Die Latiner gehörten neben den Umbrern, Oskern, Picenern, Sabinern zu den vielen anderen indoeuropäischen Stämmen, die nach 1200 v. Chr. von Norden auf die Apennin-Halbinsel einströmten. Das Stammesgebiet dieser kleinen Völkerschaften war der Ostseeraum zwischen Elbe, Oder, Weichsel. Die Latiner siedelten in der Gegend um das spätere Rom, wo um 600 v. Chr. die Etrusker die Herrschaft erlangten. Diese siedelten hauptsächlich in der Toskana und hatten einen eindeutig höheren Zivilisationsstandard.
Um 650 v. Chr. erwarb die etruskische Familie Rumlenne oder Rumlinna (lateinisch Romilii) den meisten Grundbesitz am Unterlauf des Tibers und organisierte die dörflichen Siedlungen auf den sieben Hügeln über dem Tibersumpf zu einer städtischen Gemeinde. Fortan war diese Gegend die Romilii-Gegend, kurz: Rom.
Die Etrusker vermittelten den Latinern auch das (west)griechische Alphabet. Wesentliche Elemente der römischen Religion und des römischen Staatszeremoniells sind etruskisch.
AB URBE CONDITA bedeutet »seit der Gründung der Stadt« und ist der Titel eines Geschichtsbuches von Titus Livius (ca. 60 v. Chr.–17 n. Chr.). Dieser gehörte zum Literatenkreis um Maecenas (dem Ur-Mäzen!). Auch Kaiser Augustus sponsorte Livius persönlich. Im Rahmen der Reichspropaganda und sicherlich auf »Anregung« des Kaisers ging es Titus Livius darum, Exempla maiorum, die Taten der tugendhaften römischen Vorfahren, in Erinnerung zu rufen – als Kontrastprogramm zu den sittlich verlotterten und politisch zerrütteten Verhältnissen nach fast 100 Jahren Bürgerkrieg in Rom.
Eingeführt worden war die Zeitrechnung ab urbe condita erst eine Generation zuvor durch den Universalgelehrten und Staatsmann Varro (116–27 v. Chr.), eine Art Goethe der ganz frühen römischen Kaiserzeit. Die fixe Geschichtsidee der Römer war, von den Trojanern abzustammen: Sie stellten sich vor, die überlebenden Trojaner seien unter Führung des Äneas in die Gegend von Rom ausgewandert und hätten sich hier neu angesiedelt. Wie die meisten Römer seiner Zeit hielt Varro das Jahr 1193 v. Chr. für das Jahr der Eroberung Trojas. Gemäß den damaligen astrologischen Vorstellungen betrug die Spanne bis zu einer Wiedergeburt 440 Jahre. Daher legte Varro den Zeitpunkt des Beginns der Geschichte Roms auf 753 v. Chr. fest – also eine rein symbolische Zahl.
Die historisch auch nicht ganz zuverlässige, aber in der römischen Republik praktizierte Zeitrechnung war die Liste der jährlich wechselnden Konsuln seit dem Sturz der etruskischen Stadtherren angeblich im Jahr 510 v. Chr. Schon seit pharaonischer und akkadischer Zeit war diese Art von Zeitzählung die einzig bekannte: »Im sechsten Jahr der Regierung des Königs/Pharao …« Demnach läge der Beginn der römischen Republik etwa in der Zeit, als in Kleinasien die ionischen Städte den Aufstand probten und den Marsch der Perser gegen Griechenland provozierten, der 490 und 480 v. Chr. in Marathon und Salamis endete.
In den Jahrhunderten der archaischen und homerischen Epoche (ca. 850 bis 650 v. Chr.) in Griechenland waren die Assyrer mit ihren despotischen Herrschern im Osten die Herren der Welt. Sie hatten sogar um 650 v. Chr. zeitweise Ägypten erobert. Die phönizisch-kanaanäischen, die israelitischen und alle übrigen Gebiete des Nahen Ostens waren seit 720 v. Chr. fest in assyrischer Hand. Das blieb 100 Jahre lang so. Dann eroberten die südmesopotamischen Chaldäer 625 v. Chr. dieses Weltreich, zerstörten alle assyrischen Städte, machten Babylon größer denn je zur Hauptstadt, komplett mit Ischtar-Tor, neuem Babel-Turm und vielleicht auch mit Hängenden Gärten.
600 v. Chr.
CHALDÄER Die historischen Griechen lernten eigentlich nur diese Chaldäer als Bewohner Babyloniens kennen. Da die Geschichtswissenschaft und das Geschichtsbewusstsein damals noch nicht so exakt waren wie heute, nahmen sie einfach an, alles Mesopotamische und Babylonische sei »chaldäisch«. Damals versachlichte sich auch die altbabylonische Himmelsbeobachtung. Die über lange Zeiträume gesammelten empirischen Daten über Himmelserscheinungen wie Sonnen- und Mondfinsternisse, Planetenbewegungen und dergleichen dienten nun nicht nur der überkommenen Wahrsagung, sondern auch präzisen Voraussagen. Das fanden die aufgeweckten Griechen natürlich sehr faszinierend. Die Voraussage einer Sonnenfinsternis durch den Griechen Thales für den 23. Mai 585 war sicher nur aufgrund der chaldäischen Gelehrsamkeit möglich.
