Der Fremde erzeugte in vielen Menschen das Gefühl, das Wanda ausgedrückt hatte, als sie auf der Erde saß: »Mein Gott, das ist zuviel ... Jetzt ist alles aus!« Die wissenschaftlich vorgebildeten dieser Pessimisten stellten fest, daß der Fremde sich dem Wanderer so weit genähert hatte — bis auf etwa sechzigtausend Kilometer —, daß seine Schwerkraft die durch den Wanderer hervorgerufenen Fluten eher verstärken als abschwächen mußte.
Aber viele andere freuten sich nur auf naive Weise über den stahlgrauen Planeten und die aufregenden Strahlen, die er aussandte. Zumindest für den Augenblick lenkte dieses neue Schauspiel am Himmel sie von ihren Sorgen, Befürchtungen oder Gefahren für Leib und Leben ab. Auf der stürmischen See in der Nähe von Florida rief Barbara Katz dem Geist des toten KKK vom Deck der Albatros aus zu: »Genau wie in einer SF-Story! Aber noch viel schöner!« Und Benjy bestätigte ernsthaft: »Wirklich wunderbar, Miß Barbara.«
In einer unbeschädigt gebliebenen Sternwarte hoch in den Anden rieb der siebzigjährige französische Astronom Pierre Rambouillet-Lacepède sich begeistert die Hände, bevor er nach Papier und Bleistift griff. Endlich ein wirklich kompliziertes und lohnendes Drei-Körper-Problem!
Paul und Don beobachteten den stahlgrauen Fremden und zweifarbigen Wanderer mit seinem Ring aus Mondfragmenten durch die durchsichtige Decke von Tigerishkas Untertasse, die achthundert Kilometer über Vandenberg zwei schwebte.
Das künstliche Schwerefeld war noch immer eingeschaltet, so daß die beiden Freunde sich zweckmäßigerweise nebeneinander auf dem Deck ausgestreckt hatten. Auch das Deck war jetzt durchsichtig, so daß sie im Sonnenlicht, das von den Planeten reflektiert wurde, die dunklen Umrisse Südkaliforniens erkannten, während das etwas hellere Wasser des Pazifiks an einer Seite bis zum Horizont reichte. Das Bild war allerdings etwas verzerrt und undeutlich, weil die Erdatmosphäre in dieser Entfernung alle Konturen verschwimmen ließ.
Paul und Don vermieden es nach Möglichkeit, senkrecht nach unten zu sehen. Das künstliche Schwerefeld, das nach Tigerishkas Auskunft nur das Innere der Untertasse umfaßte, vermittelte ihnen zu deutlich die Illusion, aus schwindelnder Höhe in einen Abgrund zu blicken, dessen Boden die Erdoberfläche bildete.
Sahen sie dagegen nach oben, hatten sie die gleiche Szene vor Augen wie die Untertassen-Beobachter, die sich jetzt Vandenberg zwei näherten. Aber für Paul und Don waren die beiden Planeten wesentlich heller; sie standen zudem nicht vor einem bleigrauen Himmel, sondern der Hintergrund bestand hier aus einem schwarzen Nichts, das selbst die zahlreichen Sterne nur ungenügend erhellten.
Der Anblick war unheimlich, fesselnd und sogar ›wunderbar‹, aber da Paul und Don zu wissen glaubten, was er im Grunde genommen zu bedeuten hatte, empfanden sie vor allem eine fast unerträgliche Spannung. Über ihnen hingen Flüchtling und Verfolger, Rebellion und Autorität, Abenteuer und Regelmäßigkeit — sie schwebten vorläufig noch in einem ungewissen Waffenstillstand, während die beiden Gegner sich beobachteten und abtasteten.
Die Spannung beherrschte die Gefühle der beiden Männer in der Untertasse so sehr, daß Paul und Don am liebsten in einen finsteren Winkel gekrochen wären, um nicht mehr sehen zu müssen, was sich über ihnen ereignete ... oder nicht ereignete. Obwohl sie sich mit dem Gefühl trösten konnten, wenigstens nicht allein zu sein, hätten sie diesem Drang bestimmt nachgegeben, wenn eine Möglichkeit dazu bestanden hätte.
