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»Gn?dige Frau, ich kann Ihnen versichern, dass ich ihm nicht weh tue. Im Gegenteil, mein kleiner Freund hier hat mich gerade in die Hand gebissen.«

»Na und? Kein Wunder, bei dem Stress, dem Sie das Tier hier aussetzen. Sie haben ja von Hunden offenbar gar keine Ahnung. Schlimm, solche Menschen wie Sie, die sich ohne Sachverstand ein Tier anschaffen.« Die Frau ist so aufgeregt, dass sie beim Sprechen richtig schnauft.

»Also, erstens geh?rt mir der Hund nicht. Und zweitens bin ich Tierarzt, ich kenne mich also sehr wohl mit Vierbeinern aus. Und ich sage Ihnen – dieses Exemplar leidet nicht, es ist einfach stur. Typisch Dackel.«

Jetzt schnappt die Dame regelrecht nach Luft.

»Sie wollen Tierarzt sein? Das glauben Sie doch wohl selbst nicht! Kein Fachmann w?rde einem Tier so etwas antun.«

Marc lacht, und zwar ziemlich gepresst.

»Tja, glauben Sie es, oder lassen Sie es bleiben, davon h?ngt mein Seelenheil nun wirklich nicht ab. Schlimmer als unf?hige Tier?rzte sind meiner Meinung nach ?brigens Leute wie Sie. Vermeintliche Tierfreunde, die mit ihrer ?bertriebenen F?rsorge allen auf den Senkel gehen. Die Tiere eingeschlossen.«

»Was f?r eine Unversch?mtheit! Sie haben dem Tier weh getan, eindeutig!«

»Ach was! Herkules ist ein echtes Raubein, der kann so einiges ab. Eben ein echter Dackel! Und jetzt k?mmern Sie sich gef?lligst um Ihren eigenen Kram, Sie alte Schachtel. Ich jedenfalls habe zu tun.« Oh, oh – ich bin zwar kein Experte, was die menschliche Etikette anbelangt, aber mir scheint, dass Marc sich hier nicht als Kavalier zeigt. Eher ziemlich unh?flich. Der Stress in diesem vollgestopften Haus scheint ihm gar nicht zu bekommen.

»Was f?llt Ihnen ein!«, erbost sich die alte Frau auch prompt. »Ich werde die Gesch?ftsleitung informieren.«

Gesch?ftsleitung? Ich verstehe nicht, wovon sie redet, aber langsam wird mir ihre Solidarit?t und Anteilnahme etwas unangenehm. Zumal die Erw?hnung des Wortes »Gesch?ftsleitung« vermutlich nichts Gutes verheisst.

»Bitte, tun Sie, was Sie nicht lassen k?nnen. Ich setze jetzt meinen Einkauf fort. Es hat schliesslich nicht jeder so viel Zeit wie Sie als Rentnerin.« Spricht’s, beugt sich zu mir, nimmt

mich auf den Arm und dreht sich zum Gehen. Dabei streift er die Frau an der Schulter, ihre Handtasche f?llt zu Boden. Normalerweise w?rde Marc sich jetzt b?cken und sie aufheben, aber diesmal geht er einfach weiter.

Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, dass die Frau noch etwas rufen will, aber dann sind wir schon weg. Und zwar wieder in die Richtung, in der sich die geheimnisvollen Tische befinden. Inmitten der Traube von Kindern steht ein Mann, Marc steuert direkt auf ihn zu.

»Entschuldigen Sie, ich brauche fachkundige Hilfe. Ich suche ein Spiel namens Wii. Sagt Ihnen das etwas?«, will Marc von dem Mann wissen. Der nickt.

»Klar. Ist ein echter Verkaufsschlager dieses Jahr. Mit wie vielen Spielern wollen Sie es denn spielen?«

»Zu dritt. Oder nein – perspektivisch eher zu viert. Also, sehr perspektivisch zwar, aber immerhin.« Marc l?chelt, das kann ich deutlich sehen. Und ich w?rde jetzt auch l?cheln, wenn ich k?nnte. Denn egal, was perspektivisch bedeutet – offensichtlich bin ich wieder wohlgelitten und werde schon als Spielpartner eingeplant. Na gut, wenn man mir die Hand zur Vers?hnung hinstreckt, will ich mal nicht so sein. Als Zeichen der grossen, unverbr?chlichen Freundschaft zwischen Dackel und Mann lecke ich Marc ?ber das Gesicht.

»Herkules, h?r auf mit dem Quatsch! Du nervst heute richtig!« Marc setzt mich sehr abrupt wieder auf den Boden.

Hey, Friede! Was soll das denn? Ich dachte, der wollte sich wieder mit mir vertragen! Wenn ich nicht w?sste, dass Marc im Grunde genommen ein netter Kerl ist, w?re ich nun mehr als vergr?tzt. Zu seinen Gunsten nehme ich an, dass es nat?rlich auch die Sorge um Carolin ist, die ihn so eklig werden l?sst. Vermutlich kann er seine wahren Gef?hle nicht zeigen und reagiert deswegen hilflos-aggressiv. Genau. So wird es

sein. Bei diesem Gedanken bin ich ein bisschen stolz auf mich, zeigt es doch, wie sehr ich mittlerweile zum Menschenkenner geworden bin. Allerdings habe ich mir auch schon zahllose Gespr?che zu diesem Thema zwischen Carolin und ihrer Freundin Nina anh?ren m?ssen.Warum k?nnen M?nner ihre Gef?hle nicht zeigen? ist ein absoluter Dauerbrenner bei ihren Frauengespr?chen. Zu Recht, wie sich jetzt zeigt.

