Hinter dem ›Baba Yaga‹ stand das russische Schiff — ebenfalls wie neu glänzend und mit einer ähnlichen Röhre vor der Luftschleuse, die bei dem russischen Modell allerdings am Bug lag.
Der Tiger berührte Don leicht an der Schulter und sagte langsam: »Wir begleiten dich jetzt zu einem deiner Freunde von der Erde. Dein Schiff ist wieder vollkommen flugtüchtig und wird dir später übergeben, aber zuerst fliegen wir in meinem. Du kannst später im Raum umsteigen. Keine Angst, wir haben für alles gesorgt.«
Paul Hagbolt öffnete langsam die Augen und zuckte gleichzeitig erschrocken zusammen. Tigerishka fauchte ihn an: »Wach auf und zieh dich an! Wir bekommen Besuch!«
Seine Reflexbewegung hatte im freien Fall bewirkt, daß er zwei Meter weit vom Fenster fortgetragen wurde, so daß er im Augenblick nur hilflos durch den Raum schwebte.
Die unsichtbare Sonne leuchtete wie zuvor, und die Fensterflächen waren wieder rosa, so daß das Innere der Untertasse — nicht zuletzt wegen der Blumen — an eine Mischung aus Schaltzentrale und Boudoir erinnerte.
Tigerishka holte einige Gegenstände aus einer Klappe in der Wand vor Paul. Dann warf sie ihm die Sachen entgegen.
Irgend etwas verhakte sich in ihren Krallen. Sie riß es wütend los und schleuderte es hinter den anderen Gegenständen her.
Paul — oder vielmehr sein Körper — fing die Sachen ohne große Mühe auf, denn Tigerishka hatte gut gezielt. Es handelte sich dabei um sein Hemd, seine Hose und seine Schuhe, die er ausgezogen hatte, weil ihm sonst zu warm gewesen wäre. Hemd und Hose waren sauber gewaschen, aber die Hose hatte keine Bügelfalten mehr. Paul starrte sie verständnislos an und murmelte schlaftrunken: »Aber Tigerishka, ich ...«
»Keine Widerrede!« unterbrach sie ihn wütend. »Hier ist noch etwas.« Pauls Jacke folgte ihren Worten. Dann setzte sich plötzlich der rosa Fußboden in Bewegung, so daß Paul sich in sitzender Stellung wiederfand. Sie rief: »Ich habe deine gewohnte Schwerkraft eingestellt, damit du dich endlich anziehen kannst! Hoffentlich beeilst du dich jetzt ein bißchen!«
»Tigerishka«, sagte Paul, während er auf dem Boden saß und langsam seine Hose anzog, »du hast mir gegenüber einmal mit deiner Fähigkeit geprahlt, meine Gedanken lesen zu können. Dein Verstand arbeitet bestimmt wesentlich rascher als meiner. Vermutlich besitzt du sogar ein eidetisches Gedächtnis für alle Ereignisse — und für das, was du in meinen Erinnerungen liest. Aber als ich gestern vier Himmelsfotografien erwähnt habe — Aufnahmen eines Planeten, der in den Normalraum übertritt, wie mir unterdessen klar ist —, hast du mir versichert, daß es nur zwei geben dürfte: in der Nähe von Pluto und in unmittelbarer Umgebung der Venus.
Du kannst glauben, was du willst, aber ich weiß sicher, daß es insgesamt vier Aufnahmen waren, die nicht zwei, sondern vier Übertritte zeigen.« An dieser Stelle spürte Paul, daß Tigerishka in seine Gedanken eindrang. Trotzdem fuhr er ruhig fort: »Es handelt sich um die zweite und die vierte Fotografie, die Übertritte in der Nähe des Jupiters und unseres Mondes darstellen.«
Ihre Antwort überraschte ihn, denn sie sagte nur: »Du hast völlig recht. Ich muß mich sofort mit dem Wanderer in Verbindung setzen. Vielleicht ist es das, wovor wir uns ... fürchten.« Tigerishka drehte sich um und ging auf das Kontrollpult zu. Unter der jetzt herrschenden Schwerkraft ging sie wie Paul aufrecht auf den Hinterbeinen. »Du kannst unseren Besucher begrüßen!« rief sie ihm noch zu.
