ca. 800
BILDERSTREIT In Byzanz wurde derweil der seit etwa 730 heftig tobende Bilderstreit um die Verehrung von Ikonen zugunsten der Bilder entschieden. Der Streit hatte sich entzündet, als der byzantinische Kaiser Leo III. eine Christus-Ikone am Tor seines Palastes abnehmen ließ, wogegen das Volk Sturm lief. Leo meinte, im Sinne des biblischen Gebotes zu handeln, wonach sich die Gläubigen von Gott kein Bild machen dürfen.
Wegen der damals noch bestehenden Einheit der Kirche betraf das Thema auch den Westen. 794 befasste sich eine von Karl einberufene Synode damit. Die Entscheidung »für die Bilder« sowohl am byzantinischen wie am fränkischen Kaiserhof um 800 ist eine oft übersehene fundamentale Weichenstellung in der abendländischen Kunst zugunsten der Personendarstellung und der realistischen Naturwiedergabe, wie sie in der Antike bestand und wie sie dann in der Renaissancekunst ihren ersten Höhepunkt erreichte. Wäre die Entscheidung damals anders ausgefallen, hätte sich auch in Europa nur eine Ornamentalkunst ähnlich der jüdischen und islamischen entwickelt.
842
STRAßBURGER EIDE Die Straßburger Eide vom 14. Februar 842 sind kurz, bestehen lediglich aus der feierlich formulierten Aussage, sich gegenseitig beizustehen und keine Bündnisse gegen den anderen zu schließen – aber sie haben enorme politische wie sprachgeschichtliche Bedeutung. Beschworen wurden sie von Karls Enkeln Karl aus Westfranken und Ludwig aus Ostfranken.
Karl sprach seinen Eid vor Ludwigs Vasallen in althochdeutsch-rheinfränkischer Sprache und Ludwig »der Deutsche« leistete ihn vor Karls Vasallen auf Altfranzösisch. Die erhaltenen Eidestexte sind die ältesten Dokumente in beiden Volkssprachen und der erste Beleg für das kulturelle Auseinanderdriften der beiden Reichsteile Austrien und Neustrien.
Die Eide besiegelten eine Erbauseinandersetzung, in der sich Karl und Ludwig gegen ihren ältesten Bruder Lothar verbündet hatten. In einer Schlacht kurz vor den Straßburger Eiden war Lothar besiegt worden. Dieser erhielt aber dann doch ein Jahr später, im Vertrag von Verdun 843, den mittleren Reichsteil von der Nordsee, Rhein und Rhône entlang bis in die Provence und Italien.
um 800
ASTURIEN UND KASTILIEN An der südlichen Peripherie des karolingischen Frankenreiches entstanden um 800 die ersten spanischen Königreiche. Asturien (seit 739), Leon (seit 925) und Kastilien (als Abspaltung von Leon) waren christliche Nachfolgestaaten des Westgotenreiches, das durch die muslimische Expansion zusammengebrochen war. Die Pyrenäen wurden zum Rückzugsgebiet des ritterlichen westgotischen Adels. Dazu gehörte auch das von Basken gebildete Königreich Navarra.
Als Grenzverteidigung gegen die Araber hatte Karl der Große 801 rund um Barcelona die Spanische Mark begründet, damals »Goth-Alania« genannt, die Keimzelle des späteren Katalonien.
828
MARKUSREPUBLIK Die Serenissima Republica di San Marco, die »Erlauchteste Republik des Heiligen Markus«, entstand in der Völkerwanderungszeit aus sehr bescheidenen Fischerdörfern auf nordadriatischen Laguneninseln. Seit etwa 700 wählten dort die Veneter einen Dogen (lateinisch dux, »Führer«, »Herzog«) als Oberhaupt ihrer (Adels-)Republik. Venedig ist von dieser Staatsform nie abgewichen.
In ihrer Frühzeit stand die Lagunenstadt unter dem Einfluss von Byzanz. Der vielfach überkuppelte Markusdom ist dafür ein besonders gut erhaltenes Beispiel. 828 raubten venezianische Kaufleute die Reliquien des heiligen Markus, des Evangelisten, aus Alexandria und brachten sie in die Stadtrepublik, die sich seither »Markusrepublik« nannte.
