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Der Wert von Papier erhöht sich eben, wenn es beschrieben oder bedruckt wird: als Buch, besser noch als Banknote. Auf die Idee mit dem Papiergeld waren die Chinesen auch bereits gekommen, sie hat sich aber erst später durchgesetzt.

Was danach geschah: Die Abbasiden herrschten über ein riesiges Weltreich vom Indus bis zum Atlantik, mit Iran, Irak, Syrien, Palästina, Ägypten und Nordafrika bis Marokko. Es war das einzige Weltreich seiner Zeit neben dem byzantinischen und das sehr viel dynamischere. In der Zeit Haruns und seiner unmittelbaren Nachfolger gab es einen Wirtschafts-, Handels-, Bank- und Bauboom ohnegleichen. Die Verstädterung nahm zu, gleichzeitig wurde die Landwirtschaft durch den Ausbau der Bewässerungssysteme enorm intensiviert und durch den Anbau besonders rentierlicher Produkte wie Baumwolle, Zuckerrohr und Orangen buchstäblich bereichert. Das Abbasiden-Reich wurde extrem zentralistisch regiert. Alles wurde in Bagdad entschieden. Unter schwächeren Kalifen brach es daher seit etwa 900 auseinander, lokale Machthaber und Dynastien erkannten den Kalifen nur noch formell an. Die politische Einheit der islamischen Welt drohte ein für allemal zu zerbrechen. In dieser Situation tauchte am Rand der islamischen Welt das Nomadenvolk der Ogusen auf, angeführt von Seldschuk.

GRÜNDERJAHRE IM NORDEN UND OSTEN

Im 9. Jahrhundert destabilisierte sich Europa wieder. Die zerstrittenen und geschwächten karolingischen Nachfolgereiche vermochten das räuberische Vordringen der Wikinger im Norden und der Ungarn im Südosten nicht aufzuhalten.

793

WIKINGER    Etwa zu der Zeit, als sich in Bagdad und Córdoba die islamische Hochkultur entfaltete, machten sich am Nordrand Europas die Wikinger unangenehm bemerkbar. Ihre rücksichtslose Grausamkeit, Raub-, Brand- und Mordlust waren gefürchtet. Sie galten als unglaublich kampfstark. Ihr Terror zog sich von Friesland über Flandern bis nach Frankreich. Der Überfall auf die Klosterinsel Lindisfarne vor England 793 war das erste Schreckensfanal.

Der Name leitet sich ab von dem altnordischen Wort vikingen für die Raub- und Plünderungszüge, die die vikingr, die »Seeräuber«, von den skandinavischen Nordseeküsten ihrer Heimat aus unternahmen. Es handelt sich demnach nicht um eine ethnische oder geografische Bezeichnung, sondern um eine soziale – im Grunde sind mit vikingr nur die Schiffsbesatzungen der berühmten, für die damalige Zeit überragend seetüchtigen Drachenboote gemeint, die in erster Linie gerudert wurden. Die Mannschaften rekrutierten sich aus jüngeren Angehörigen der bäuerlichen Aristokratie, für die die vikingen eine Lebensphase gesellschaftlicher Bewährung darstellten, in der man Ruhm und Reichtum erwarb.

nach 814

NORMANNEN    Zeitgenössische Berichte sprachen allerdings von »Normannen« oder »Dänen«. Die Bezeichnung »Nordmanni« ist durch Einhard, den Biografen Karls des Großen, überliefert (bis heute sehr präsent in »Normandie«).

Seit Lindisfarne erlitten die Nordseeküsten alljährlich vikingen, und nach dem Tod Karls des Großen (814) wagten sich die Normannen auch ins Innere des fränkischen Reiches. Sie zerstörten Köln, Bonn, Trier und plünderten 856/857 Paris. 881 eroberten sie Aachen und missbrauchten die Pfalzkapelle als Pferdestall.

