ab 650
»SCHOTTISCH«-IRISCHE MISSION Bis in die Jahre 650/700 war das rechtsrheinische Austrien noch stockheidnisch. Zustände wie in Gallien, wo sich das Christentum schon seit 250 ausbreitete und ein römischer Offizier wie der heilige Martin 372 Bischof von Tours wurde, waren dort undenkbar. Nun kamen aus England und Irland, wo das Christentum tiefe Wurzeln geschlagen hatte, Wanderprediger ins Fränkische Reich.
Columban gründete um 590 ein Kloster in den Vogesen. Sein Gefährte Gallus missionierte im Bodenseeraum. Der Westfranke Emmeram wurde erster Bischof in Regensburg. Im Auftrag von Karl Martell, dem Großvater Karls des Großen, wanderte der Ire oder Westfranke Pirmin durch Bodenseeraum, Schwarzwald und Elsass, während Willibrord (ca. 660–739) als »Friesenapostel« schon vor Bonifatius bei den wirklich widerspenstigen Friesen missionierte.
Obwohl kein einziges dieser Klöster von einem Schotten gegründet wurde, fasst man sie unter dem Begriff »Schottenklöster« zusammen, denn Irland hieß im Mittelalter auf Lateinisch Scotia maior. Die Iren waren also dem Namen nach »Schotten«. Die Wandermönche hegten übrigens die Vorstellung, je weiter sie sich von ihrer lieblichen irischen oder westfränkischen Heimat in damals unbekannte und fremde germanische Territorien vorwagten, desto näher seien sie dem Himmelreich. Ihre Erwartung erfüllte sich: Fast alle endeten als Märtyrer.
ca. 720–750
APOSTEL DER DEUTSCHEN Der bekannteste Wandermönch war weder »Schotte« noch Ire, sondern ein Angelsachse aus Wessex: Bonifatius (ca. 675–754). Er predigte seit 716 zunächst vergeblich in Friesland. 719 pilgerte er nach Rom und erhielt vom Papst persönlich seinen Ehrennamen Bonifatius (»der Wohltäter«) zusammen mit dem Auftrag, bei den christlich noch ungefestigten Mainfranken, Thüringern und Baiern zu missionieren. Berühmt ist die Episode, wie Bonifatius eine von den Chatten als heilig verehrte Eiche fällte (»Donar-Eiche«) und nach diesem »Frevel« nicht sogleich vom Blitz des Donnergottes erschlagen wurde. Fortan glaubten auch die Chatten an den mächtigeren Zauber des Christengottes.
722 vom Papst zum Bischof ernannt, gründete oder reorganisierte Bonifatius die Bistümer Passau, Salzburg, Freising, Regensburg, Eichstätt, Würzburg, Erfurt, Fritzlar. Seine wichtigste Klostergründung ist Fulda. Von dort brach er im hohen Alter zu seiner letzten Mission bei den Friesen auf, wo er erschlagen wurde.
740/750
KARL MARTELL Der bekannteste Hausmeier aller Zeiten ist Karl Martell (688–741), der Großvater Karls des Großen. Karl Martells epochale Leistung ist der Sieg in der siebentägigen Schlacht bei Poitiers in Südwestfrankreich. Hier gelang es ihm, die von Spanien aus bis dorthin vorgedrungenen Araber endgültig zu stoppen. Karl Martell regierte bereits ohne jede Rücksichtnahme auf den merowingischen König. Sein Beiname »Martell« (altfranzösich) bedeutet: »der Hammer«. Unter ihm erlebte das Frankenreich den Aufstieg zur einzigen europäischen Großmacht. Martells Sohn, Pippin III., verbannte schließlich den letzten Merowinger Childerich III. ins Kloster und ließ sich an dessen Stelle 751, in der späten Bonifatius-Zeit, zum König wählen und salben. Die Salbung erfolgte aber nicht, wie manche Legenden behaupten, durch Bonifatius, sondern durch den damaligen Papst. Und dies, wie immer, nicht ohne Gegenleistung.
754
PIPPINSCHE SCHENKUNG 754 übereignete Pippin III. das von ihm kurz zuvor eroberte Exarchat Ravenna dem Papst. Bis dahin war Ravenna die letzte Bastion von Byzanz auf der italienischen Halbinsel gewesen und Ostrom die Schutzmacht des Papsttums. Der Heilige Stuhl hatte wenig eigenen Landbesitz und keine eigenen Divisionen. Die Päpste fühlten sich von den mächtigen Langobarden umzingelt und bedroht. Deshalb gewährte man dem aufstrebenden Pippin die Königssalbung und damit die »diplomatische Anerkennung«. Dieser revanchierte sich mit der Überlassung Ravennas.