Eine runde Klappe öffnete sich im Boden vor Paul. Dann tauchten Kopf und Schultern eines Mannes darin auf, der die Uniform der amerikanischen Luftwaffe trug; der Unbekannte kehrte Paul vorläufig noch den Rücken zu. Als das künstliche Schwerefeld ihn erfaßte, stützte er die Ellbogen auf das Deck, aber dann hatte er sich offenbar an die veränderten Verhältnisse gewöhnt, denn er schob seinen Körper rasch weiter in die Untertasse hinein.
Paul, der eben erst sein Hemd angezogen hatte, stand ebenfalls rasch auf und konnte noch einen Blick in eine mannsdicke Röhre werfen, bevor die Klappe sich wieder schloß.
Der Besucher, der zunächst nur Tigerishka angestarrt hatte, drehte sich jetzt um.
»Don!«
»Paul!«
»Ich dachte, du seist mit dem Mond verschollen. Wie bist du ...«
»Und ich dachte, du seist ... ich weiß selbst nicht mehr. Aber wie ...«
Beide schwiegen verlegen und warteten darauf, daß der andere etwas sagen würde. Dann merkte Paul, daß Don ihn neugierig von Kopf bis Fuß betrachtete. Er knöpfte rasch sein Hemd zu und stopfte es in die Hose.
Don schüttelte verständnislos den Kopf und begann dann zu grinsen.
Paul wußte, daß er rot geworden war. Er ärgerte sich über sich selbst.
Tigerishka drehte sich rasch nach den beiden Männern um und sagte: »Willkommen, Donald Barnard Merriam! Du mußt entschuldigen, daß der Affe sich so komisch benimmt — er schämt sich, weil er nicht vollständig bekleidet war. Aber ich nehme an, daß du an seiner Stelle ähnlich reagieren würdest. Ihr solltet es beide wirklich einmal mit Pelz versuchen!«
36
Die Untertassen-Beobachter hatten seit anderthalb Stunden ihr Lager eingerichtet, hatten zu Abend gegessen und sich dann gegenseitig die kleinen Verletzungen und Kratzer verbunden, die fast alle bei der Beseitigung der Erdrutsche davongetragen hatten. Jetzt schlief mehr als die Hälfte von ihnen in den beiden Fahrzeugen oder zumindest unmittelbar neben ihnen. Obwohl die Nacht selbst für Kalifornien ungewöhnlich warm war, hatte Doddsy darauf bestanden, daß jeder eine Decke oder wenigstens eine Plane erhielt, weil es gegen Morgen vermutlich kühl werden würde.
Drei Gestalten hielten sich noch immer in der Nähe des Primuskochers auf, mit dem sie Wasser für Tee erhitzt hatten: Pop, der mit dem Rücken gegen einen Felsen gelehnt auf einer Decke saß und die Beine von sich streckte, während er seine schlechten Zähne nachdenklich betastete, als sei der liebe Gott ein Zahnarzt, den er wegen eines Kunstfehlers verklagen wollte, der Ladestock, der im Schneidersitz neben Pop saß und zu dem Wanderer aufsah, als habe er dort endlich den Nabel des Weltalls gefunden, in dessen Betrachtung er sich versenken mußte und der kleine Mann, der sein Notizbuch auf den Knien hatte und im Licht des Wanderers die Beobachtungen und Ereignisse des vergangenen Tages aufzeichnete.
Hunter kam Hand in Hand mit Margo heran und berührte die Schultern des kleinen Mannes. »Doddsy, Miß Gelhorn und ich möchten einen kleinen Spaziergang auf dem Hügelrücken machen«, erklärte er ruhig. »Falls etwas Ernsthaftes passieren sollte, hupen Sie bitte fünfmal.«
Der kleine Mann sah auf und nickte.
Pop warf einen mißtrauischen Blick auf die beiden und wandte sich dann schulterzuckend ab. Er pfiff leise vor sich hin.
Der Ladestock unterbrach seine Meditation, um Pop einen strafenden Blick zuzuwerfen. »Halt's Maul«, sagte er leise. Dann sah er nochmals zu dem Wanderer auf und wandte sich wieder Hunter und Margo zu. Sein Gesicht trug einen seltsamen entrückten Ausdruck, als er fortfuhr: »Ispan segnet euer Glück. Geht in Frieden.«
Der kleine Mann schrieb weiter und hielt den Kopf gesenkt. Seine Lippen waren zusammengepreßt, als wolle er ein Grinsen verbergen.