Выбрать главу

Anlässlich der Neubesetzung des Erzbischofssitzes von Mailand entbrannte 1075 dann ein Streit zwischen dem deutschen Kaiser Heinrich IV. und Papst Gregor. Heinrich hatte für den Mailänder Stuhl einen anderen Kandidaten als der Papst. Beide wurden eingesetzt: Erzbischof und Gegenerzbischof.

Von einem Reichstag in Worms sandte Heinrich IV. einen Brief an Gregor, in dem er ihn »nicht mehr Papst, sondern falscher Mönch« nannte und im Befehlston aufforderte: »Verlasse den apostolischen Stuhl!« »Steige herab, steige herab!«

Umgehend setzte Gregor seinerseits den Kaiser ab, belegte ihn mit dem Kirchenbann und exkommunizierte ihn. Die deutschen Fürsten gerieten ins Wanken und drohten Heinrich ebenfalls, ihn abzusetzen, falls er sich nicht mit dem Papst aussöhnte. Diesem blieb nichts anderes übrig, als den berühmt gewordenen Gang nach Canossa anzutreten.

1076

CANOSSA    war eine der Stammburgen der Markgräfin Mathilde von Toskana, die eine wichtige Vermittlerrolle bei der Aussöhnung zwischen Kaiser und Papst spielte. Mathilde hatte Gregor auf ihre Burg eingeladen, um dort den Kaiser zu erwarten. Sie war eine hochgebildete, einflussreiche Fürstin, die über große Teile der Toskana und bis hinauf in die Po-Ebene herrschte. Canossa befindet sich am Nordrand des Appenin, unweit von Parma. Als Markgräfin der Toskana war die papsttreue Mathilde allerdings auch Reichsfürstin. Ebenfalls anwesend war der Abt von Cluny. Hugo war ein bedeutender Vollstrecker der cluniazensischen Reformen, denen auch Papst Gregor so glühend anhing. Andererseits war Hugo Taufpate von Kaiser Heinrich und damit ebenfalls für die Vermittlung prädestiniert.

Durch seinen Gang nach Canossa rettete Heinrich zwar seinen Thron im Regnum teutonicorum, wie der Papst zu sagen pflegte, verspielte aber durch die demütigenden Umstände das Ansehen des deutschen Kaisertums. Der Gang nach Canossa wurde in Italien, aber auch in anderen Teilen Europas als so etwas Erschütterndes angesehen wie in der Moderne die Schlacht von Waterloo oder in unserer Zeit der 11. September 2001.

Der Investiturstreit schwelte weiter. Der inzwischen bei den Römern verhasste Papst wurde gegen Ende seiner Amtszeit von Heinrich in der Engelsburg belagert. Nur mithilfe der Normannen konnte Gregor aus Rom entkommen. Erst Heinrichs Sohn und Nachfolger erzielte einen Kompromiss mit dem Papsttum, das Wormser Konkordat. Darin verzichtete Kaiser Heinrich V. 1122 auf die Investitur mit Ring und Stab. Der Papst gestand ihm nur das Recht zu, den erwählten Bischof oder Abt gesondert mit weltlichen Rechten zu belehnen. So blieb es im Prinzip bis zum Ende des Reiches 1806.

Was danach geschah: Im Übrigen traf die Kirche rund 100 Jahre später ähnliche Regelungen mit den englischen und französischen Königen, die ebenfalls auf die geistliche Investitur verzichteten. Ein gewaltiger Machtzuwachs für die katholische Kirche im Mittelalter. Allerdings holten sich Engländer und Franzosen nach 1500 ihr Recht wieder zurück: Heinrich VIII. 1534, indem er sich selbst zum Oberhaupt der Kirche in England machte, und Franz I., der 1516 im Konkordat von Bologna das Recht erhielt, die französischen Kleriker selbst einzusetzen. Die Päpste und staufischen Kaiser rieben sich bis 1250 gegenseitig auf. Unterhalb dieser Machtebene vollzog sich in den aufstrebenden Städten die Bildung eines sich immer mehr emanzipierenden, selbst verwaltenden Bürgertums, die erste Umwandlung Europas zur Moderne.

MÖNCHE UND RITTER

In Europa breitete sich eine religiöse Unruhestimmung aus. Bußprediger und die Armutsbewegung kamen auf, was in der Gründung großer Bettelorden und asketischer Klöster und Orden kulminierte wie Grande Chartreuse (1084) oder Citeaux, dem Mutterkloster der Zisterzienser (1098). Die Reconquista, das Vorbild für die Kreuzzüge, nahm an Fahrt auf, und nicht zuletzt die »Ketzerbewegungen«.

seit ca. 930

JAKOBSWEG    Das an einem äußersten Zipfel des südwestlichen Europa völlig entlegene Santiago de Compostela entwickelte sich im Hochmittelalter als eine Art Ersatz-Jerusalem zur wichtigsten Pilgerstätte der Christenheit nach Rom und Jerusalem. Jerusalem war durch die islamische und mittlerweile auch seldschukische Expansion nur noch schwer zugänglich.