»Da, das ist der Mann!« Eine schrille Stimme unterbricht meine zweifelsohne wichtigen Gedanken ?ber mein Verh?ltnis zu M?nnern im Allgemeinen und Marc im Besonderen. Die ?ltere Dame, die eben zu meiner Hilfe eilen wollte, ist uns gefolgt. Und zwar nicht allein, zur Verst?rkung hat sie einen finster und entschlossen dreinblickenden Mann mitgebracht. Jedenfalls deute ich seinen Gesichtsausdruck, soweit ich ihn von hier unten erkennen kann, so. Er ist eben nicht … freundlich. Das beunruhigt mich allerdings gar nicht, denn er ist ein kleines, d?rres M?nnlein. Mit dem w?rde selbst einHund meiner Gr?sse spielend fertigwerden.

»Bleckede mein Name. Ich bin hier der Abteilungsleiter. D?rfte ich Sie in mein B?ro bitten?« Ganz offensichtlich ist Marc damit gemeint. Der scheint die Situation fast lustig zu finden, jedenfalls verzieht er seinen Mund zu einer Art Grinsen. Kein Wunder, vor so einem M?nnlein hat er nat?rlich keine Angst.

»Warum? Wie Sie sehen, bin ich gerade damit besch?ftigt, den Umsatz Ihres Hauses zu mehren, und mein Zeitbudget ist heute sehr beschr?nkt.«

»Es tut mir leid, Herr … ?h …«

»Wagner. Marc Wagner.«

»?h, Herr Wagner, aber diese Kundin hat sich ?ber Sie beschwert, und ich w?rde ?ber den Vorfall gerne etwas abseits dieses Trubels sprechen.«

»Ja? Ich nicht. Ich bin mir im ?brigen auch keiner Schuld bewusst und habe nichts zu verbergen, also nur heraus damit.«

Marc schiebt sein Kinn etwas nach vorne, was ihn f?r menschliche Verh?ltnisse sehr angriffslustig aussehen l?sst. Hoffentlich kommt Luisa nicht gleich zur?ck und findet ihren Vater in einen Kampf mit diesem Bleckede verstrickt. Andererseits – Marc ist locker zwei K?pfe gr?sser, das sollte f?r ihn kein Problem sein. Dabei f?llt mir auf, dass ich Menschen noch nie miteinander habe k?mpfen sehen. Eigentlich seltsam. Mit Worten streiten sie sich h?ufiger mal, selbst wenn sie Paare bilden wie Carolin und Marc. Aber so ein richtig ehrlicher Kampf, Mann gegen Mann oder meinetwegen auch Frau gegen Frau? Fehlanzeige. Da ist an jedem normalen Tag auf der Hundewiese an der Alster mehr los als hier, obwohl hier gerade so viele Menschen rumlaufen und die Stimmung so angespannt ist. Selbst in Standardsituationen habe ich das bisher nicht beobachtet. Also, als beispielsweise Carolin und Marcs Exfrau Sabine aufeinandertrafen, da h?tte man doch zumindest mal ein wenig Haareziehen erwarten k?nnen, oder? Aber nichts von alledem. Fast ein bisschen schade. Die Art allerdings, wie Marc jetzt guckt, verheisst zumindest den Hauch einer Chance auf eine Keilerei. Ah – und jetzt plustert sich auch Bleckede merklich auf. Sehr gut!

»Herr Wagner, ich muss Ihnen wirklich sagen …«

»Doktor Wagner,?brigens. So viel Zeit muss sein.«

»Meinetwegen, HerrDoktor Wagner. Unsere Kundin, Frau Goldberg, hat Sie dabei beobachtet, wie Sie diesen kleinen Hund geschlagen haben. Als sie Sie darauf ansprach, sind Sie ihr gegen?ber beleidigend und handgreiflich geworden. Ausserdem haben Sie zugegeben, dass der Hund gar nicht Ihnen geh?rt.«

»Bitte? Ich soll die Frau beleidigt haben? Und handgreiflich

geworden sein? Das ist doch Humbug! Den Hund habe ich nat?rlich auch nicht geschlagen, ich bin mir sicher, dass Frau Goldmann ein Opfer ihrer schlechten Augen oder ihrer lebhaften Phantasie wurde.«

Jetzt mischt sich die Frau ein.

»So eine Frechheit! Ich bin doch nicht blind! Und eingebildet habe ich mir das auch nicht – UND ausserdem heisse ich Goldberg, nicht Goldmann!«

»Von mir aus, dann eben Goldberg. Deswegen habe ich Herkules trotzdem nicht geschlagen. Ich bin doch kein Tierqu?ler.«

»Frau Goldberg sagt, Sie h?tten sie beschimpft. Und ihr einen Schlag versetzt.«