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Warcraft

Der offizielle Roman zum Kinofilm

Von Christie Golden

Prolog

Der Thronsaal von Sturmwind badete im Mondschein. Er ließ den weißen Stein des verwaisten Herrschersitzes schimmern, als wohnte diesem ein ureigener Glanz inne, und verwandelte die goldenen Löwen zu dessen Füßen in silberne Bestien mit leeren Augenhöhlen. Kaltes, milchiges Licht brach sich in den klaren Linien der zur Schau gestellten Waffen und machte aus den Schatten in den Ecken, in die seine blassen Finger nicht reichten, Horte grundloser Finsternis. In dem magischen Dämmer hätte jemand mit lebhafter Fantasie durchaus den Eindruck gewinnen können, dass die dekorativen Rüstungen, die längs der Wände Wache standen, womöglich doch nicht leer waren.

Nur eine einzelne Lampe machte dem Mond seine uneingeschränkte Vorherrschaft streitig. Sie warf ihr warmes, rötliches Licht auf das aufmerksame Gesicht eines Jungen, der zwei geschnitzte Spielfiguren in Händen hielt. Eine war ein Soldat in einer bemalten Version jener Rüstungen, die an verschiedenen Stellen in dem stillen Saal dräuten. Die andere Figur war eine gedrungene Bestie – grün, mit Stoßzähnen und einer Axt, die beinahe anderthalb mal so groß war wie ihr hölzerner Widersacher.

Auf dem Boden lagen noch andere Soldaten und Monster. Die meisten der Spielzeugungetüme standen noch.

Die meisten der Spielzeugsoldaten hingegen waren umgeworfen.

Der Raum hellte sich auf, als die Tür geöffnet wurde. Der Junge drehte sich um, verärgert darüber, gestört zu werden, und einen Moment lang sah er die Gestalt, die eingetreten war, grimmig an, bevor er sich wieder seinem Spiel zuwandte.

„Sieh an“, sagte der Mann mit jugendfrischer Stimme. „Hier versteckst du dich also.“

Ein Prinz versteckt sich nicht, dachte der Junge. Er geht hin, wo immer er hingehen will, wenn er allein sein möchte. Mit Verstecken hat das nichts zu tun.

Der Mann trat neben ihn. Im matten Schein der Lampe war sein Haar nicht ganz so grau wie sonst, und auch die Narbe, die vom Kinn hoch zu seinem Auge verlief, wirkte nicht ganz so hässlich wie am helllichten Tage. Er blickte auf die Szene hinab, die der Junge mit seinen Figuren nachgestellt hatte. „Wie läuft die Schlacht?“

Als würde er das nicht sehen. Als würde er sich nicht daran erinnern.

Zuerst sagte der Junge nichts; stattdessen starrte er die kleinen grünen Spielfiguren nur an, ehe er schließlich mit zorniger Stimme sagte: „Jeder Orc verdient den Tod. Wenn ich König bin, mache ich’s wie Lothar und bringe sie alle um!“

„Lothar ist Soldat“, sagte der Mann, nicht unfreundlich. „Er kämpft, weil das seine Pflicht ist. Eines Tages wirst du König sein. Und dann ist es deine Pflicht, einen gerechten Frieden herbeizuführen. Findest du nicht, dass wir mittlerweile genug Krieg hatten?“

Der Junge antwortete nicht. Ein gerechter Frieden. Genug Krieg.

Unmöglich.

„Aber ich hasse sie!“, rief er. Seine Stimme hallte von den Wänden wider, viel zu laut in der Stille. Mit einem Mal brannten ihm Tränen in den Augen.

„Ich weiß“, sagte der Mann ruhig. Er verzichtete darauf, den Jungen für seinen Ausbruch zu tadeln, was den Prinzen ein wenig beruhigte. „Doch Krieg ist nicht die Antwort auf alles. Du musst erkennen, dass nicht alle Orcs böse sind, selbst wenn es so scheinen mag.“

Der Junge runzelte die Stirn und warf dem Mann einen skeptischen Blick zu. Khadgar war sehr weise, doch was er da sagte, war für den Jungen ganz und gar unvorstellbar.

