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›Nun, ist er von angenehmem Äußern?‹ fragte Großmutter weiter.

Ich wollte wieder nicht lügen und antwortete: ›Ja, von recht angenehmem Äußern, Großmutter!‹ Großmutter sagte darauf: ›Das ist eine Strafe Gottes! Ich sage das, mein Enkelkind, nicht damit du dich in ihn verguckst! Ja, diese neuen Zeiten! Ein so kleiner, bescheidener Mieter und hat dabei ein angenehmes Äußeres! Das war in der alten Zeit anders!‹

Großmutter spricht nämlich bei jeder Gelegenheit von der guten alten Zeit! Sie behauptet, sie sei in der alten Zeit jünger gewesen, und die Sonne hätte wärmer geschienen, und der Rahm wäre nicht so schnell sauer geworden – alles in der guten alten Zeit! Ich höre zu, schweige und denke mir: Warum bringt mich Großmutter selbst auf solche Gedanken, wenn sie mich fragt, ob der neue Zimmerherr hübsch sei? Das ging mir nur so flüchtig durch den Kopf, und gleich darauf begann ich wieder die Maschen zu zählen und zu stricken, und vergaß diesen Vorfall ganz.

Eines Morgens kommt der Zimmerherr zu uns herunter, um nach der Tapete zu fragen, die man ihm für sein Zimmer versprochen hatte: Ein Wort gibt das andere: Großmutter spricht gern etwas viel. Auf einmal sagte sie mir: ›Geh mal, Nastenka, hinüber in mein Schlafzimmer und hole das Rechenbrett.‹ Ich sprang gleich auf, errötete, ich weiß nicht weshalb, und vergaß dabei ganz, daß ich angeheftet war. Statt die Stecknadel vorsichtig abzustecken, daß es der Zimmerherr nicht sähe, riß ich so, daß der Sessel mit der Großmutter ins Rollen kam. Als ich sah, daß der Mieter alles bemerkt hatte, wurde ich noch röter, blieb wie angewurzelt stehen und brach plötzlich in Tränen aus; so sehr schämte ich mich, und so bitter war es mir, daß ich am liebsten in die Erde versunken wäre. Großmutter sagte aber: ›Was stehst du so da?‹ Und ich weinte noch mehr. Wie der Zimmerherr sah, daß ich mich vor ihm schämte, verabschiedete er sich und ging gleich fort!

Seit jener Zeit stand mir bei jedem Geräusch im Flur das Herz still; ich dachte mir gleich: Da kommt er! und steckte für jeden Fall heimlich die Nadel ab. Doch es war jedesmal wer anderer: der Zimmerherr ließ sich gar nicht blicken. So vergingen zwei Wochen. Eines Tages läßt er uns durch Fjokla sagen, daß er viele französische Romane habe, lauter gute, lesenswerte Bücher; ob Großmutter sie sich nicht von mir vorlesen lassen möchte, um sich die Zeit zu vertreiben? Großmutter nahm das Anerbieten mit Dank an, erkundigte sich aber einigemal, ob es moralische Bücher seien. ›Denn es gibt,‹ sagte sie, ›auch unmoralische Bücher, die du, Nastenka, nicht lesen darfst, denn du könntest aus ihnen nur Schlechtes lernen!‹

›Was könnte ich denn daraus lernen? Was steht in solchen Büchern?‹

›In solchen Büchern wird beschrieben, wie junge Männer gesittete Mädchen verführen, wie sie sie unter dem Vorwande, sie heiraten zu wollen, aus dem Elternhause entführen und sie dann in ihrem Unglück sitzen lassen, und wie dann diese Mädchen elend zugrundegehen. Ich habe viele solche Bücher gelesen,‹ sagte die Großmutter, ›und es ist darin alles so schön geschildert, daß man sich gar nicht losreißen kann und zuweilen heimlich eine ganze Nacht durchliest. Also ich bitte dich, Nastenka, lies solche Bücher nicht! Was für Bücher hat er übrigens geschickt?‹

›Es sind lauter Romane von Walter Scott, Großmutter!‹

›So, von Walter Scott! Ob aber nicht irgend etwas dahinter steckt?! Schau mal nach, Nastenka, ob er nicht irgendeinen Liebesbrief hineingelegt hat!‹

›Nein, Großmutter!‹ sage ich, ›da liegt kein Brief drin.‹

›Schau auch unter dem Einbande nach! Sie pflegen manchmal ihre Liebesbriefe unter dem Einbanddeckel zu verstecken, die Spitzbuben!‹

›Nein, Großmutter, auch unter dem Einband steckt nichts!‹

›Also paß auf!‹

So begannen wir den Walter Scott zu lesen und waren in einem Monat mit der Hälfte der Bände fertig. Dann schickte er noch andere Bücher, auch Puschkin war dabei. So daß ich schließlich ohne Bücher gar nicht mehr leben konnte und sogar meinen Traum, wie ich den chinesischen Prinzen heirate, gänzlich vergaß.