Schon bald nach 800, kurz nachdem die Araber Spanien erobert hatten, glaubte man, in Nordspanien den »wahren Jakob« gefunden zu haben. Der Leichnam des Apostels Jakobus, Oberhaupt der allerersten Jerusalemer Christengemeinde, sollte auf wundersame Weise in dem gebirgigen, nur schwer zugänglichen christlichen Rückzugsgebiet in einem Boot an der galizischen Küste angeschwemmt worden sein.

Die Jakobspilgerschaft war mit Klöstern, Herbergen, Hospitälern und Kirchen bestens organisiert, die Pilgerwege durchzogen wie ein Spinnennetz ganz Europa. Auf dem Weg dorthin oder als Sammelpunkte entstanden bedeutende Wallfahrtszentren wie Vézelay in Frankreich. Eine Pilgerwanderschaft von Köln nach Santiago dauerte bei einer Strecke von rund 1500 Kilometern mindestens zweieinhalb Monate. Wollte man an Ostern dort sein, musste man im Winter aufbrechen. Im Spätmittelalter kamen etwa eine halbe Million Menschen pro Jahr nach Santiago.

1085

RECONQUISTA I    Mit Reconquista ist Wiedereroberung gemeint, genauer gesagt, die Rückeroberung des seit 711 von den Arabern (»Mauren«) größtenteils eroberten Spaniens durch die christlichen Königreiche von Norden her. 1085 wurde Toledo durch König Alfons VI. von Leon und Kastilien erobert, ein bedeutender Zwischenschritt. Toledo war schon unmittelbar vor der maurischen Eroberung fast 200 Jahre lang Hauptstadt des christlichen Reiches der Westgoten gewesen. Alfons machte es umgehend wieder zu seiner Residenz. Durch die Eroberung Toledos erwarb sich Alfons den Beinamen »Spaniens Schild«.

1095

»GOTT WILL ES!«    Schon der »Canossa«-Papst Gregor VII. hatte 1074 einen Kriegszug zur Befreiung des Heiligen Grabes in Jerusalem geplant, war aber dann durch den Investiturstreit zu sehr in Anspruch genommen. Nun predigte Urban II., wie Gregor ein führender Exponent der Cluny-Reform, den Kreuzzug. Auslöser war ein Hilferuf des byzantinischen Kaisers, der sich von den Seldschuken bedroht sah. Kaiser Alexios I. Komnenos machte sich Hoffnungen auf die Rückeroberung des durch die Schlacht von Mantzikert 1071 verlorenen Kleinasiens/Anatoliens. Dafür bat Byzanz um die Hilfe der »Franken«, wie in der Kreuzzugszeit alle abendländischen Ritter pauschal genannt wurden.

Urban hielt seine Kreuzzugspredigt am 27. November 1095 vor den Toren von Clermont-Ferrand. Alles war sorgfältig vorbereitet: Urban schilderte dramatisch die Leiden der Christen im von Muslimen besetzten Jerusalem und die Zerstörung der Grabeskirche 1009. Wie verabredet, fiel der Bischof des benachbarten Le Puy auf die Knie und bat, ziehen zu dürfen. An diesem Tag fiel auch schon die oft wiederholte Losung der Kreuzzüge. Die Volksmassen reagierten fanatisiert: »Deus lo vult!« »Dieu le veut!« »Gott will es!«. Von nun an erfasste der Wille, »das Kreuz zu nehmen«, um Jerusalem zu befreien, 200 Jahre lang die europäische Ritterschaft bis hinauf zu Kaisern und Königen.

Mit dem von Papst und Kirche sorgfältig geplanten Kreuzzugsprojekt wurden viele politische Ziele gleichzeitig verfolgt. In Spanien ging es um die Eindämmung der islamischen Expansion. Urban verfolgte den Plan einer Wiedervereinigung mit der Ostkirche in Konstantinopel. Aus römischer Sicht sollten die Kreuzzüge das politisch zersplitterte Europa auf ein großes gemeinsames Ziel einschwören, natürlich unter der Führung des Papsttums. Nicht zuletzt gaben die Kreuzzüge dem vagabundierenden europäischen Jungadel – die zweiten, dritten Rittersöhne, die nicht geerbt hatten und überall die Gegend unsicher machten – eine sinnvolle Aufgabe.