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DREIUNDZWANZIG

Es ist nicht die Polizei. Im Grunde genommen nicht mal ansatzweise. Als ich mit Kalli nach vorne laufe, bin ich fast ein bisschen enttäuscht. Das Pärchen, das neben der Schweinewiese steht, sieht ganz normal aus. Fast so wie Daggi und Karl-Heinz, eben ältere Leute, gekleidet für die Arbeit im Stall oder auf dem Feld. Praktisch würde Hedwig das nennen.

Die beiden wirken erleichtert, als sie Karl-Heinz sehen. Kein Wunder, bieten die Schweine auf der Wiese daneben doch einen sehr ungewöhnlichen und ein wenig bedrohlichen Anblick: Sie laufen wild durcheinander, grunzen und quieken laut, immer wieder schmeißt sich eines zu Boden, um Sekunden später wieder aufzuspringen. Virginia ist dabei eindeutig am wildesten.

»Grüß dich, Kalli! Was ist denn mit deinen Schweinen los?«, will der Mann wissen.

Kalli kratzt sich am Kopf.

»Tja. Wenn ich das wüsste – so habe ich die auch noch nie erlebt. Die sind so laut, die habe ich sogar in der Stube gehört. Seltsam.«

Eine Weile betrachten die drei schweigend die Schweine. Die Show ist auch wirklich toll, ich frage mich nur, warum Virginia und ihre Kollegen sie veranstalten. Ich hatte ihr doch genau erklärt, wann sie Laut geben sollte. Wenn etwas Ungewöhnliches passiert. Unser Besuch sieht allerdings – wie schon erwähnt – völlig normal aus. Da hat mich Virginia wohl nicht richtig verstanden. Offenbar sind Schweine doch nicht schlau. Fast hätte mich Virginia vom Gegenteil überzeugt, aber jetzt stimmt mein Weltbild wieder.

»Sach ma, Jürgen, gibt’s was Bestimmtes, oder warum schaut ihr vorbei?«

»Äh, stimmt, was wollte ich gleich? Tut mir leid, die Schweine machen mich ganz nervös. Bärbel, sach mal, was war das gleich?«

Die Frau macht einen entschlossenen Schritt auf Karl-Heinz zu.

»Du hast doch gestern diesen fremden Wagen abgeschleppt, nech? Hamburger Kennzeichen.«

Karl-Heinz sieht sie erstaunt an.

»Ja, woher weißt du das?«

»Na, ich habe zufälligerweise gerade aus dem Küchenfenster geguckt, als ihr bei uns längs kamt. Und gestern Abend kam doch diese Meldung im Radio …«

Oh, oh, mir schwant Böses! Virginia hat doch Recht. Ich werde nie wieder etwas Abschätziges über Schweine sagen, in Wirklichkeit sind sie superschlau! Ich renne zur Wiese.

»Los, Virginia, gib noch mal alles, sonst sind wir gleich geliefert!«

Wie auf ein geheimes Kommando drehen die Schweine noch einmal richtig auf. Vor allem Virginias Vorstellung ist großartig – sie rennt direkt auf Karl-Heinz, Bärbel und Jürgen zu, stoppt kurz vor dem Zaun und torkelt dann von links nach rechts. Dabei schwankt sie so stark, dass sie fast umfällt.

»… also, im Radio war doch …« Bärbel muss nun schreien, um die Schweine zu übertönen. Jürgen unterbricht sie.

»Scheiße, das sieht aus wie Schweinepest! Guckt doch mal, dieser schwankende Gang in der Hinterhand, ganz typisch! Und auch die anderen – die haben ja regelrechte Anfälle!«

Karl-Heinz wird auf einen Schlag kreidebleich.

»O mein Gott – hoffentlich nicht die Schweinepest! Ich muss sofort den Veterinär anrufen. Jürgen, Bärbel, tut mir leid, erzählt es mir ein anderes Mal.«

Jürgen nickt.

