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3. WELPENALARM

EINS

Unfassbar! Es ist einfach unfassbar! Irgendetwas muss?ber Nacht mit meinem Frauchen Carolin passiert sein, und jetzt hat sie offensichtlich eine Nase, die der eines alten K?nigspudels gleicht. Um hier Missverst?ndnissen vorzubeugen: Damit meine ich nicht etwa gross, feucht und eingerahmt von leicht ergrautem, lockigem Fell. Nein, sondern vielmehr mit dem Geruchssinn eines in die Jahre gekommenen Begleithundes ausgestattet. Also f?r einen Menschen geradezu sensationell gut.

Wie ich darauf komme? Ganz einfach: Vor etwa zehn Minuten habe ich es mir auf dem neuen Sofa im Wohnzimmer so richtig gem?tlich gemacht. Die Gelegenheit war g?nstig, denn weit und breit war kein Mensch zu sehen, der es mir h?tte verbieten k?nnen. Frauchens Freund Marc war schon morgens in seine Tierarztpraxis im Erdgeschoss verschwunden, sein T?chterchen Luisa in der Schule und Carolin selbst in ihrer Geigenbauwerkstatt auf der anderen Seite des Parks. Dachte ich jedenfalls.

Auf dem alten Sofa durfte ich immer ohne weiteres Platz nehmen, aber seitdem das neue die sonnigste Ecke des Wohnzimmers ziert, ist mein Leben deutlich unkomfortabler geworden. Am Tag seiner Lieferung stellte Marc n?mlich eine neue, sehr spiessige Regel auf: Hunde geh?ren ins K?rbchen, auf den Teppich oder vor die Couch, keinesfalls aberauf Letztere. Begr?ndet wurde das mit meinen Haaren und dem

sch?nen, flauschigen Wollbezug der Neuerwerbung. Was nat?rlich totaler Bl?dsinn ist, denn das Sofa ist dunkelgrau und damit ziemlich genau meine Haarfarbe. Schliesslich bin ich ein Rauhaardackel, jedenfalls fast. Selbst wenn ich also haaren w?rde – was ich selbstverst?ndlich nicht tue –, w?rde es nicht weiter auffallen.

Gut, Regeln sind, was man selbst daraus macht – und so liege ich nun eben ab und zu heimlich auf dem Sofa und geniesse die Sonne und das kuschelige Gef?hl an meinem Bauch. Bis jetzt hat es noch niemand von meinen drei menschlichen Mitbewohnern bemerkt – so viel zum Themast?rende Haare.

Auch in diesem Moment fl?ze ich mich auf meinem neuen Lieblingsplatz und freue mich ?ber die Ruhe in der Wohnung. Eigentlich bin ich als Rudeltier nicht besonders gern allein, aber wenn es denn schon sein muss, dann bitte auf diesem Fleckchen. Hier f?hlt sich selbst die Wintersonne, die um diese Tageszeit genau ins Fenster scheint, ganz warm und sommerlich an. Herrlich!

Ein Schl?ssel wird im Haust?rschloss gedreht. Mist! Ich springe schleunigst auf den Teppich, entferne mich weit genug vom Corpus Delicti und setze eine m?glichst unschuldige Miene auf. Carolin streckt den Kopf durch die T?r.

»Hallo Herkules, ich bin wieder zur?ck. Muss mich mal ein bisschen hinlegen. Irgendwie ist mir heute flau. Vielleicht zu viele Schokoweihnachtsm?nner zum Fr?hst?ck.«

Sie z?gert kurz, dann geht sie in meine Richtung.

»Ach, ich komm zu dir ins Wohnzimmer. Ein wenig Gesellschaft ist vielleicht nicht schlecht.«

Sie nimmt auf dem Sofa Platz, dann legt sie sich mit dem Kopf auf eben jene Stelle, auf der auch ich gerade ein Nickerchen machen wollte. Normalerweise?berhaupt kein Problem. Die Nase eines Menschen reagiert auf Duftmarken schliesslich

so empfindlich wie ein dickfelliger Berner Sennenhund auf die Temperaturen beim ersten Schneefall des Winters. Ich bin also ganz entspannt.

Kaum liegt Carolin jedoch, rappelt sie sich schon wieder auf.

»Sag mal, Herkules, du b?ser Hund – hast du etwa auf dem sch?nen neuen Sofa gelegen?«

Ich bin v?llig verdutzt. Wie hat sie das gemerkt? Sollte ich etwa doch haaren?

»Du brauchst gar nicht so unschuldig zu gucken! Das ganze Sofa riecht nach dir. Also ehrlich – es stinkt regelrecht nach Hund! Igitt!«

Bitte? Sie hat es gerochen? Das KANN gar nicht sein. Denn ich habe maximal f?nf Minuten dort gelegen, und nass war ich auch nicht. F?r einen Menschen ist das genau so, als w?re ich niemals da gewesen. Ich bin – ich erw?hnte es bereits – also fassungslos. Und, nebenbei bemerkt, was heisst hier eigentlichstinkt nach Hund? Ich bin mir sicher, dass ich sehr angenehm dufte. Carolin sollte sich lieber mal klarmachen, dass das W?sserchen aus dem kleinen Glasfl?schchen, das sie selbst h?ufig benutzt, geradezu penetrant stinkt.

