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Gut, als Dackel bin ich Jagd-und nicht Schutzhund, aber ich muss doch wohl nicht erst bei der Bergrettung anheuern, damit ich in Fragen des Wohlergehens meines Frauchens eingebunden werde.

Egaclass="underline" Wenn ihr es mir nicht freiwillig erz?hlen wollt, muss ich euch wohl noch ein wenig belauschen. Dann kriege ich es schon selbst heraus und werde dann entsprechende Massnahmen f?r die Genesung von Carolin ergreifen. Welche das im Einzelnen sein k?nnten, ist mir noch nicht ganz klar. Aber die meisten Krankheiten des Menschen bekommt man mit viel Bewegung und frischer Luft wieder hin. Das jedenfalls war die unersch?tterliche Meinung meines Z?chters, des alten von Eschersbach. Er erw?hnte in diesem Zusammenhang auch immer wieder gerne einen l?ngeren Spaziergang – oderFussmarsch –, der an einem Ort namens Ostpreussen begann. Ich bekomme es nicht mehr ganz zusammen, aber irgendwie war der Alte der Meinung, dass er als Kind mit seiner Mutter sehr viel gelaufen und er deswegen heute bei so robuster Gesundheit sei, w?hrend die Jugend heute vom vielen Rumsitzen v?lligverweichliche.

Ich hoffe also, Carolins Krankheit hat mit ihrem Bewegungsmangel in letzter Zeit zu tun, denn den werde ich mit Sicherheit ganz schnell in den Griff bekommen. Die Sache mit dem»Schonen« k?nnen wir dann immer noch machen, aber wenn Carolins Arzt wirklich Ahnung h?tte, w?re sie doch l?ngst wieder gesund.

Es sei denn … es w?re etwas Ernsteres. Hm. Kann das sein? Ist Caro vielleichtrichtig krank? Nicht nur ein bisschen? Verstohlen betrachte ich sie von dem Platz neben dem Sessel, auf den ich mich gelegt habe. Aus diesem Blickwinkel sieht sie eigentlich ganz normal aus. Ein bisschen blass, aber sonst ganz die Alte. Ich robbe ein St?ck vor und lege mich auf Caros

F?sse. Was auch immer sie haben mag, K?rperkontakt ist immer gut.

Sie beugt sich zu mir herunter und krault mich zwischen den?hrchen. Sehr gut, zumindest die alten Reflexe scheinen noch zu funktionieren!

»Herkules, mein S?sser, vielleicht sollte ich mich einfach zu Hause hinlegen und dich als W?rmflasche gleich neben mich packen. Von mir aus auch auf Marcs heiliges Sofa. In meinem Zustand darf ich das doch wohl.«

Oh, oh – einerseits eine verlockende Vorstellung, andererseits – was meint sie bloss mitZustand? Klingt nicht gut. Daniel zieht sich einen der Werkbankschemel neben ihren Sessel und setzt sich.

»Habt ihr es Luisa eigentlich schon gesagt?«

Klingt gar nicht gut.

Carolin sch?ttelt nur den Kopf.

»Meinst du, sie ahnt schon etwas?«

»Ich hoffe nicht, ich will ja nicht, dass sie sich unn?tig Sorgen macht. Wir wollten erst mal abwarten, wie es sich entwickelt.«

Schluck! Klingt?berhaupt rein gar nicht auf keinen Fall gut!

»Wann wollt ihr es Luisa denn sagen? Viel Zeit habt ihr ja nicht mehr.«

O MEIN GOTT! Viel Zeit ist nicht mehr! Ich bin schockiert – was mache ich mir denn hier ?bers Gassigehen Gedanken? Carolin ist offenbar schwer krank. Sehr schwer krank.

»Na, wir dachten, an Weihnachten. Seitdem Luisa bei Marc wohnt, feiert sie Weihnachten eigentlich immer bei ihrer Mutter Sabine in M?nchen. Aber Sabine war einverstanden, dass Luisa diesmal Heiligabend noch bei uns verbringt. Ist ja schliesslich das letzte Weihnachten in dieser Besetzung.«

Das letzte Weihnachten? Ich bekomme Ohrenrauschen und Atemnot, der Raum beginnt sich zu drehen. Carolin wird sterben. Ich werde mein geliebtes Frauchen verlieren! Ich werde eine einsame Dackelwaise sein, verlassen von der Welt, ich werde …

»Herkules, was ist denn auf einmal mit dir los?« Carolin hebt mich auf ihren Schoss und streichelt mich z?rtlich. »Du zitterst ja pl?tzlich am ganzen Leib. Ist dir kalt? Oder bist du schon so geschw?cht vor Hunger?«

Carolin, du g?tigster Mensch auf der Welt – selbst im Angesicht deines eigenen Todes denkst du noch an deinen treuen, kleinen Freund Herkules. Am liebsten w?rde ich jetzt weinen – eine F?higkeit, um die ich die Menschen schon oft beneidet habe –, aber so bleibt mir nur ein schwaches Winseln.

Daniel steht von seinem Schemel auf.

