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»Quatsch. Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass ich sehr in Eile sei und vermutlich nicht so viel Zeit h?tte wie Frau Goldmann als Rentnerin.«

»Goldberg! Ich heisse Goldberg!«

»Aha. Sie geben also zu, dass Sie Frau Goldberg beschimpft haben?«, versucht Bleckede, das Gespr?ch wieder an sich zu reissen.

»Gar nichts gebe ich zu. Rentner ist keine Beleidigung, sondern eine Tatsache. Oder will Frau Goldmann etwa behaupten, dass sie die siebzig noch nicht gesehen hat?«

Die Goldberg schnappt wieder h?rbar nach Luft.

»Sehen Sie? Es geht schon wieder los!«

»Herr Dr. Wagner, bitte kommen Sie mit in mein B?ro!«

»Ich denke gar nicht daran.«

»Nun seien Sie doch vern?nftig!«

»Das ist ein freies Land. Sie k?nnen mir gar nichts, Sie Zwerg!«

VIER

Du hast was? Ein Hausverbot bei Karstadt?«

»Na ja, Hausverbot ist vielleicht ein bisschen ?bertrieben. Sagen wir mal so: Ich konnte meinen Einkauf dort nicht wie geplant fortsetzen.«

Wie wahr. Denn Bleckede war zwar in der Tat ein Zwerg. Aber er konnte trotzdem was. N?mlich zwei weitere Herren hinzubitten und uns dann den Weg zur T?r zeigen.Sehr unangenehm,sehr unangenehm. Soweit ich das vom Boden aus beurteilen konnte, haben alle anderen Menschen auf dem Weg zur T?r ziemlich geguckt. Gott sei Dank unterhielt sich Luisa direkt vor dem Kaufhausdings mit dem dicken falschen Weihnachtsmann und ging uns bei der ganzen Aktion nicht verloren. Ich h?tte nicht Carolins Gesicht sehen m?gen, wenn wir nicht nur ohne Geschenk, sondern auch ohne Luisa wieder aufgekreuzt w?ren.

Auch so ist Carolin nicht sonderlich begeistert vom Verlauf unserer kleinen Einkaufstour. Interessanterweise scheinen es Menschenweibchen nicht sehr zu sch?tzen, wenn die M?nner aneinandergeraten. W?hrend die durchschnittliche Dackeldame von einem ehrlichen Kampf R?de gegen R?de durchaus angetan und einem Rendezvous mit dem daraus hervorgehenden Sieger bestimmt nicht abgeneigt ist, kommt bei Carolin schon die Schilderung von Marcs kleinem Wortgefecht mit Bleckede ?berhaupt nicht gut an. Dabei haben sich die beiden nicht mal gehauen. Oder w?re das besser gewesen? Andererseits

– man kann nicht wirklich sagen, dass Marc als Sieger vom Platz gegangen ist. Vielleicht ganz gut, dass es bei ein bisschen Rumgeschrei geblieben ist.

Die Stimmung im Hause Wagner-Neumann ist jedenfalls richtig schlecht. Man kann die Anspannung fast mit Pfoten greifen. Ob das auch irgendetwas mit dem Weihnachtsmann zu tun hat? Marc ist sonst nicht aufbrausend, ich habe jedenfalls noch nie erlebt, dass er sich quasi aus dem Nichts heraus so mit anderen Menschen gestritten hat wie mit Zwerg Bleckede. Was hat diese Frau Winkelmann noch gesagt? Das Fest der Liebe? Das passt alles irgendwie nicht zusammen. Oder es ist Carolins schwere Krankheit, die Marc verzweifeln l?sst.

Marc und Carolin schweigen sich derweil ein bisschen an, von Vers?hnung keine Spur. Ich beschliesse, meinen Zweitlieblingsplatzvor dem Sofa aufzugeben und mich zu verziehen. Luisa scheint es?hnlich zu gehen, die ist bereits in ihr Kinderzimmer abgetaucht. Am besten leiste ich ihr ein wenig Gesellschaft, geteiltes Leid ist halbes Leid. Mit der Vorderpfote kratze ich an der Zimmert?r, sofort macht Luisa auf.

»Na, S?sser? Doof, wenn die sich streiten, oder? Komm rein, ich kraul dich ein bisschen.«

Das muss sie mir nicht zweimal sagen! Kaum, dass sich Luisa auf ihr Bett gesetzt hat, h?pfe ich mit einem Satz auf ihren Schoss und drehe mich dann auf den R?cken. Zirkusreif, m?chte ich meinen, denn so ein Satz ist mit meinen kurzen Beinen gar nicht so leicht. Sie sind zwar ein klein wenig l?nger als bei reinrassigen Dackeln, aber immer noch ziemlich kurz – kein Vergleich etwa zu Cheries Beinen. Cherie ist eine Golden-Retriever-Dame mit unglaublich schlanken Fesseln und ausserdem die sch?nste H?ndin, die ich jemals gesehen habe. Aber das ist eine andere Geschichte. Mit dem Weihnachtsmann hat sie jedenfalls nichts zu tun.

Luisa krault mich unter dem Kinn und am Bauch, ich zucke vor Vergn?gen mit den Pfoten. Herrlich, am liebsten w?rde ich schnurren, aber ich habe bis heute nicht herausgefunden, wie Beck das immer hinkriegt. Also schlecke ich einmal kr?ftig um meine Schnauze, in der Hoffnung, Luisas Finger zu erwischen. Das klappt und Luisa kichert.

