Don Merriam und Paul Hagbolt hatten eben begonnen, ihre Erfahrungen auszutauschen, als Tigerishka sie unterbrach.
»Laßt jetzt bitte das Geschwätz! Ich habe euch einige Fragen zu stellen.«
Sie stand vor dem Kontrollpult und hatte vermutlich stillschweigend Verbindung zu ihren Vorgesetzten in dem Wanderer aufgenommen. Paul und Don saßen auf dem Deck vor ihr.
»Seid ihr beide hier und bei anderen Kontaktaufnahmen mit Angehörigen meiner Rasse gut behandelt worden? Donald Merriam?«
Don runzelte die Stirn. »Nachdem ich glücklich vom Mond entkommen war — durch eigene Anstrengung, soweit ich informiert bin —, wurde ich von zwei Schiffen zu dem Wanderer eskortiert, dort in einem behaglich eingerichteten Raum etwa zwei Tage festgehalten und dann hierher gebracht. Ich bin kaum angesprochen worden, vermute aber, daß meine Gedanken und Erinnerungen eingehend überprüft worden sind. Das ist eigentlich alles.«
»Danke. Jetzt zu dir, Paul Hagbolt. Bist du gut behandelt worden?«
»Ja.«
»Danke. Frage zwei: Habt ihr gesehen, daß wir den Menschen geholfen haben?«
»Du hast mir selbst gezeigt, wie ihr die Flut zurücktreibt und Feuer durch Wolkenbrüche löscht«, antwortete Paul.
»Mir kommt es vor, als hätte ich in einem Traum oder einer Vision in dem Wanderer etwas Ähnliches gesehen«, meinte Don.
»Du hast ganz recht«, versicherte Tigerishka ihm. »Frage ...«
»Hat das alles etwas mit den beiden Fotografien zu tun, die nicht zu den Übertritten des Wanderers passen?« unterbrach Paul sie. »Habt ihr Angst davor, daß eure Verfolger auftauchen könnten, und wollt ihr Beweismaterial für eure Verteidigung zusammentragen?«
Don starrte ihn verblüfft an, denn Paul hatte ihm bisher noch nichts von Tigerishkas Geschichte erzählt, aber sie antwortete nur: »Ja, das ist möglich. Frage drei: Wißt ihr, ob eure Begleiter durch den Wanderer zu Schaden gekommen sind?«
»Meine drei Kameraden sind umgekommen, als der Mond auseinander gebrochen ist«, stellte Don fest.
Tigerishka nickte langsam. »Einer von ihnen lebt vielleicht noch — das wird überprüft. Paul Hagbolt?«
»Ich habe eben Don davon erzählt, Tigerishka«, sagte Paul. »Margo und die anderen waren jedenfalls noch am Leben, als ich sie zuletzt gesehen habe. Aber das ist schon zwei Tage her.«
»Sie leben noch immer«, versicherte Tigerishka ihm. »Ich habe sie ständig beobachtet — ihr Sterblichen merkt nie, wie sich die Götter euretwegen Sorgen machen, denn ihr seht nur Erdbeben und Fluten. Aber ich verlange nicht, daß ihr mir das einfach glaubt, sondern ich werde es euch zeigen! Steht bitte auf. Ich schicke euch jetzt auf die Erde, damit ihr euch selbst überzeugen könnt.«
»In dem ›Baba Yaga‹?« erkundigte Don sich. »Ich habe gehört, daß wir ...«
»Nein, nein«, unterbrach Tigerishka ihn. »Das kommt erst später — jetzt werde ich eure Abbilder zur Erde schicken. Bleibt dicht nebeneinander! Seht auf das Kontrollpult!«
Die künstliche Sonne wurde dunkler. Miau schien die Aufregung gespürt zu haben, denn sie kam aus einem der Beete und strich um Pauls Knöchel. Er bückte sich impulsiv und nahm die kleine Katze auf den Arm.
Margo Gelhorn und Ross Hunter hatten auf ihrem nächtlichen Spaziergang den Hügelrücken jenseits des Sattels erreicht, von dem aus man einen weiten Blick über die umliegende Landschaft hatte. Das Wasser war unterdessen zehn oder mehr Meter gefallen und hatte einen breiten feuchten Streifen an dem Abhang unter ihnen hinterlassen. Auch die Insel Vandenberg zwei war jetzt nur noch durch einen Fluß vom Festland getrennt.
Die beiden saßen nebeneinander auf einem Felsen, als sie plötzlich eine leise Stimme hörten, die hinter ihnen rief: »Margo! Margo!«
Als sie sich verblüfft umdrehten und auf das Lager hinabsahen, war dort unten keine Bewegung feststellbar. Im Licht des Wanderers erkannten sie nur in Decken gehüllte schlafende Gestalten.