»Richtig, das Fressen f?r Herkules. Das haben wir ja ganz vergessen. Ich schau mal, ob man die Dose noch nehmen kann, sonst mache ich ihm eine neue auf.«

Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass ich jetzt etwas fressen kann? Mir ist nat?rlich ob dieser grausamen Nachricht v?llig der Appetit vergangen. Daniel verschwindet in Richtung K?che. Wie abgebr?ht die beiden sind – sie m?ssen die furchtbare Wahrheit schon lange kennen. Wahrscheinlich ist Daniel auch deswegen zu Carolin zur?ckgekommen: Er will seine alte Freundin auf ihrem letzten, schweren Weg begleiten. Wahre Freunde. Ob Herr Beck das auch f?r mich tun w?rde? Wobei – eigentlich stellt sich die Frage eher umgekehrt. Herr Beck ist ja schon ganz sch?n betagt, w?hrend ich mit meinen drei Jahren noch fast ein junger H?pfer bin. Also werde ich Herrn Becks Tatze halten, wenn es irgendwann mit ihm zu Ende geht?

In diesem Moment h?lt mir Daniel einen bis zum Rand gef?llten Fressnapf direkt vor die Nase.

»Na, mein Freund – wie sieht das f?r dich aus? Lecker, oder?«

Pah, st?re meine Trauer nicht! Wobei – es riecht schon ziemlich gut. Und durch Hunger geschw?cht bin ich nat?rlich auch keine Hilfe f?r Carolin. Was sie jetzt braucht, ist ein ganzer Kerl. Von mir aus auch dank Chappi. Ich h?pfe von ihrem Schoss, Daniel stellt das Sch?lchen auf den Boden. Hastig schlinge ich los, immerhin ist meine letzte Mahlzeit schon eine ganze Zeit her. Hinzu kommt, dass Marc dem Di?twahn anheimgefallen ist. Leider nicht bei sich selbst, das w?re mir egal. Aber nein – er findet tats?chlich, dass ich zu viel angesetzt habe. Zum einen eine Frechheit. Und zum anderenist eine leichte Gewichtszunahme jahreszeitlich v?llig angemessen. Es ist schliesslich kalt draussen, und ich habe beobachtet, dass auch die Menschen momentan einen gesteigerten Appetit zu haben scheinen. Vor allem auf S?ssigkeiten. Die sind zwar f?r mich streng verboten, aber Luisa hat mir heimlich schon den ein oder anderen Schokoweihnachtsmann zugesteckt. Braves M?dchen.

»Sag mal, wo feierst du eigentlich Weihnachten?«, will Carolin von Daniel wissen.

»Ich weiss noch nicht so genau. Aurora hat mich gefragt, ob ich nicht doch mit ihr nach New York kommen will. Aber das halte ich f?r keine so gute Idee. Ich glaube, ein bisschen Abstand tut uns beiden nach dem ganzen Desaster erst einmal gut. Ausserdem hat sie bei Konzertreisen erfahrungsgem?ss sowieso wenig Zeit, und ich s?sse nur allein im Hotel.«

»Hm.« Mehr sagt Caro dazu nicht, was schade ist, denn die Kombination ausAurora undDesaster klingt selbst in meinen Dackelohren interessant. Gut, nat?rlich ist Daniel

gekommen, um Carolin beizustehen, so viel steht fest. Aber offenbar gibt es Zoff mit Aurora, derStargeigerin. Das ist nat?rlich grossartig, denn es erh?ht nach meiner Kenntnis von menschlichen Beziehungen die Wahrscheinlichkeit, dass Daniel wirklich f?r immer hierbleibt, erheblich.

»Ach, ich glaube, ich besuche einfach meine Eltern in L?beck. Die w?rden sich freuen, mich zu sehen.«

»Du kannst nat?rlich auch mit uns feiern. Marc und Luisa h?tten bestimmt nichts dagegen.«

»Danke, das ist ein liebes Angebot. Aber du hast es ja schon selbst gesagt – dieses Weihnachten ist in gewisser Weise besonders f?r euch. Da m?chte ich nicht st?ren.«

»Du st?rst ?berhaupt nicht.«

»Nee, danke, lass mal. Ich fahre nach L?beck und lasse mich von meiner Mutter m?sten.«

Carolin rappelt sich aus ihrem Sessel hoch.

»Tja, vielleicht hast du Recht. Ich bin auch schon sehr gespannt, wie Luisa reagieren wird.« Na, wie wohl? Entsetzt! »Ich meine, ich bin nicht ihre Mutter, aber trotzdem …« Also, da fallen mir doch so langsam die Schwanzhaare aus – f?r wie herzlos h?lt sie das Kind?

»Ja, ihr m?sst sie gut darauf vorbereiten«, pflichtet ihr Daniel bei, »f?r die Kleine wird sich eine Menge ?ndern, und die Familie, die ihr jetzt seid, wird es so nicht mehr geben.«

Vielen Dank, Daniel. Jetzt hast du es geschafft. Mein Appetit ist mir endg?ltig vergangen. Ich lasse den Napf stehen und beschliesse, die traurigen Nachrichten mit jemandem zu teilen, der zur Abwechslung mal mich tr?sten kann.