»Mach dir keine Sorgen um Papa und Carolin, die vertragen sich schon wieder.« Redet Luisa jetzt mit sich selbst oder mit mir? Ich f?hle mich thematisch nat?rlich sofort angesprochen, denn genau dar?ber mache ich mir gerade Gedanken. Herr Beck vertritt allerdings die These, dass Menschen im Grunde genommen immer Selbstgespr?che f?hren, wenn sie mit Tieren reden. Nur, dass sie sich dabei besser f?hlen, weil es schon etwas komisch ist, wenn so gar niemand zuh?rt. Will sich Luisa also nur selbst tr?sten? Ich versuche, in ihr Gesicht zu schauen. Weil Menschen ihre Haare nicht im Gesicht,sondern nur dar?ber tragen, kann man aus ihrer Mimik immer eine ganze Menge ?ber ihren Seelenzustand ableiten. Hochgezogene Mundwinkel bedeuten gute Laune, heruntergezogene schlechte. Kommen dann noch Tr?nen dazu, wird es ganz finster. Ich bin vielleicht noch kein solcher Experte wie Herr Beck, aber zu einer gewissen Kennerschaft bei der Beurteilung von menschlichen Gem?tszust?nden habe ich es mittlerweile auch schon gebracht.

Ich betrachte Luisas Gesicht – nein, traurig sieht sie nicht aus. Eher ganz zufrieden mit sich und der Welt. Also redet sie wirklich mit mir. Toll, offensichtlich geht die Kennerschaft inzwischen auch in die andere Richtung, und Luisa kann sich ganz gut in meine Gedankenwelt einfinden. Um ihr zu signalisieren, dass sie aufdem richtigen Weg ist, wedele ich mit dem Schwanz. Auf dem R?cken liegend ist das gar nicht so einfach, und ich fange dabei auch ganz sch?n zu rudern

an, um nicht von Luisas Schoss zu fallen. Bevor aber noch ein Ungl?ck passiert, ist die Botschaft angekommen. Luisa nimmt mich in ihre Arme und fl?stert mir ins Ohr.

»Herkules, so ist das an Weihnachten. Alles soll sch?n sein, und das ist manchmal ganz sch?n anstrengend.«

Das scheint mir auch so – die entscheidende Frage ist nur: warum? Und was ich nach wie vor nicht verstehe: Ich habe doch schon zweimal Weihnachten mit Marc und Carolin gefeiert, und da wurde im Vorfeld nicht einmal halb so viel Gewese betrieben wie jetzt. Und nur, weil Luisa dieses Mal dabei ist und vielleicht der Weihnachtmann kommt, diese ganze Aufregung? Was ist bloss mit meinen Menschen los? Sind die alle verr?ckt geworden? Wenn sich selbst der sonst so entspannte Marc in diesem Kaufhausdings schon fast eine Schl?gerei liefert? Offenbar wirke ich f?r Dackelverh?ltnisse und trotz der vielen Haare um meineSchnauze herum extrem skeptisch, denn Luisa legt noch mal nach.

»Weisst du, ich glaube, Papa hat Angst, dass ich Weihnachten hier nicht sch?n finde. Die letzten beiden Jahre habe ich immer mit der Mama gefeiert. Und weil sich Papa und Mama ja nicht so gut verstehen, bef?rchtet Papa vielleicht, dass ich dann Heimweh bekomme und wieder nach M?nchen will. Verstehst du?«

M?nchen? Ich knurre ein bisschen, was mir gerade bei dem Gedanken an Marcs Exfrau besonders leichtf?llt. Sabine, diese falsche Schlange, hatte im vorletzten Sommer doch tats?chlich versucht, Marc meiner Carolin wieder abspenstig zu machen. So sch?n kann Weihnachten mit dieser furchtbaren Frau beim besten Willen nicht sein!

»Keine Sorge, Herkules«, interpretiert Luisa mein Knurren richtig, »ich freue mich, dass ich dieses Jahr hier bin. Auch wenn das mit dem Weihnachtsmann nicht klappt.«

Weihnachtsmann? Ich strample mich frei, springe von Luisas Arm, hocke mich direkt vor ihre F?sse und mustere sie interessiert. Jetzt wird es spannend! Was weiss Luisa ?ber den Weihnachtsmann?

»Es ist n?mlich so, Herkules: Ich glaube gar nicht mehr an den Weihnachtsmann. Schon seit letztem Jahr nicht mehr. Da war ich doch zur Klassenfahrt im Schullandheim, und Paulis Klasse war auch da, und abends haben wir Flaschendrehen gespielt. Und weil ich verloren habe, musste ich ein Geheimnis verraten. Da habe ich erz?hlt, dass ich weiss, wo der Weihnachtsmann wohnt. Weil ich n?mlich in M?nchen gesehen habe, dass unser Nachbar den Weihnachtsmannanzug an seiner Garderobe h?ngen hatte und dann sp?ter mit Rauschebart und einem grossen Sack ?ber den Flur gehuscht ist. Als ich das erz?hlt habe, haben sich alle totgelacht. Am meisten Pauli. Dabei finde ich den so toll! Na, und dann haben mir alle erz?hlt, dass es den Weihnachtmann gar nicht gibt. Alle waren sich einig, dass sich die Erwachsenen das nur ausdenken, damit wir Kinder brav sind, und dass unser Nachbar keinesfalls der echte Weihnachtsmann war. Pauli konnte gar nicht mehr aufh?ren zu lachen. Richtig ?tzend war das. Tja, seitdem weiss ich das. Und letzte Woche habe ich geh?rt, wie Papa Carolin erz?hlt hat, dass er wahrscheinlich niemanden mehr aufgetrieben kriegt, der bei uns zu Weihnachten den Weihnachtsmann spielt. Es stimmt also.«