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Tigerishka streckte die Pfote aus, berührte damit sein rechtes Handgelenk und zog die Pfote wieder zurück. Paul stellte zu seiner Überraschung fest, daß er den rechten Arm jetzt unbehindert bewegen konnte. Er bewegte prüfend die Finger und beugte mehrmals den ganzen Arm; dann wollte er die Hand an die Lippen bringen, ließ sie aber plötzlich wieder sinken.

Wenn er nur mit den Fingern seinen Mund berührte, konnte sie aus dieser Geste schließen, daß er mit einem Schlauch durch den Mund gefüttert zu werden wünschte.

Paul berührte die Stirn mit den Fingern, zeigte dann auf seinen Mund und schließlich Tigerishkas spitze Ohren. Dann hatte er eine neue Inspiration — er wies auf ihren Rachen mit den gefährlich aussehenden Reißzähnen und deutete dann wieder auf seine Ohren.

»Ja, ich weiß, daß du reden willst«, antwortete Tigerishka. »Der Affe möchte mit der Katze schwatzen, wie?« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein! Dann kommen nur unwichtige Fragen — eine, zehn, tausend! Ich kenne die Affen gut genug.«

Paul ließ enttäuscht die Hand sinken.

»Trotzdem habe ich vor, dir einiges zu erzählen«, fuhr Tigerishka nach einer kurzen Pause fort. Sie sprach rasch weiter, als langweile sie die Aufzählung: »Ich gehöre einer überlegenen galaktischen Zivilisation an. Wir lesen Gedanken, verständigen uns telepathisch, fliegen durch den Hyperraum, leben unendlich lange und können Sonnen zur Explosion bringen. Wir sehen wie Tiere aus, weil wir die Körperformen unserer Vorväter wieder angenommen haben, wodurch das Gehirn kleiner, aber in Wirklichkeit riesig wird — Psychophysiosubmikrominiaturisation! Wir bleiben überlegen. Das glaubst du nicht? Hör zu. Pflanzen leben von anorganischer Materie: Sie sind überlegen! Tiere fressen Pflanzen: Sie sind überlegen. Katzen essen frisches Fleisch: wir sind noch überlegener! Affen wollen alles fressen: ein fürchterliches Durcheinander!«

Dann fügte sie noch hinzu: »Der Wanderer fliegt durch den Hyperraum. Ja, ich weiß — die Himmelsaufnahmen. Wir brauchen Treibstoff — viel Materie für die Konverter. Euer Mond ist ausgezeichnet dafür geeignet; wir zertrümmern, pulverisieren und saugen ihn auf. Wenn wir genügend Treibstoff haben, fliegen wir wieder fort. Die Affen brauchen sich also nicht aufzuregen.«

Nachdem Tigerishka ihren kleinen Vortrag beendet hatte, war Paul fünf Sekunden lang wütend, weil er sich über ihre herzlosen Vereinfachungen ärgerte. Dann fiel ihm ein, daß er im Augenblick nichts unternehmen konnte, was die gegenwärtige Situation verändert hätte. Deshalb holte er langsam tief Luft und hoffte, daß sein Gesicht jetzt weniger rot angelaufen war. Als nächstes drückte er die Hand auf den Mund und nahm sie plötzlich wieder fort, als wolle er sagen: »Weg mit dem Knebel!«

Dabei fiel ihm ein, daß diese Geste im Grunde genommen sinnlos war, denn Tigerishka kannte seine Gedanken schließlich ebensogut wie er selbst. Aber dann wurde ihm klar, daß es sich dabei um ein Spiel handelte. Katzen spielen gern mit hilflosen Opfern, und Tigerishka war in diesem Fall keine Ausnahme.

Sie bestätigte Pauls Verdacht, indem sie langsam den Kopf schüttelte und dabei höhnisch zu grinsen schien.

Paul entschied sich für eine leichte Veränderung seiner Geste. Er wiederholte die vorher gemachte Handbewegung, führte aber dann die Hand zum Mund, als halte er ein Glas, aus dem er trinke. Schließlich legte er noch den Zeigefinger über die Lippen.

Tigerishka starrte ihn aufmerksam an. »Du sprichst nicht, wenn ich dich trinken lasse? Kein einziges Wort?«

Paul nickte ernsthaft.

