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Der Clan der Frostwolf-Orcs war als einer der letzten dem Ruf des Hexenmeisters Gul’dan gefolgt. Wie ihre alten Geschichten erzählten, waren die Frostwölfe früher einmal Nomaden gewesen – bis einer ihrer Häuptlinge, der dem Frostfeuergrat fast ebenso treu ergeben war wie seinem Clan, die Geister um die Erlaubnis gebeten hatte, dort bleiben zu dürfen. Sie hatten seinem Wunsch stattgegeben, und für eine Zeit, die fast so lang währte wie ihr Behüter, Väterchen Berg, war der Clan im Norden geblieben. Unabhängig, stolz und stark im Angesicht jeder Herausforderung, die sich ihm gestellt hatte.

Doch irgendwann war Väterchen Berg aufgebrochen, um flüssiges Feuer auf ihr Dorf zu ergießen, und so waren die Frostwölfe gezwungen gewesen, ihr unstetes Nomadenleben wieder aufzunehmen. Ihre Wanderschaft hatte sie von Ort zu Ort geführt, und obwohl der Clan große Not litt, hatte Gul’dan, der Hexenmeister – eine gebeugte, unheilvolle Gestalt, deren Haut in einem unnatürlichen Grün schimmerte –, sie zweimal bitten müssen, sich seiner Horde anzuschließen, bevor Durotan schließlich eingewilligt hatte. Es war ihm keine Wahl geblieben, wenn sein Volk überleben sollte.

Gul’dan war mit großen Versprechen zu den angeschlagenen Frostwölfen gekommen, und Durotan war entschlossen, den Hexenmeister beim Wort zu nehmen. Draenor, ihre Heimat ebenso wie die der Geister von Erde, Luft, Wasser, Feuer und Leben, lag im Sterben. Gul’dan jedoch behauptete, eine andere Welt zu kennen, eine Welt, in der die stolze Rasse der Orcs fette Beute jagen, ihr Maß an kaltem, klarem Wasser trinken und so leben konnte, wie es ihnen von Natur aus zugedacht war – mit Leidenschaft und Stolz. Es war ihnen nicht bestimmt, im Staub zu kriechen, ausgezehrte Opfer der Verzweiflung, während ihre ganze Welt um sie herum verdorrte und einging.

Denn genau das taten die Frostwölfe jetzt, als sie sich die letzten paar Meilen ihrer erschöpfenden Reise dahinschleppten. Einen geschlagenen Vollmond lang war sein Clan vom Norden her bis zu diesem ausgedörrten, sengend heißen Ort gezogen. Viel Wasser hatte es unterwegs nicht gegeben und noch weniger zu essen. Einige waren umgekommen, außerstande, die körperlichen Belastungen des langen Marsches zu ertragen. Durotan fragte sich, ob der Lohn die Strapazen am Ende tatsächlich wert sein würde? Er betete zu den Geistern – die ihn kaum noch hören konnten, so schwach waren sie bereits geworden –, dass dem so war.

Auf dem Marsch trug Durotan die beiden Waffen, die ihm nach dem Tod seines Vaters zugefallen waren. Eine war Donnerschlag, ein teils lederumwickelter Speer mit eingravierten Runen. Für jedes Leben, das der Speer genommen hatte, war eine Kerbe in den hölzernen Schaft geritzt. Ein Längsschnitt stand für ein getötetes Tier; ein Schnitt quer zum Schaft für einen Orc. Die meisten Kerben auf dem Schaft verliefen in Längsrichtung, aber es gab auch mehrere Querstriche.

Die andere Waffe, die einst sein Vater geführt hatte und davor Durkosh, dessen Vater, war die Axt Spalter. Durotan achtete stets darauf, dass die Schneide so scharf blieb wie an dem Tag, als sie geschmiedet worden war. Bislang war Spalter seinem Namen mehr als gerecht geworden.

Durotan ging zu Fuß und überließ es denjenen, die schwächer oder krank waren, auf den mächtigen weißen Frostwölfen zu reiten, die dem Clan nicht nur dazu, sondern auch als lebenslange Gefährten dienten. Neben ihm marschierte sein Stellvertreter, Orgrim Schicksalshammer; die gewaltige Waffe, der seine Blutlinie ihren Namen verdankte, hatte er sich auf den breiten braunen Rücken gebunden. Orgrim gehörte zu den wenigen, die Durotan fast besser kannten als er sich selbst; zu den wenigen, denen er nicht bloß sein eigenes Leben anvertraute, sondern gleichermaßen das seiner Gefährtin und seines noch ungeborenen Kindes.