»Tja, mein Lieber, da staunst du, was? Ich habe dich erwischt. Du hast hier gelegen, hundert Prozent. Das rieche ich drei Meilen gegen den Wind. Und du weisst genau, dass wir dir das verboten haben. Also sei froh, dass ich dich erwischt habe und nicht Marc. Bei diesem sauteuren Designerst?ck kennt Herrchen keinen Spass.«

Okay, sie hat es offenbar tats?chlich erschnuppert. Ich richte mich zu voller Gr?sse auf und starre Carolin an. Sieht sie irgendwie anders aus? Irgendetwas, das ihren pl?tzlich sensationellen Geruchssinn erkl?ren k?nnte? Nein, alles v?llig normal und wie immer: Carolin hat ihre blonden langen

Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, die hellen Augen strahlen, und ihre Nase ist kein St?ck gr?sser geworden. Sehr seltsam. Seeehr seltsam!

Bevor ich aber noch dazu komme, Carolin eingehender zu untersuchen, springt sie vom Sofa auf.

»Ich lege mich ins Bett. Hier wird mir ja ganz anders, ich f?rchte, die Couch muss erst einmal ausl?ften. Sch?m dich, Herkules!«

»Und du bist dir wirklich sicher, dass sie es gerochen hat?« Auch Herr Beck guckt erstaunt, als ich ihm am n?chsten Tag von der Sofageschichte erz?hle. Und das will etwas heissen. Denn der dicke schwarze Kater hat schon ziemlich viele J?hrchen auf dem Buckel und mit Menschen wohl alles erlebt,was man als Vierbeiner so mit ihnen erleben kann. Seit ich ihn im Sommer vor zwei Jahren kennen gelernt habe, ist er deswegen nicht nur mein bester Freund, sondern auch mein wichtigster Ratgeber geworden.

»Ich meine, vielleicht hat sie es auch nur erraten. Du lagst immerhin neben dem Teil, und vielleicht hast du gleich so schuldbewusst geschaut.«

Ich sch?ttle den Kopf.

»Nee, v?llig ausgeschlossen. Zum einen hatte ich ?berhaupt kein schlechtes Gewissen. Und zum anderen habe ich wirklich einen Sicherheitsabstand zwischen das Teil und mich gebracht,bevor Carolin ins Zimmer gekommen ist. Nicht nur das: Sie hat sogar behauptet, ihr w?rde ganz anders von dem Geruch.«

»Hm.« Beck guckt nachdenklich und r?ckt von dem Treppenabsatz unseres Hauseingangs n?her an die Hauswand heran. Tats?chlich hat es angefangen zu schneien, und wie die meisten Katzen ist Beck wettertechnisch ein echtes Weichei.

Wenn mein Opili – Gott hab ihn selig! – das sehen k?nnte, es w?rde ihn in seiner Meinung ?ber diese Gattung vollauf best?tigen. Ich bleibe selbstverst?ndlich wie angenagelt liegen und trotze dem Schneesturm. Na ja, drei Flocken mindestens haben schon meine Nase gestreift. Ich muss niesen. Herrn Beck scheint das an unser Ausgangsthema zu erinnern.

»Ja, ja, die Nase. Damit hat sie dich also ertappt. F?r einen Menschen ist das wirklich eine unglaubliche Leistung. Selbst mir f?llt es mittlerweile schon deutlich schwerer, Duftmarken exakt zuzuordnen. Das Alter!« Er seufzt. »Ist dir denn sonst noch etwas aufgefallen? Vielleicht sind das ja Anzeichen irgendeiner seltenen Krankheit?«

Ich denke kurz nach.

»Nein. Oder, na ja. Ich finde, Carolin ist in letzter Zeit immer sehr m?de. Normalerweise dreht sie bei sch?nem Wetter gerne eine Extrarunde mit mir im Park. Das ist schon l?nger nicht mehr vorgekommen, sie ist immer zu schlapp daf?r. Meinst du, ich muss mir Sorgen um Carolin machen?«

Becks Schwanzspitze zuckt. Ein untr?gliches Zeichen daf?r, dass er nachdenkt.

»Tja, so spontan weiss ich damit auch nichts anzufangen. Geruchsempfindlichkeit und M?digkeit – habe ich so als Krankheitssymptome beim Menschen noch nicht erlebt. Beim Kater erst recht nicht. Vielleicht sind das auch alles nur Zuf?lle? Ihre Nase hatte heute nur einen guten Tag, und ausserdemist es ihr momentan schlicht zu kalt, um mit dir spazieren zu gehen? Ich f?rchte, wir m?ssen das weiter beobachten, mein Freund. Nur so kommen wir zu einer fundierten Diagnose.«

Ich nicke, dann w?lze ich mich hoch und trotte Richtung Terrassent?r zur Werkstatt. Beobachten ist bestimmt eine gute Idee, und wenn ich schon dabei bin, kann ich auch gleich

mal beobachten, ob sich schon etwas Essbares in meinem Napf befindet.