843
SKOTEN Am anderen Ende Europas, im Norden der britischen Hauptinsel, vereinigte der skotische Kleinkönig Kenneth Mac Alpin 843 die keltischen Skoten und die vermutlich vorindoeuropäischen Pikten erstmals unter einer Herrschaft und begründete damit eine schottische Königsdynastie. Sein Nachfolger war sein Bruder Donald I. Diese Alpin-Dynastie war alsbald hauptsächlich damit beschäftigt, die Wikinger abzuwehren.
nach 610
CHINA – MANDARIN Schon seit der Han-Zeit gab es kaiserliche Beamte, für die nach dem konfuzianischen Wertekanon der Erhalt von Harmonie in Staat und Gesellschaft das oberste Gebot war. Das mussten sie in einem ausgiebigen literarisch-philosophischen Gelehrtenstudium verinnerlichen. Unter den Tang-Kaisern wurde 601 für die Beamtenlaufbahn eine einheitliche »literarische« Prüfung vorgeschrieben, die im Prinzip allen Männern ohne Klassenunterschiede offenstand. Taizong, von 626 bis 649 der zweite Tang-Kaiser und einer der bedeutendsten Chinas, brachte das Prüfungssystem in seine verbindliche, bis 1905 bestehende Form. Für das Jahr 657 ist eine Zahl von über 13000 Mandarinen überliefert, bei einer Gesamtbevölkerung von ungefähr 50 Millionen.
In der Praxis wurde das Gleichheitsprinzip aber immer wieder unterlaufen, da vor allem der Landadel stets bestrebt war, die Beamtenstellen mit »seinen eigenen Leuten« zu besetzen und nach Möglichkeit sogar zu »vererben«. Außerdem galt in der chinesischen Staatspraxis die Regeclass="underline" War der Kaiser stark, konnte er sich seiner Beamtenschaft wirkungsvoll bedienen. War der Kaiser schwach, war er das Werkzeug der Mandarine, Eunuchen und Hofcliquen. Meistens waren die Kaiser schwach.
Übrigens heißen die Beamten auf Chinesisch nicht »Mandarin«, sondern guan. Über die Entstehung des in den europäischen Sprachen verbreiteten Worts gibt es sehr verschiedene Theorien. Sehr wahrscheinlich steht das Wort für die kleine Zitrusfrucht mit der Farbe der Amtstracht der Mandarine in Verbindung.
ab 617
TIBET – SONGTSEN GAMPO In Tibet, damals noch nicht buddhistisch, etablierte sich ab 617 ein kraftvolles Königtum durch Songtsen Gampo (617–649), das in Zentralasien ein wichtiger Rivale des Tang-Reiches wurde. Nach einem Feldzug gegen China stimmte Kaiser Taizong einer Heirat Songtsen Gampos mit einer chinesischen Prinzessin zu, um den Frieden zu erhalten. Songtsen Gampo hatte bereits eine nepalesische und eine westtibetische Prinzessin geheiratet – das war Teil seiner Großmachtpolitik. Bis dahin gab es in Tibet, traditionell ein Nomadenvolk, keine feste Residenz, aber nun wurde für ihn und seine Gemahlinnen die Stadt Lhasa gegründet. Diese Königsresidenz bildete dann den Kern des Potala-Palastes, der im 17. Jahrhundert ausgebaut wurde. Durch die chinesischen und nepalesischen Gemahlinnen des Herrschers wurde der Buddhismus in Tibet bekannt und vom ihm gefördert.
770/780
TIBET – PADMASAMBHAVA Sehr heilig ist den Tibetern bis heute der »Lotusgeborene«: Padmasambhava, auch Guru Rinpoche genannt. Diese historisch wenig gesicherte, legendäre Gestalt soll auf einem Lotus in einem See erschienen sein (selbst eine Jungfrauengeburt wäre noch als zu »menschlich« erschienen). Er soll übernatürliche Kräfte besessen haben und eine Art Buddha-Inkarnation gewesen sein. Jedenfalls stammte er nicht aus Tibet, auch nicht aus Indien, war aber von dort zugewandert. Auf seinen Einfluss wird die Errichtung des ersten buddhistischen Klosters Samye um 770 durch den tibetischen König Trisong Detsen zurückgeführt. Dieser veranlasste auch die ersten Übersetzungen buddhistischer Schriften aus dem Sanskrit ins Tibetische. Tibetisch und Chinesisch gehören zur gleichen Sprachfamilie, sind aber sehr verschieden und werden in vollkommen unterschiedlichen Schriften geschrieben.
Was danach geschah: Das erste tibetische Königtum blockierte für lange Zeit den Zugang Chinas zur Seidenstraße und seine Ausdehnung im Südwesten. Es endete mit der Ermordung des antibuddhistischen Königs Glang-dar-ma 842.