Um Pippin zu dieser Geste zu motivieren, war um 750 am päpstlichen Hof eine Urkunde gefälscht worden. Die sogenannte »Konstantinische Schenkung« sollte nachweisen, dass dem Papst bereits vom ersten römisch-christlichen Kaiser Konstantin ein Gebiet rund um Rom überlassen worden war. Pippin war gebührend beeindruckt und fand es nur ziemlich, es als angehender fränkischer König dem großen römischen Kaiser nachzutun. Das Exarchat bildete nun den Kern des späteren Kirchenstaats. Praktischerweise schob sich das Territorium von der Adria bis ans Tyrrhenische Meer bei Ostia wie ein Riegel quer über Mittelitalien und trennte so die langobardischen Besitzungen.
VON GOTTES GNADEN Karl der Große (747–814) war der Enkel von Karl Martell. Seit seinem Vater Pippin waren die nach ihm benannten Karolinger als neue fränkische Dynastie Könige aus eigenem Recht. Von 768 bis zu seinem Tod konsolidierte und erweiterte Karl dieses Reich erheblich. Zuerst nahm er die Süderweiterung ins Visier – den Angriff auf das Reich der Langobarden.
Diese hatten sich zwar um 600 zum katholischen Glauben bekehrt, ihre ständige Bedrohung des Papsttums beendete aber erst der Frankenkönig in den Jahren 773/774. Damit erwarb Karl die Eiserne Krone, in die ein Nagel vom Kreuz Christi geschmiedet sein soll. Diese »italienische« Krone gehörte fortan zum Bestand des deutsch-römischen Kaisertums und ist der Grund für die Herrschaft deutscher Kaiser in Italien im Mittelalter. Seit dem Erwerb der Eisernen Krone gehört (lateinisch) gratia Dei zur Titulatur europäischer Herrscher; in Europa sehen sich alle Herrscher als »von Gottes Gnaden« eingesetzt, aber immerhin nicht als »Stellvertreter Gottes« wie in Byzanz.
800
KAISERKRÖNUNG I Wieder einmal benötigte ein Papst dringend fränkischen Beistand. Bei einer Prozession im April 799 wurde Leo III. von stadtrömischen Adelscliquen überfallen. Sie warfen ihm Ehebruch vor, wollten ihn blenden und ihm die Zunge herausschneiden. Leo entkam nur mit knapper Not, floh zu Karl nach Paderborn und bat ihn um Hilfe. Dieser marschierte nach Rom und schüchterte die Stadtadelspartei mit Todesurteilen wegen Majestätsbeleidigung ein (sie wurden nicht vollstreckt). Am Weihnachtsabend 800 belohnte Leo den Frankenkönig mit der römischen Kaiserkrone. Begreiflicherweise verweigerte die in Byzanz regierende Kaiserin Irene die diplomatische Anerkennung, aber ihr Nachfolger gewährte sie dann.
KAROLINGISCHE RENAISSANCE Um 800 war die gesamte lateinische Christenheit (bis auf die Britischen Inseln) unter fränkischer Herrschaft vereint. Dies ist bis heute das leuchtende Vorbild für das Europa-Projekt: eine Vereinigung und Friedensordnung für die westliche Zivilisation. Karl war sehr wohl bewusst, dass das, was er mit dem Schwert erreicht hatte, durch Bildung und geistige Fürsorge vertieft werden musste. Die mangelnde Akzeptanz des Europa-Projektes in der Gegenwart beruht ja gerade auf dem Fehlen eines gemeinsamen kulturellen Bewusstseins.
Karl schob ein großes Kulturprogramm an, das sich unter seinen Nachfolgern, vor allem unter Kaiser Ludwig dem Frommen, voll entfalten sollte. Die karolingische Renaissance erreichte ihren Höhepunkt, als das Reich durch die Erbteilung nach dem salischen Gesetz schon wieder zerbrach. In Aachen entstanden die Pfalzkapelle nach dem Vorbild von S. Vitale in Ravenna. Leiter der Aachener Hofschule war seit 782 der Angelsachse Alkuin, ein Gelehrter, dessen Interessen von der Theologie bis zur Astronomie reichten. Die Männer um Alkuin knüpften bewusst an die römisch-antike Tradition an, unter ihnen Hrabanus Maurus, später Abt von Fulda, im Alter noch Erzbischof von Mainz und Vertrauter des Karls-Sohnes Kaiser Ludwig des Frommen.
In den Klöstern schrieb man antike Texte auf Pergament. Nur durch sie ist der winzige Bruchteil dessen, was wir von der Antike überhaupt noch kennen, erhalten. Mit der karolingischen Minuskel wurde eine sehr leicht lesbare, vereinfachte Schrift entwickelt, aus der unsere Kleinbuchstaben entstanden. Es war die Blütezeit der karolingischen Buchmalerei.