395
WESTROM – OSTROM Nach seinem Tod 395, so hatte es Theodosius bestimmt, wurde das Römische Reich endgültig in Westrom und Ostrom aufgeteilt. Die Grenzlinie begann an der östlichen Adria etwa zwischen Kroatien und Serbien. Die Aufteilung des Balkans in einen katholisch-lateinischen Kulturkreis mit Kroatien und Slowenien und orthodox geprägte Länder wie Serbien, Bulgarien und Griechenland ist heute noch deutlich spürbar.
Ostrom hielt sich noch gut 1000 Jahre lang in Konstantinopel/Byzanz und bildete ein Bollwerk gegen die islamische, später türkische Expansion, in dessen Schutz sich das fragile Abendland entfalten konnte.
Westrom ging nicht einmal 100 Jahre nach der Reichsteilung im Hunnensturm unter. Das weströmische Kaisertum wurde dann unter völlig anderen Voraussetzungen im Zusammenwirken mit dem Papst von germanisch-fränkischen Königen erneuert.
um 400
GOTENZUG Die Westgoten blieben nicht lange am Schwarzen Meer, sondern zogen unter ihrem König Alarich den ganzen Balkan hinunter und an der Adriaküste wieder hinauf. Bei Theodosius’ Tod 395 standen sie noch in Dalmatien. Um 400 erreichten sie schon den Norden Italiens. Das löste in Rom Alarm aus. Britannien wurde preisgegeben, die Legionen zur Verstärkung nach Italien zurückgerufen. Auch die Rheingrenze brach zusammen. In der Neujahrsnacht 406/407 überschritten Wandalen, Sueben und Alanen den zugefrorenen Rhein zwischen Mainz und Worms. Die weströmische Kaiserresidenz wurde von Mailand in das uneinnehmbare Ravenna verlegt. 408 stand Alarich vor Rom, das die Westgoten 410 eroberten und plünderten. Ein tiefer Schock für die Römer: die ewige Stadt in der Hand von Germanen!
413–436
DIE BURGUNDEN UND DIE NIBELUNGENSAGE Wie die Goten waren die Burgunden ehemals Ostseeanrainer, etwa zwischen Oder und Weichsel. Um 300 drangen sie zum Rhein vor, den sie gut 100 Jahre später überschritten. Sie begründen um 413 zwischen Mainz und Worms ein kurzlebiges Reich.
Damals war der Heermeister Aëtius (390–454) der fähigste Stratege und mächtigste Mann im weströmischen Reich. Als junger Mann war er als Geisel sowohl bei den Westgoten wie bei den Hunnen, wo er offenbar gute Kontakte aufbaute. In der Hochphase des Völkerwanderungssturms um 430 behauptete er die Stellung des weströmischen Reiches in Gallien gegen die Franken im Norden und die Westgoten im Süden. Mithilfe seiner hunnischen Freunde zerschlug er 436 das burgundische Reich in Worms. Das ist der historische Kern der Nibelungensage. Attila/Etzel war dabei noch nicht mit von der Partie. Seine welthistorische Stunde schlug kurz darauf, und auch dabei spielte Aëtius wieder eine ausschlaggebende Rolle.
um 444
ATTILA, DER HUNNENKÖNIG Nachdem er seinen älteren Bruder und Mitregenten Bleda im Jahr 444 beseitigt hatte, herrschte Attila über ein diffuses Vielvölkerreich, das von der Wolga bis zu seiner Residenz am Donau-Nebenfluss Theiß reichte. Um sich die Hunnen fernzuhalten, entrichtete Ostrom zunächst Tribute an sie, stellte die Zahlungen aber um 444 ein. Attila, dessen gotischer Name »Väterchen« bedeutet, plünderte daraufhin den Balkan. Dann wandte er sich nach Westen und drang bis nach Gallien vor.
In aller Eile gelang es angesichts dieser Bedrohung Attilas altem Freund Aëtius eine anti-hunnische Koalition aus römischen Legionen, Franken, Westgoten, Burgunden und Alanen zu schmieden. Auf den sagenumwobenen Katalaunischen Feldern, vermutlich in der Nähe von Troyes in der Champagne, konnte die römisch-germanische Koalition die Hunnen im Jahr 451 zurückschlagen. 453 starb Attila, und sein Hunnenreich zerfiel.
Das Ende der Hunnen in Europa nahm schlagartig den Druck von Ostrom wie von den Ostgoten. Sie blieben zunächst unter oströmischer Oberherrschaft an der Donau. Der Ostgoten-Prinz Theoderich verbrachte zehn Jahre als Geisel in Konstantinopel und wurde dort am Kaiserhof erzogen.