»Tigerishka, warum bist du nicht zu dem Wanderer zurückgeflogen?« fragte Paul leise. »Das Signal ist doch schon vor langer Zeit gegeben worden. Die übrigen Schiffe sind bestimmt schon längst zurück.«
»Es ist noch nicht Zeit«, antwortete Tigerishkas Stimme aus der Dunkelheit heraus.
»Sollen Paul und ich nicht lieber in den ›Baba Yaga‹ umsteigen?« erkundigte Don sich. »Ich traue mir die Landung zu, nachdem wir jetzt immer über der gleichen Stelle schweben, aber wenn wir noch lange warten ...«
»Auch dafür ist es noch nicht Zeit«, erwiderte Tigerishka ruhig. »Ich habe zunächst noch eine Bitte an euch. Ihr seid aus dem Raum und vor den Wellen gerettet worden. Deshalb stellt ihr in der Schuld des Wanderers.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause und fuhr dann eindringlich fort: »In der gleichen Weise in der ich euch vorher auf die Erde geschickt habe, schicke ich euch jetzt auf den Fremden, damit ihr für den Wanderer aussagen könnt. Steht auf und seht mich an!«
»Wir sollen uns also für euch verwenden?« erkundigte Paul sich, als Don und er den Befehl fast automatisch ausführten. »Sollen wir sagen, daß eure Schiffe alles getan haben, um Menschen aus Lebensgefahr zu retten? Vielleicht erinnerst du dich daran, daß wir gemeinsam zahlreiche Katastrophen beobachtet haben, die nicht vermieden wurden — im Vergleich dazu nehmen die wenigen Rettungen sich ziemlich kümmerlich aus.«
»Ihr sollt nur erzählen, was ihr wißt — die Wahrheit, wie ihr sie kennt«, verbesserte Tigerishka ihn. »Faßt euch an den Händen und bewegt euch nicht! Ich verdunkle die Untertasse jetzt völlig. Auch die Abtaststrahlen sind schwarz. Auf diese Weise kommt euch der Flug noch wirklicher vor. Eure Körper bleiben hier, aber ihr werdet euch einbilden, die Untertasse wirklich verlassen zu haben. Bleibt ruhig stehen!«
Die Sterne wurden dunkel, die Erde verschwand, und die beiden Planeten erloschen, aber schon im nächsten Augenblick hatten Don und Paul das Gefühl, vor ihnen habe sich ein schwarzer Vorhang gehoben, der jetzt den Blick auf die Bühne freigab. Sie standen Hand in Hand im Mittelpunkt einer anscheinend unendlichen Ebene, die an die Oberfläche des Großen Salzsees erinnerte, obwohl sie silbergrau glänzte und eine drückende Hitze ausstrahlte, die nicht spürbar war.
»Ich dachte, die Oberfläche wäre gekrümmt«, murmelte Paul vor sich hin. Er versuchte sich einzureden, er befinde sich nach wie vor an Bord der Untertasse hatte aber keinen Erfolg damit.
»Der Verfolger-Planet ist größer als die Erde, das war deutlich zu sehen«, antwortete Don, »und wenn du auf der Erde stehst, fällt dir die Krümmung der Oberfläche normalerweise nicht auf.« Er dachte dabei an den engen Horizont des Mondes und staunte wieder einmal über die Ereignisse der letzten achtundvierzig Stunden, die von einem Extrem zum anderen führte.
Über Don und Paul erstreckte sich ein sternenbesäter Himmel, an dessen Zenit die Sonne stand. Die Erde war deutlich zu erkennen, denn sie hob sich dunkel von einer etwas helleren blauen Aura ab. Über dem silbernen Horizont des Fremden stand der Wanderer — fünfmal so groß wie die Erde und lebhaft purpurrot und goldgelb gefärbt.
»Tigerishka hat doch gesagt, sie wollte uns in das Innere des Planeten projizieren«, meinte Paul und wies auf die Metallfläche unter ihren Füßen.
»Anscheinend müssen sogar Illusionen eine Kontrolle über sich ergehen lassen«, vermutete Don.
»Schön, aber wenn wir uns in Radiowellen verwandelt haben, transportieren sie jedenfalls auch unser Bewußtsein«, fuhr Paul fort.
»Du hast etwas vergessen — wir befinden uns noch in der Untertasse«, sagte Don.
»Welches Gerät nimmt dann dieses Bild auf und überträgt es in die Untertasse?« wollte Paul wissen. Don schüttelte den Kopf.