So stand die Sache, als ich einmal unsern Mieter ganz zufällig auf der Treppe traf. Großmutter hatte mich etwas kaufen geschickt. Er blieb stehen, ich errötete, und auch er errötete; schließlich lachte er, sagte mir guten Tag, erkundigte sich nach Großmutters Befinden und fragte: ›Nun, haben Sie die Bücher gelesen?‹ Ich antwortete: ›Ja, wir haben sie gelesen.‹ – ›Was hat Ihnen am besten gefallen?‹ – ›Ivanhoe und Puschkin haben mir am besten gefallen.‹ Damit endete diesmal unser Gespräch.

Nach acht Tagen traf ich ihn wieder auf der Treppe. Diesmal hatte mich nicht Großmutter geschickt, sondern ich mußte selbst etwas besorgen. Es war gerade um drei Uhr nachmittags, also um die Stunde, wo er gewöhnlich nach Hause zu kommen pflegte. ›Guten Tag!‹ sagte er mir. ›Guten Tag!‹ antwortete ich.

›Ist es Ihnen gar nicht langweilig, so den ganzen Tag mit der Großmutter zu sitzen?‹ fragte er mich.

Als er das fragte, wurde ich, ich weiß nicht warum, über und über rot; ich schämte mich, und es tat mir weh, daß sich schon Fremde über meine Lage erkundigten. Ich wollte sogar gehen, ohne ihm Antwort zu geben, brachte es aber nicht übers Herz.

›Hören Sie doch!‹ sagte er weiter, ›Sie sind wirklich ein gutes Mädchen! Entschuldigen Sie, daß ich mit Ihnen so spreche, doch ich versichere Sie, daß ich Ihnen nur alles Gute wünsche. Haben Sie denn gar keine Freundinnen, die Sie einmal besuchen könnten?‹

Ich sagte ihm, daß ich gar keine Freundinnen habe; ich hätte wohl eine Freundin, namens Maschenka gehabt, diese sei aber nach Pskow verzogen.

›Hören Sie,‹ sagte er drauf, ›möchten Sie nicht einmal mit mir ins Theater gehen?‹

›Ins Theater? Und was wird Großmutter sagen?‹

›Das müssen Sie eben hinter ihrem Rücken machen...‹

›Nein,‹ sagte ich, ›ich will meine Großmutter nicht betrügen. Leben Sie wohl!‹

›Gut, leben Sie wohl!‹ sagte er. Sonst sagte er nichts.

Doch am Nachmittag kam er zu uns herunter; er nahm Platz, unterhielt sich lange mit Großmutter, fragte sie, ob sie irgendwohin ausfahre, ob sie Bekannte habe und sagte plötzlich so nebenbei: ›Ich habe für heute abend eine Loge in die Oper genommen. Der Barbier von Sevilla wird gegeben. Bekannte wollten mitgehen. Nun sagten sie ab, und so sitze ich mit dem Billett.‹

›Der Barbier von Sevilla!‹ rief Großmutter aus. ›Ist es derselbe Barbier, den man in der alten Zeit zu geben pflegte?‹

›Ja,‹ sagte er, ›es ist derselbe!‹ Und dabei warf er mir einen Blick zu. Ich hatte schon alles begriffen, und das Herz hüpfte mir in freudiger Erwartung!

›Wie sollte ich ihn nicht kennen?‹ sagte Großmutter: ›Habe ich doch selbst einmal vor vielen Jahren bei einer Liebhaberaufführung die Rosine gespielt!‹

›Würden Sie vielleicht heute mitkommen?‹ fragte der Mieter. ›Sonst verfällt ja mein Billett unbenutzt.‹

›Warum denn nicht?‹ sagte Großmutter. ›Gerne! Meine Nastenka ist ja noch nie im Theater gewesen.‹

Mein Gott, diese Freude! Wir machten uns gleich bereit, kleideten uns um und fuhren hin. Großmutter ist zwar blind, wollte aber doch gern die Musik hören; und dann ist sie ja auch eine gute Seele: sie tat es mehr, um mir ein Vergnügen zu bereiten. Denn sonst wären wir wohl nie in die Oper gekommen. Welchen Eindruck auf mich der Barbier machte, das will ich Ihnen gar nicht sagen. Aber unser Mieter sah mich den ganzen Abend so freundlich an und sprach zu mir so herzlich, daß ich mir gleich sagte, er wollte mich heute früh nur prüfen, als er mir vorschlug, ich möchte mit ihm allein ins Theater gehen! Nein, diese Freude! Als ich an diesem Abend zu Bett ging, war ich so stolz, so froh, und hatte solches Herzklopfen, daß ich beinahe fieberte. Die ganze Nacht phantasierte ich vom ›Barbier von Sevilla‹.