Überall, wo sie hinkamen, durchliefen die Wikinger/Normannen eine Entwicklung von Plünderern, die Beute nahmen, zu Kaufherren, die ansässig wurden, und, um ihren Handel zu schützen, Reiche gründeten, etwa in Russland, der Normandie, England oder im mittelalterlichen Sizilien. Die Normannen in der Normandie traten 912 zum Christentum über. Die Christianisierung Skandinaviens ging erst um 1000 von Hamburg und Bremen aus.

ab 750

WARÄGER    Die Wikinger waren nicht nur in der Nordsee unterwegs. Von Schweden drangen sie gleichzeitig über das Baltische Meer (Ostsee) in den ostslawisch-finnischen (später »russischen«) Raum vor, von wo aus sie als »Waräger« über die großen Flusssysteme, namentlich des Dnjepr, Richtung Byzanz zogen. Der Glanz und Reichtum dieser einzigen wahren europäischen Metropole ihrer Zeit hatte eine magische Anziehungskraft. Der ordnenden Hand der warägischen Oberschicht verdankte das spätere Russland seinen Namen und seine ersten Herrschaftsgebilde, insbesondere die »Kiewer Rus« im Süden in der heutigen Ukraine und die Städtegründungen der warägischen Kaufleute wie Nowgorod im Norden. Die Bezeichnung »Waräger« (altnordisch Vaeringjar) kommt vermutlich von altnordisch varar (»Eid«) und meint eine Gruppe von Handelskaufleuten, die sich gegenseitig Hilfe schworen – analog und mit gleicher Wortbedeutung wie bei »Hanse«.

862

KYRILLISCHES ALPHABET    Kyrill war einer der beiden hochgebildeten Offizierssöhne Kyrill und Method (820–885), die als »Slawenapostel« in die Geschichte eingingen. Ihr Missionsgebiet war das damalige Großmähren. Nachdem Karl der Große die Awaren dort in den Jahren 791 bis 796 besiegt hatte, wollten die Slawen das alte Joch weder gegen die fränkische Oberherrschaft noch gegen den Einfluss der aggressiv missionierenden Bischöfe von Passau eintauschen. Also wandte sich der mährische Fürst Rastislaw an den Kaiser in Byzanz, der ihm die beiden Brüder Kyrill und Method sandte. Deren Mission war wohlvorbereitet. Die Entwicklung der glagolitischen Schrift und die Übersetzung der liturgischen Texte durch Kyrill vor 862 gehörte dazu.

Der eigentliche Urheber der kyrillischen Schrift ist nicht bekannt, man vermutet einen Schüler des Kyrill; Kyrill von Thessaloniki (826–869) war aber so bedeutend, dass die Schrift nach ihm benannt wurde, auch wenn sie eine ganz andere war als jene älteste slawische Schrift, die Glagoliza. Das Kyrillische ist nämlich aus Großbuchstaben des griechischen Alphabets entwickelt worden, mit einigen Anleihen aus der Glagoliza. Deswegen ist sie der griechischen auch viel ähnlicher.

ca. 900

KIEWER RUS    Kiew in der heutigen Ukraine gilt als Mutter aller russischen Städte. Hier ergriffen die Waräger die Herrschaftsinitiative und vereinten Kiew mit Nowgorod im Norden – auch wenn es in der Nestorchronik, der russischen Staatsgründungslegende, in bewegenden Szenen umgekehrt dargestellt wird. Demzufolge reiste ein Regent aus Nowgorod mit einem kleinen Waräger-Prinzen den Dnjpr hinab bis Smolensk und präsentierte den Jungen dort auf Kiewer Gebiet dem Volk als neuen Fürsten. Kiew war aber wegen seiner relativen Nähe zu Byzanz sicherlich die bedeutendere Waräger-Residenz und die Initiative ging von dort aus.

Allem Anschein nach bezeichneten die finno-ugrischen Völker, die damals am Nordrand des Baltischen Meeres bis tief ins Landesinnere siedelten, die Waräger als Rus oder Rhos. Die Waräger selbst nannten sich auch so, daher »Kiewer Rus«. Nach ihrer Bekehrung zum Christentum übernahmen sie die ostslawische Sprache, behielten aber diese Bezeichnung bei. Der neue Name ging auf die von ihnen beherrschten slawischen Stämme über. »Russen« und »Russ(land)« sind daher keine slawischen Wörter. Altrussland hatte keine Herrscher slawischen Ursprungs; die Fürsten waren alle Waräger aus der führenden Dynastie der Rurikiden, benannt nach dem Wikinger Rurik. Der letzte Rurikide regierte bis 1598; er war der Nachfolger Iwans des Schrecklichen.

988

DIE TAUFE RUSSLANDS    Während der ersten Jahrzehnte ihrer Herrschaft in Kiew festigten die Waräger-Fürsten ihre Stellung. Sie griffen Byzanz immer wieder an, aber Byzanz war zu stark.