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»Falsch gedacht!«, fuhr ihm Sydow in die Parade. »Erst dann, wenn es der mit der Untersuchung betraute Beamte für angemessen hält.«

»Und was, bitte schön, gäbe es Ihrer Meinung nach noch zu tun?«

»Eine Menge.«

»So zum Beispiel?«

Ein Lächeln glitt über Sydows Gesicht. »Eine Obduktion durchführen zu lassen, Doktor Boehm!«, gab er genüsslich zurück. »Damit alles seine Richtigkeit hat!«

»Obduzieren? Aber wozu denn?«

»Um auf Nummer sicher zu gehen, mehr nicht.«

»Heißt das, Sie haben schon irgendeinen Verdacht?«, schaltete sich Moebius ein.

»Nicht wirklich«, wimmelte Sydow seinen neuen Intimfeind wie ein lästiges Insekt ab. »Es sei denn, die Spurensicherung liefert neue Erkenntnisse.«

»Wozu dann das Ganze?«

»Purer Instinkt, Obersturmführer, purer Instinkt. Und soll ich Ihnen was sagen? Er hat mich noch nie im Stich gelassen!«

8

London-Westminster, Cabinet War Rooms | 08.05 h OZ

Zu den Dingen, die Winston Churchill schätzte, zählten Zigarren, Scotch und französische Küche. Und selbstverständlich Champagner.

Ein Frühstück mit Edvard Beneš gehörte nicht dazu.

Trotzdem ließ er sich nichts anmerken. Churchill, seit gut zwei Jahren britischer Premierminister, lächelte, schnalzte mit der Zunge und erhob sein Sherry-Glas. »Auf das gelungene Attentat!«, rief er und konnte seine Befriedigung dabei nicht verhehlen.

Edvard Beneš, fast 10 Jahre jünger und mindestens ebenso viele Kilo leichter, teilte die Zufriedenheit seines Gastgebers nicht. Der Kopf der tschechoslowakischen Exilregierung runzelte die hohe Stirn und strich die graumelierten Schläfen glatt. Erst dann erwiderte er Churchills Toast.

»Warum so nachdenklich?«, wollte Churchill wissen, eine Frage, die er sich hätte sparen können.

»Bedaure, Herr Premierminister!«, erwiderte Beneš mit belegter Stimme. »Wie Sie sich denken können, ist meine Laune momentan nicht die beste!«

»Mit anderen Worten, von den Fallschirmjägern gibt es immer noch keine Spur.«

»Doch, schon.«

»Und? Wo stecken die drei?«

»In der Krypta einer Kirche in Prag. Zusammen mit vier weiteren Kameraden. Hitler hat fünf Millionen Kronen als Belohnung ausgesetzt. Die SS stellt derzeit alles auf den Kopf.«

Churchill nickte und trank seinen Sherry leer. Dass die letzte Bemerkung seines Gastes eine absolute Verharmlosung war, wusste er nur zu gut.

»Wie dem auch sei!«, versuchte er Beneš in der ihm eigenen Mischung aus Jovialität und Verbissenheit aufzumuntern. »Der Tag ist nicht mehr fern, an dem wir die Nazis in die Knie zwingen.«

»Bei allem gebotenen Respekt, Herr Premierminister. Wie lange, denken Sie, wird das dauern? Die Deutschen vor Leningrad und Tobruk, die Japaner in Singapur und Rangun, London in Reichweite deutscher Bomber–kein Grund zum Optimismus, finden Sie nicht auch?«

»Und der Tausendbomberangriff auf Köln vor einer Woche?«

Beneš setzte zu einer Erwiderung an, hielt sich jedoch lieber zurück. Churchill kam dies nicht ungelegen, und so schwieg auch er sich nach Kräften aus und wandte sich dem Frühstück zu: Eier, Toast und Speck. Dazu ein Glas Sherry. Das einzig Wahre, um einen Tag zu beginnen, von dem er nicht wusste, welche neuerlichen Hiobsbotschaften er ihm bescheren würde.

Nach zwei Drinks und etlichen Minuten später wurde es ihm aber dann doch zu bunt. Das weiß getünchte Frühstückszimmer, Teil seiner unterirdischen Kommandozentrale, strahlte ungefähr so viel Gemütlichkeit aus wie eine U-Bahn-Station. Trotz Tisch, Anrichte und Bildern an der Wand. Churchill konnte einen Stoßseufzer gerade noch unterdrücken. Lieber in der Downing Street und das Risiko eines Bombenangriffs als 15 Meter unter der Erde. Und dann noch dieser Beneš mit seinem furchtbaren Akzent, penetrant bis zum Gehtnichtmehr. Einfach zum Verrücktwerden.