„Weißt du“, fuhr Khadgar fort, „die Orcs stammen von einer anderen, weit entfernten Welt.“ Er hob die Hand und bewegte seine Finger. Eine rötlich orangene Kugel erschien in seiner Hand. Nun war das Interesse des Jungen geweckt, und er schaute aufmerksam zu. Er liebte es, zu sehen, wie Khadgar seine Zauber wirkte. Die Kugel drehte sich, umgeben von grüner, knisternder Energie. „Ihre Welt starb“, erklärte Khadgar. „Sie wurde von einer dunklen Magie verschlungen, die man die Teufelsseuche nannte.“ Die Augen des Prinzen weiteten sich, als der seltsame grüne Schein die braune, staubig wirkende Welt zu verschlingen schien. „Die Orcs mussten fliehen. Hätten sie das nicht getan … wären auch sie untergegangen.“

Der Prinz hatte kein Mitleid für die Orcs oder ihre sterbende Welt übrig. Seine Finger schlossen sich fester um den Spielzeugorc, den er mit einer Hand umklammert hielt. „Stattdessen sind diese grünen Monster einfach in unsere Welt eingefallen!“

„Sie waren auch nicht alle grün, als sie nach Azeroth kamen. Ich wette, dass wusstest du nicht.“

Der Prinz schwieg lieber, statt sein Unwissen einzugestehen, doch seine Neugierde war geweckt.

„Grün waren nur jene von ihnen, die mit der Fel-Magie vergiftet waren“, erklärte Khadgar. „Diese Magie hat sie verwandelt. Einst jedoch sind wir einem Orc begegnet, der sich dem verderbten Zauber widersetzte. Einem Orc, der diesen Krieg beinah verhindert hätte. Er hieß … Durotan.“

Die Kammer der Luft brauchte keine Fenster, denn wie ihr Name schon sagte, bestand sie aus Luft – und nichts weiter.

Fremde, die dieses Ortes ansichtig wurden, hätten wohl ihren Augen nicht getraut, gleichermaßen ergriffen von Furcht und Schönheit, und sich gefragt, wie der Rat der Sechs hier verweilen konnte, ohne sich um seine Sicherheit zu sorgen. Aber hier gab es keine Fremden und würde es niemals welche geben, hier in der Violetten Zitadelle der Kirin Tor.

Genau wie die Magie war auch diese Kammer allein Zauberern vorbehalten.

Der blaue Himmel und die weißen Wolken, die als Wände und Decke dienten, hoben sich von den Gold- und Purpurtönen des Steinbodens ab, den ein intarsiertes Symbol zierte – ein stilisiertes, wachsames Auge. Der Junge, der eintrat und erst in der Mitte dieses Raumes stehen blieb, fand, dass das Zeichen und das, wofür es stand, heute eine noch größere Berechtigung besaßen als je zuvor.

Der Junge war elf, von durchschnittlicher Größe, mit braunem Haar und Augen, deren Farbe von Blau zu Grün wechselte, je nachdem, wie das Licht auf sie fiel. Er trug ein weißes Gewand, und die ganze Aufmerksamkeit des gesamten Rats der Kirin Tor ruhte allein auf ihm.

Sie standen hoch über ihm auf einer ringförmigen Plattform, in violette Roben gewandet, auf die dasselbe Auge aufgestickt war, das vom Boden emporblickte. Die Sechs und die Augen, die sie trugen, schauten auf den Jungen hinab, wie er selbst vielleicht ein Insekt beäugt haben mochte. Indes, ihre brütenden Blicke machten ihm keine Angst – wenn überhaupt, weckten sie bloß seine Neugierde, und so hielt er ihrem Starren tapfer stand, ja, zog sogar fragend eine Augenbraue hoch.

Eine der Gestalten, ein großer, dürrer Mann mit einem Vollbart, der so weiß war wie die Magie, die die Wände des Turms durchströmte, suchte den Blick des Jungen und nickte beinah unmerklich. Er begann zu sprechen, und seine sonore Stimme hallte eindrucksvoll in der gewaltigen Kammer wider.

„Es gibt die These, dass jeder Stern am Himmel eine eigene Welt ist“, sagte der Erzmagier Antonidas. „Und dass es auf jeder dieser Welten vor Leben nur so wimmelt. Was sagt unser Novize zu dieser Annahme?“

Der junge Novize zu Füßen der Sechs antwortete prompt. „Keine Welt ist wie Azeroth“, entgegnete er. „Die Schönheit von Azeroth ist ebenso einmalig wie seine Lebensfreude und sein Übermaß an allem Guten.“

„Und wem kann die Obhut eines solchen Schatzes anvertraut werden?“

„Dem, der die Mächte der Magie bändigt, um die Sicherheit unserer Welt zu gewährleisten“, sagte der Novize. „Dem Wächter.“

„Ich verstehe.“ Auf Antonidas’ schmalen Lippen zeigte sich der winzigste Anflug eines Lächelns. Der Novize fragte sich, ob er sich bemühen sollte, ein bisschen demütiger zu klingen. Doch ehrlich gestanden hatte er sich dies alles schon vor einer Ewigkeit eingeprägt.