Dann kam die Stimme nochmals: »Margo! Margo!«
Hunter und Margo wandten sich nach rechts, weil sie die Stimme dort gehört zu haben glaubten — und wichen erschrocken zurück, als seien sie auf eine Schlange getreten. Margo klammerte sich an Hunters Arm. Aus dem Boden vor ihnen wuchsen die Köpfe und Schultern von zwei Männern, dann folgte der ganze Körper und schließlich die Beine. Die beiden Gestalten waren noch unscharf, aber als sie plötzlich deutliche Umrisse annahmen, flüsterte Margo: »Don! Paul!« Dabei drängte sie sich noch enger an Hunter, der jetzt die zweite Gestalt ebenfalls erkannte.
Der Paul-Schatten lächelte, öffnete den Mund und sagte mit einer Stimme, die genau den Lippenbewegungen entsprach, obwohl sie nicht aus der Kehle kam: »Hallo, Margo und Professor ... Entschuldigen Sie, daß mir Ihr Name entfallen ist. Wir sind keine Geister, sondern benützen nur eine äußerst fortschrittliche Nachrichtentechnik.«
Die Don-Gestalt sagte auf ähnliche Weise: »Paul und ich sprechen von einer Untertasse aus, die hoch über der Erde schwebt. Ich freue mich so, dich wieder zu sehen, Margo.«
»Richtig«, warf Paul ein. »Ich meine, daß wir in der Untertasse zwischen Wanderer und Erde sind. Es ist die gleiche, von der ich aufgenommen worden bin. Siehst du ...« Er hob etwas hoch. »Hier ist sogar Miau!«
Die kleine Katze blieb zunächst ruhig, aber dann fauchte sie erschrocken und verschwand mit einem Satz in der Dunkelheit.
»Sie ist aufgeregt«, erklärte Paul grinsend. »Wahrscheinlich ist ihr alles etwas unheimlich.«
Margo ließ Hunters Arm los und ging zögernd auf die beiden schattenhaften Gestalten zu. Als sie die Hand nach ihnen ausstreckte, stieß sie auf keinen Widerstand. Sie zuckte erschrocken zusammen.
»Wir sind nur dreidimensionale Bilder«, sagte Paul und grinste nochmals. »Deshalb kannst du uns nicht berühren. Wir sehen euch ebenfalls hier oben, aber nicht immer in der Untertasse. Das Ganze ist ziemlich merkwürdig, Professor ...«
»Ich heiße Ross Hunter«, warf er ein.
»Tut mir leid, daß ich dir keinen Kuß geben kann, Liebling«, sagte Don zu Margo. »Aber das wird nachgeholt, wenn ich wieder zurückkomme. Ich bin übrigens wirklich in dem Wanderer gewesen.«
»Und ich habe mich hier in der Untertasse lange mit einer seiner Bewohnerinnen unterhalten«, fügte Paul hinzu. »Sie will, daß wir ...«
»Sie sind auf dem Wanderer gewesen?« unterbrach Hunter ihn und wandte sich dabei an Don. »Wer sind sie? Was tun sie hier? Was wollen sie?«
»Wir haben jetzt keine Zeit für solche Fragen«, wehrte Paul ab. »Unser ... Anruf soll uns vor allem die Möglichkeit geben, uns davon zu überzeugen, daß Sie alle in Sicherheit sind.«
»Uns geht es gut«, sagte Margo, »soweit es einem unter diesen Umständen gut gehen kann.«
»Wir leben alle noch«, erklärte Ross Hunter. »Bis auf Rudolf Brecht, der bei einem Unfall ums Leben gekommen ist.«
»Brecht?« wiederholte Paul fragend.
»Wir haben ihn zuerst Doc genannt«, erklärte Margo ihm.
»Ja, natürlich«, stimmte Paul zu. »Und Professor Hunter war ›der Bärtige‹. Entschuldigen Sie, Professor.«
»Selbstverständlich«, sagte Hunter ungeduldig. »Was wollen Sie noch sagen?«
»Wenn alles wie geplant klappt, landen wir in wenigen Stunden in Vandenberg zwei«, fuhr Don fort. »Vermutlich in meinem Mondschiff.«
»Vorläufig müssen wir noch hier oben bleiben«, fügte Paul hinzu. »Der Wanderer scheint in Gefahr geraten zu sein; offenbar entwickelt sich eine Krise.«
»Der Wanderer ist in Gefahr?« wiederholte Margo ungläubig. Dann lächelte sie ironisch. »Eine Krise entwickelt sich? Was haben wir dann deiner Meinung nach in den beiden letzten Tagen durchgemacht?«