In Rom war das Kaisertum inzwischen nur noch ein Spielball intriganter Hofcliquen, die zuletzt den kindhaften Romulus Augustulus als reine Marionette auf den Thron setzten, worauf der römische Offizier Odoaker die Dreistigkeit beging, diesen alsbald (476) wieder abzusetzen und die Kaiserinsignien nach Ostrom zu schicken, so ungefähr mit der Bemerkung, sie würden nicht mehr gebraucht. Von seinen Soldaten ließ er sich zum »Rex Italiae« ausrufen.
453–526
THEODERICH DER GROßE In Konstantinopel konnte man sich die Absetzung des Westkaisers durch einen x-beliebigen Offizier natürlich nicht so ohne Weiteres gefallen lassen. Der oströmische Kaiser beauftragte daher den jungen Theoderich (ca. 453–526), mitsamt seinen Ostgoten Richtung Italien zu ziehen. Odoaker verschanzte sich 493 in Ravenna, bis er nach zweieinhalb Jahren Belagerung ausgehungert und ausgeblutet aufgeben musste. Beim »Friedensmahl« ermordete Theoderich den Odoaker eigenhändig. Damit war er Alleinherrscher in Italien. Die Oberhoheit des oströmischen Kaisers erkannte er formal an.
Bis zur Ankunft der Langobarden erlebte Italien nun eine Friedenszeit und am Hof des hochkultivierten Theoderich des Großen in Ravenna eine letzte kulturelle Spätblüte der Antike. Seinen berühmtesten Berater, den Universalgelehrten und Staatsmann Boethius, ließ er allerdings wegen angeblichen Hochverrats hinrichten. Die mosaikgeschmückten Kirchen Ravennas zeigen die enge Verknüpfung mit der spätantiken Hochkultur in Byzanz.
Zu Theoderichs Zeit um 500 gab es auf ehemals weströmischem Gebiet fast nur noch germanisch beherrschte Reiche und Völker: Theoderichs Ostgoten regierten als dünne Oberschicht ganz Italien bis in die Provence. In Gallien südlich der Loire bis weit nach Hispanien waren die Westgoten kurzzeitig eine europäische Großmacht. An der Rhône saßen die Burgunden, zwischen Rhône und Oberrhein der lose, aber mächtige Stammesverband der Alemannen. Diese standen bereits unter Oberherrschaft der Franken, die sich von Rhein, Mosel, Maas und Schelde ausgebreitet hatten. Die nördlichen Nachbarn der Franken an der Nordseeküste waren die Friesen. Zwischen Elbe, Werra und Donau gab es ein kurzlebiges Thüringisches Reich mit Schwerpunkt an der Saale. Westlich der Thüringer, zwischen Elbe und Weser, saßen die Sachsen, nördlich von ihnen, meerumschlungen von Nord- und Ostsee, die Angeln, Dänen und Jüten.
ab 450
SACHSEN UND ANGELN Nach dem Abzug der Römer um 400 sahen sich die Briten von einer Invasion der Pikten und Skoten aus dem Norden bedroht. Einem britischen Hilferuf folgend zogen die Angeln und Sachsen, germanische Nordseeanrainer, auf die Insel. Das war um 450, also zur Zeit des Hunnensturms in Gallien. Zunächst fuhren Söldner, dann kam es zum Familiennachzug. Schließlich verdrängten die Angeln und Sachsen die eingesessenen keltischen Briten und gründeten eigene Kleinkönigreiche. Der Begriff »angelsächsisch«, Grafschaftsnamen wie »Anglia« für Siedlungsgebiete der Angeln, »Wessex«, »Sussex«, »Essex« für Siedlungsgebiete der Sachsen erinnern noch heute daran. Auch »England« ist wortgeschichtlich natürlich nichts anderes als »Land der Angeln«.
DIE NEBEL VON AVALON Die Briten hatten den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben. Statt der gefürchteten Skoten und Pikten machten sich nun Germanen als Herrscher breit. Der Kampf der keltischen Briten gegen die Angeln und Sachsen bildet den Hintergrund der Artus-Sage. Da Artus die Schlacht nicht gewinnen kann, wird er in das mystische Nebelreich Avalon entrückt, von wo er dereinst wiederkehren soll. Um diesen Kern der Artus-Legende rankten sich im Mittelalter weitere Sagenstoffe, vor allem die vom Gral. Die Tafelrunde der Ritter um König Artus war in ganz Europa das glanzvoll verklärte Idealbild der höfischen Kultur der Troubadour-Zeit. Nicht zufällig versammelte Artus seine erlesene Ritterschar in Camelot um einen runden Tisch: So ließen sich Rangstreitigkeiten vermeiden, die in der auf Ehre bedachten Adelsgesellschaft des Mittelalters stets Anlass für Unfrieden boten.