Flakbunker zusammen. Darüber wollte er sich jedoch nicht allzu viele Gedanken machen. Worauf es ankam, war, diesen Vogel heil runterzubringen, Claasen aufzustöbern und so schnell wie möglich wieder abzuhauen.

Das Mündungsfeuer der Flakbatterien vor Augen, deren Geschosse immer dichter neben seiner Mosquito NF Mk. XIX explodierten, ging McLeod auf 6.000 Fuß und steuerte auf das hell auflodernde Rechteck zu, in dessen Mitte sich die Ost-West-Achse befand. Die Jungs von der Pfadfinder-Schwadron hatten wirklich ganze Arbeit geleistet. Das Gebiet um den Tiergarten war leicht zu erkennen, viel besser als erhofft. Selbst ein Anfänger hätte hier landen können.

Na, das nun nicht gerade.

Wenn, ja, wenn nur die Flak nicht gewesen wäre. Trotz seiner Abgebrühtheit klebten McLeods Hände am Steuer, und die Uniform mit den schwarzblau gestreiften Ärmeln war völlig durchgeschwitzt. Ein Glück, dass die zwei Motoren reibungslos liefen. Sonst wären seine Chancen, diesem Höllenfeuer zu entrinnen, auf null gesunken.

3.500 Fuß. Die Brände waren so hell, der Verlauf der Ost-West-Achse derart gut zu erkennen, dass er das Gefühl hatte, sich im Landeanflug auf seinen Stützpunkt zu befinden. Daran, dass dem nicht so war, erinnerte ihn die dicht neben der rechten Tragfläche explodierende Granate, die dazu führte, dass einer der Motoren sofort ausfiel, der andere vorübergehend ins Stottern geriet. Mit seiner britischen Gelassenheit war es jedenfalls schlagartig vorbei, ungeachtet der Tatsache, dass er die Mosquito trotzdem auf Kurs halten konnte. Noch so ein Ding, und die da drunten würden ihn Göring zum Fraß vorwerfen.

Worauf er liebend gern verzichten würde.

3.000. Der Steuerbordmotor lief nur noch auf halber Kraft, höchste Zeit, den Showdown hinter sich zu bringen. Vor ihm ein Meer explodierender Granaten, Flugabwehrgeschosse und detonierender Geschützmunition, versuchte McLeod, seine ›Mossie‹ zu stabilisieren. Eines musste man den Jungs dort unten lassen. Sie machten ihm das Leben verdammt schwer. McLeod stöhnte innerlich auf. Zu dumm, dass ausgerechnet jetzt das Wetter nicht mitspielte. Im Osten, über dem Bezirk Friedrichshain, leuchteten bereits die ersten Blitze auf. Und genau dorthin, mitten in das sich zusammenbrauende Unwetter, würde er jetzt fliegen. Also schön brav die Arschbacken zusammengekniffen, Eier eingeklemmt und den Glauben an König und Vaterland im Blick. Und von dort drüben aus eine Schleife in Richtung Linden drehen.

Rundflug über Berlin. Hatte er sich schon immer gewünscht.

800 Fuß und ein paar Zerquetschte. Kaum hatte McLeod sein Wendemanöver beendet, schlug der Blitz in die linke Tragfläche ein. Auf einen Schlag fiel die komplette Elektronik aus, und die Maschine geriet ins Trudeln, sackte innerhalb von Sekundenbruchteilen auf 500 Fuß ab. Glück für ihn, dass der Stromausfall nur von kurzer Dauer war. Sonst hätte er sein Testament machen können.

Um dem Beschuss auszuweichen, den der zweite der drei Berliner Flaktürme ausspie, vollführte McLeod eine weitere Drehung und setzte erneut zum Landeanflug an, musste, da er zu hoch flog, seine Maschine in Höhe des Alexanderplatzes aber erneut durchsacken lassen.

Bullshit! Aus der gemütlichen Spritztour würde nichts mehr werden.

Hätte er sich eigentlich gleich denken können.

An Max Claasen, den er irgendwo dort unten auflesen sollte, verschwendete er keinen Gedanken mehr.

Vorerst jedenfalls.

Für ihn, Wing Commander Jason McLeod, ging es nämlich nur noch um eins: ums nackte Überleben.

| 23.58 h

Zuerst die Pfadfinder. Dann der übliche Budenzauber. Und dann, ein paar Minuten später, die Bomberflotte, mehrere Hundert Mosquito, Halifax und Lancaster-Maschinen stark. Der Weltuntergang, und das höchstens einen halben Kilometer entfernt.

Der Weltuntergang, aus dem wider Erwarten nichts werden sollte.