Draka – Kriegerin, Gefährtin und werdende Mutter – ritt auf Eis, ihrem Wolf, neben Durotan her. Wie es sich geziemte, war sie den Großteil der Reise über neben ihm hermarschiert, bis Durotan sie schließlich darum gebeten hatte aufzusitzen. „Wenn schon nicht um deiner selbst willen oder zum Wohle des Kindes, dann für mich“, hatte er erklärt. „Es ist ziemlich ermüdend, sich ständig zu fragen, wie lange es wohl noch dauert, bis du in den Staub kippst.“

Sie hatte ihn angegrinst, wobei sich ihre Lippen über ihre kleinen Hauer wölbten und in ihren dunklen Augen jene Fröhlichkeit funkelte, die er so an ihr liebte. „Hm“, hatte sie entgegnet, „dann reite ich eben, und wenn auch bloß, weil ich Angst habe, dass dir der Blitz in den Rücken schießt, wenn du versuchst, mir aufzuhelfen.“

Anfangs war die Stimmung gut gewesen. Der Clan hatte sich einem schrecklichen Feind – dem Rotläuferclan – gestellt und ihn bezwungen, doch außerdem hatten sie erfahren, dass sie von den geschwächten Geistern keine Hilfe mehr erwarten konnten.

Durotan hatte seinem Clan versichert, dass sie für alle Zeiten Frostwölfe bleiben würden, selbst wenn sie sich mit anderen Orcs der Horde zusammenschlossen. Der Gedanke an Fleisch, Obst, Wasser und frische Luft – allesamt Dinge, die der Clan dringend brauchte – war ermutigend. Das Problem, wurde Durotan irgendwann klar, bestand darin, dass der Clan – und auch er selbst, wenn er ehrlich sein wollte – in der Überzeugung aufgebrochen war, dass ihre Schwierigkeiten bald der Vergangenheit angehören würden. Gleichwohl, die Fährnisse ihrer Reise hatten sie schon bald eines Besseren belehrt.

Ohne innezuhalten, wandte er sich so weit um, dass er den Blick über seinen Clan schweifen lassen konnte. Seine Frostwölfe marschierten nicht mit großen Schritten, sie schlurften ihres Weges; außerdem lastete eine solche Aura der Erschöpfung auf ihnen, dass ihm das Herz schwer wurde.

Als seine Gefährtin ihn flüchtig an der Schulter berührte, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder ihr zu. Er schenkte ihr ein gezwungenes, müdes Lächeln.

„Du siehst aus, als solltest eigentlich du reiten, nicht ich“, sagte sie sanft.

„Wir werden alle reiten können“, sagte er, „sobald wir so viel Fleisch haben, dass unsere Wölfe sich mit vollen Bäuchen neben uns ausstrecken.“

Ihr Blick glitt von ihrem eigenen Bauch zu seinem, und sie kniff neckisch die Augen zusammen. Er lachte, überrascht von ihrer Heiterkeit, beinahe überzeugt davon, dass er selbst längst vergessen hatte, wie sich das überhaupt anfühlte: Heiterkeit. Fröhlichkeit. Unbeschwertheit. Draka wusste stets, was sie tun musste, um ihn zu besänftigen, sei es durch ihr Lachen, durch ihre Liebe oder gelegentlich auch durch einen Knuff in die Seite, um ihm dabei zu helfen, seinen Kopf wieder klarzubekommen. Und ihr Kind …

Es war der wahre Grund dafür, dass sie den Frostfeuergrat verlassen hatten. Draka war die einzige schwangere Frostwölfin. Und letzten Endes hatte er einfach keine Rechtfertigung dafür gefunden, zuzulassen, dass sein Kind – überhaupt irgendein Orc-Kind – in eine Welt hineingeboren wurde, die es nicht ernähren konnte.

Durotan streckte die Hand aus, um den Bauch zu berühren, dessentwegen er sie eben noch geneckt hatte; er legte seine riesige braune Hand darauf und auf das winzige Leben, das darin wuchs. Ihm gingen die Worte durch den Sinn, die er am Vorabend ihres Aufbruchs an seinen Clan gerichtet hatte: Was auch immer die Legenden uns über die Vergangenheit berichten, was auch immer die Rituale uns vorschreiben, welche Regeln oder Gesetze oder Traditionen wir auch haben mögen – letztlich gibt es nur ein Gesetz, nur eine Tradition, gegen die niemals verstoßen werden darf. Und dieses Gesetz besagt, dass ein Häuptling alles tun muss, was für seinen Clan das Beste ist.

Er spürte einen kräftigen, raschen Druck gegen seine Handfläche und grinste erfreut, als sein Kind ihm beizupflichten schien, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. „Wenn unser Kind könnte, würde es bereits neben dir hermarschieren“, sagte Draka.

Bevor Durotan darauf etwas erwidern konnte, rief jemand nach ihm. „Häuptling! Da sind sie!“