»Vegetarier, Abstinenzler und Schonkost–dieser Hitler muss wirklich verrückt sein!«, versuchte Churchill das Gespräch wieder in Gang zu bringen und schenkte sich einen weiteren Sherry nach. Über das indignierte Stirnrunzeln seines Gastes sah er großzügig hinweg.

Leider reagierte Beneš nicht wie erhofft. »Wenn das so weitergeht, bleibt kein Stein auf dem anderen!«, ließ er nicht locker. »Verhaftungen, Folterungen, Hinrichtungen–ich weiß nicht, wohin das noch führen soll!«

»Gehe ich fehl in der Annahme, dass Sie, lieber Beneš, einer derjenigen waren, die sich besonders vehement für das Attentat auf Heydrich ausgesprochen haben? Eine Operation, die durch den Einsatz einer britischen Halifax überhaupt erst möglich gemacht…«

Es war das Wandtelefon, das die Situation rettete. Churchill ließ Beneš einfach links liegen, stand auf und nahm den Hörer ab.

»Churchill.« Im Laufe des nur etwa einminütigen Gesprächs hellte sich Churchills Miene immer mehr auf, allem angestauten Ärger zum Trotz. Als er auflegte, war er blendender Laune und wandte sich wieder dem opulenten Frühstück zu. Auf die fragenden Blicke von Beneš reagierte er zunächst nicht. Das hatte natürlich etwas damit zu tun, dass der Secret Service am Apparat gewesen war. Aber auch damit, dass er diesem tschechischen Querulanten eins auswischen wollte.

»Endlich einmal wieder gute Neuigkeiten!«, blühte er regelrecht auf.

»Darf man erfahren, welche?«

»Bedaure!«, retournierte Churchill spitz. »Top secret!«

»Mit anderen Worten, es hat weder etwas mit Heydrich noch mit unserer gemeinsamen Operation zu tun.«

»Doch.«

»Und was?«

»Wie gesagt, mein lieber Beneš, top secret!«, antwortete Churchill mit hintergründigem Lächeln und schaufelte noch eine Portion Rührei auf den Teller. »Aber keine Sorge!«, munterte er seinen Gast rasch auf. »Mit ein bisschen Glück werden wir die SS samt Gestapo und SD bis auf die Knochen blamieren!«

9

SS-Kameradschaftssiedlung ›Krumme Lanke‹

Berlin-Zehlendorf, König-Heinrich-Straße      | 09.10h

›Marineschule Mürwick, Crew 22. Oberleutnant zur See von Möllendorf.‹

Seekadetten, die für ein Abschlussfoto posieren. Teils schüchtern, teils mit unbändigem Stolz. Kaum einer älter als 18, die meisten fast noch ein Kind. Und daneben die obligatorische Erinnerungsplakette.

Das Foto ging ihm unter die Haut. Da konnte er machen, was er wollte. Die Erinnerung war einfach nicht totzukriegen. Damals, mit 18, war die Welt in Ordnung, seine Eltern noch zusammen und er, Thomas Randolph von Sydow, Zögling des englischen Nobelinternats Eton gewesen. Und heute? Keine Spur mehr von heiler Welt, nicht die Bohne. Der Kommissar raufte sich die rotblonde Mähne. Einfach zum Kotzen, in so einer Zeit leben zu müssen.

Sydow hängte das Bild wieder an seinen Platz, direkt neben die Erinnerungsplakette. Schluss damit, dachte er. Ein für alle Mal. Die alten Zeiten waren vorbei. Für immer. Kein Platz für Nostalgiegefühle. Und schon gar nicht für Selbstmitleid. Dienst war Dienst und Schnaps war Schnaps. Und der, beziehungsweise die Folgen seiner nächtlichen Eskapaden, setzten ihm immer noch zu. Trotz oder gerade wegen der Aufgabe, die er zu erfüllen hatte. Einer Aufgabe, die mit zum Unangenehmsten zählte, was einem Polizeibeamten passieren konnte.

»Oberleutnant zur See–wie interessant.« Sydow hatte die Bemerkung aus purer Verlegenheit gemacht. Die Wirkung, die er damit erzielte, war jedoch enorm.

Die Frau an der Verandatür, die trotz der sommerlichen Temperaturen Handschuhe trug, fuhr abrupt herum. Sie war höchstens 35, trug eine schwarz gestreifte Bluse mit gestärktem Kragen, den dazu passenden Rock und sah wie eine in die Jahre gekommene Gouvernante aus der Kaiserzeit aus. Der prüfende Blick und die ersten grauen Strähnen im streng gescheitelten Haar trugen das Ihre zu diesem Eindruck bei. Irene von Möllendorf wirkte gefasst, auf merkwürdige, um nicht zu sagen obszöne Art. Sydow runzelte die Stirn. Fehlt nur noch der Zwicker, dachte er bei sich. Echte Trauer stellte man sich jedenfalls anders vor.