Die Griechen haben vom Namen der regierenden Dynastie »Kaldäer«, dieser allerletzten babylonischen Dynastie, den Allgemeinbegriff für die gelehrten Sternendeuter »Chaldäer« abgeleitet. Auch die drei Weisen magoi aus dem Morgenland, die etwa 500 Jahre später dem Stern von Bethlehem folgten, werden deswegen als »chaldäisch« bezeichnet.
587–540 v. Chr.
BABYLONISCHE GEFANGENSCHAFT Nebukadnezar II. war von 604 v. Chr. bis 562 v. Chr. der bedeutendste Feldherr und Staatsmann seiner Epoche (übrigens der Nabucco der bekannten Verdi-Oper). Sein Herrschaftsbereich umfasste den gesamten Nahen Osten von der Euphrat-Mündung bis zum Mittelmeer. Jährliche Feldzüge in aufständische Regionen waren an der Tagesordnung, um vor allem die Randgebiete unter Kontrolle zu halten. So eroberte Nebukadnezar 587/586 v. Chr. nach zweijähriger Belagerung Jerusalem, nachdem der von ihm selbst eingesetzte jüdische Vasallenkönig Zedekia eine antibabylonische Koalition zu schmieden versucht hatte. Zedekia wurde geblendet und 40 Jahre lang in Gefangenschaft gehalten. Nebukadnezar zerstörte den Tempel Salomons, raubte die Tempelschätze und nahm die Angehörigen der jüdischen Oberschicht als Geiseln mit, eine damals gängige politische Praxis. Von dieser Babylonischen Gefangenschaft des Volkes Israel berichtet die Bibel ausführlich im »Buch Daniel«.
Der Verlust des Jahwe-Tempels war für die Juden wie das Auslöschen ihrer Religion. Kein Tempel, kein Kult – ihre Antwort war die Wandlung von der Kultreligion zur Buchreligion. In Babylon begannen sie, die jüdische Überlieferung aufzuschreiben. Daraus entstand in einem jahrhundertelangen Prozess der intellektuellen Verarbeitung und Verinnerlichung das Alte Testament – die Manifestierung des Monotheismus. Bis in die Gegenwart ist das Alte Testament Grundlage für Judentum, Christentum und Islam, und damit für die rund drei Milliarden Menschen der monotheistischen Religionen.
ca. 540 v. Chr.
DAS GASTMAHL DES BELSAZAR Die bekannteste Episode jener Jahre ist die vom Gastmahl des Belsazar. Dabei war der Sohn Nebukadnezars schon so betrunken, dass er befahl, jüdische Kultgeräte aus der Tempelbeute herbeizuschaffen, um daraus weiterzutrinken. Die frevelhafte Tat nahm ihren Lauf, da erschien das Menetekel, das berühmte Zeichen an der Wand: Mene, mene tekel u-parsim. Keiner der babylonischen Magier und Zauberer vermochte die Worte zu deuten. Nur der jüdische Prophet übersetzte: »Gezählt, gewogen und geteilt.« Heute sagt man: »Gezählt, gewogen und zu leicht befunden.« Die Prophezeiung war eindeutig: Die Tage des Königs waren gezählt. Er wurde gewogen und zu leicht befunden. Belsazars Reich wurde geteilt zwischen den Medern und den Persern – es wird von ihnen erobert.
um 540 v. Chr.
PERSER Ungefähr im Todesjahr Zarathustras hatte Kyros II. (persisch Kurusch; um 585–529 v. Chr.) die zeitweilige Vorherrschaft der Meder abgeschüttelt und Persien und Medien vereinigt. 542/541 v. Chr. eroberte Kyros das kleinasiatische Reich des Krösus (»Wenn du den Halys überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören«) und stand damit an der ionischen Küste der Ägäis. Wenig später eroberte der Perserkönig Babylon und entließ die Juden in ihre Heimat. (Viele der Geiseln waren allerdings mittlerweile sehr erfolgreiche Kaufleute und kehrten aus ihrer Babylonischen Gefangenschaft gar nicht zurück. So blieb Babylon bis ins Mittelalter, also für rund 1500 Jahre, ein blühendes Zentrum jüdischer Kultur.) Der Rückkehr der Juden in ihre Heimat folgte 515 v. Chr. der Bau des zweiten Tempels in Jerusalem mit Genehmigung von Kyros’ Nachfolger Dareios I. Es war dieser zweite Tempel, den dann die Römer im Jahr 70 n. Chr. zerstörten.