Tigerishka klappte den Deckel des Kastens auf und holte eine weiße Plastikflasche daraus hervor, die etwa einen Liter Flüssigkeit enthielt. Dann hielt sie Paul die Flasche an den Mund und sagte: »Ich drücke vorsichtig, während du trinkst.« Sie fuhr ihm mit der anderen Pfote über die Lippen. Der Knebel verschwand augenblicklich, dann spürte Paul die kalte Flüssigkeit, die eine Wohltat für seinen ausgetrockneten Hals war. Nach dem ersten Schluck merkte er auch, was er trank: Milch. Er konnte nicht beurteilen, ob sie überhaupt für seinen Körper verdaulich war, verließ sich aber in dieser Beziehung ganz auf Tigerishka.

Als Paul den ersten Durst gestillt hatte, hob er die Hand, um die Plastikflasche selbst zusammenzudrücken. Tigerishka hatte nichts dagegen einzuwenden, ließ aber trotzdem nicht gleich los, so daß er einen Augenblick lang den samtweichen Pelz ihrer Pfote berührte, unter dem sich die eingezogenen Krallen deutlich abzeichneten. Dann zog sie ihre Tatze zurück und sagte dabei nur: »Langsam und vorsichtig!«

Als die Flasche leergetrunken war, gab Paul sie ihr zurück und sagte unwillkürlich: »Danke ...« Aber bevor er noch etwas hinzufügen konnte, berührte Tigerishka wieder seine Lippen, so daß er nicht weitersprechen konnte.

Paul fragte sich, ob der Knebel vielleicht nur in seiner Einbildung existierte, aber bevor er zu einer Entscheidung darüber gekommen war, wurde er von einer unerklärlichen Müdigkeit erfaßt. Er merkte nur noch, daß die unsichtbare Sonne nicht mehr so hell wie zuvor schien, und spürte undeutlich, daß Tigerishka die Fesseln an seinem linken Arm und am linken Bein löste, so daß er nur noch mit dem rechten Bein an das Deck gefesselt war.

In der letzten wachen Sekunde glaubte er, Tigerishkas Stimme noch einmal zu hören. »Schlaf gut, Affe«, hatte sie gesagt — oder war das nur eine Einbildung gewesen?

26

Der Wanderer zeigte der Erde sein Yin-Yang-Gesicht zum fünftenmal. Jetzt stand er bereits einen ganzen Tag lang am Nachthimmel der Erde. Für die Meteorologen der internationalen Beobachtungsstation am Südpol, die zu diesem Zeitpunkt ihren ununterbrochenen Winter erlebten, hatte der Wanderer in stets gleichbleibender Entfernung vom Horizont einen Vollkreis beschrieben. Jetzt hing er wieder an der Stelle, an der er zuerst erschienen war — über der Queen Maud Range und Marie Byrd Land. Unter seinem Licht schien der Schnee grün und violett zu glühen.

Der seltsame neue Planet förderte überall den Glauben an das Übersinnliche und brachte alle möglichen Verrücktheiten zum Ausbruch.

In Indien, das bisher von großen Erdbeben und hohen Fluten verschont geblieben war, wurde der Wanderer lange Nächte hindurch von großen Massen gläubiger Menschen in feierlichen Zeremonien verehrt. Einige sahen in ihm den unsichtbaren Planeten Ketu, den die Schlange endlich wieder von sich gegeben hatte. Die Brahmanen versenkten sich in die Betrachtung des neuen Planeten und deuteten vorsichtig an, daß er das erste Anzeichen für den Beginn einer neuen Kalpa sein könne.

In Südafrika wirkte der Wanderer wie ein Signal zu einem blutigen Aufstand der Schwarzen gegen die weißen Herrscher des Landes.

In protestantischen Ländern wurde die Offenbarung des Johannes in Tausenden von Bibeln aufmerksam studiert, die zuvor niemals gelesen oder nur aufgeschlagen worden waren.

In Rom gab sich der neue Papst, dessen Hobby die Astronomie war, vergeblich Mühe, abergläubische Spekulationen und Auslegungen zurückzuweisen. Zur gleichen Zeit gaben die Journalisten sich alle Mühe, Filmstars und andere Tagesberühmtheiten mit dem Wanderer als Hintergrund zu interviewen und zu fotografieren — während Ostia gegen die Fluten kämpfte und das Mittelmeer bis weit in die Tibermündung hinein vordrang.