»Klar, wir fahren sofort. Und ruf mich an, wenn du Genaueres weißt. Scheiße, ich hoffe, es ist etwas anderes. Wir sind der Nachbarhof, da wären wir ja auch im Sperrbezirk. Los, Bärbel, ab nach Hause.«

Bärbel hat es offenbar die Sprache verschlagen. Stumm trabt sie hinter ihrem Mann her, der schon auf dem Absatz kehrtgemacht hat, als sei er dem Leibhaftigen begegnet. Schweinepest klingt zwar wirklich nicht wie etwas, was man unbedingt selbst haben will, aber dass nun alle so panisch reagieren, wundert mich. Egal, mir soll es recht sein. Die sind wir erst mal los.

Karl-Heinz macht sich auf den Rückweg Richtung Bauernhaus, ich laufe hinterher. Noch bevor wir am Haus angelangt sind, kommen uns Daggi, Willi und Luisa allerdings schon entgegen.

»Kalli, was ist los mit dir? Ist was passiert?« Auch Daggi ist gleich aufgefallen, dass ihr Mann völlig verstört wirkt.

»Die Jungsauen!«, ruft er mit brüchiger Stimme. »Schweinepest, vielleicht haben wir die Schweinepest!«

Daggi schnappt nach Luft.

»O Gott, wie kommst du darauf?«

»Die Sauen zittern und torkeln, haben richtige Anfälle. Das musst du dir mal ansehen – ganz schlimm!«

»Was ist denn Schweinepest?«, will Luisa wissen.

»Das ist eine Krankheit, an der Schweine immer sterben«, erklärt ihr Karl-Heinz mit ernster, ruhiger Stimme. »Und weil die so gefährlich ist, müssen alle Schweine im Stall getötet werden, wenn auch nur ein einziges krank ist. Und die Schweine der Nachbarn auch. Alle Schweine im Sperrbezirk, also drei Kilometer um einen Hof herum, werden gekeult, so nennt man das Töten. Und dreißig Tage lang darf auch kein anderes Tier den Hof verlassen, es sei denn, der Tierarzt erlaubt es. Schweinepest ist ganz, ganz schlimm, deswegen haben alle Bauern so große Angst davor. Ich rufe jetzt den Tierarzt an, damit der gleich vorbeikommt. Und dann bete ich, dass es etwas anderes ist.«

Herr Beck stellt sich neben mich.

»Schweinepest? Was es auf dem Land alles gibt. Ich hoffe, wir kommen hier noch weg, bevor die den ganzen Hof abriegeln.«

»Du, die haben gar keine Schweinepest. Virginia ist völlig gesund. Sie wollte nur verhindern, dass Karl-Heinz und Daggi merken, dass wir gesucht werden. Ich hatte sie darum gebeten.«

Beck maunzt laut auf.

»Dann wollen wir mal hoffen, dass der Schuss nicht nach hinten losgeht und wir die nächsten dreißig Tage auf dem platten Land kaserniert werden.«

Den gleichen Gedanken scheint auch Willi zu haben.

»Heißt das, dass wir Herkules und Herrn Beck nicht mehr mitnehmen können, wenn hier erst mal ein Sperrbezirk eingerichtet sein sollte?«

Bärbel nickt.

»Ja, das stimmt. Das ist natürlich ziemlich übervorsichtig, aber im Zweifel hängt ihr hier fest.«

Herr Beck fixiert mich.

»Na, das war ja mal eine richtig gute Idee von dir! Herzlichen Glückwunsch, Superdackel!«

Luisa fängt an zu weinen.

»Aber ich kann doch nicht ohne meinen Herkules weiterfahren! Das geht nicht! Herkules ist mein bester Freund!«

»Bitte?«, faucht Herr Beck. »Und mich würde das blöde Gör hierlassen? Nach allem, was ich mit ihr durchgemacht habe? So sind Menschen – untreue Tomaten!«

»Echt, jetzt halt dich mal zurück«, brumme ich zurück, »Luisa hatte es in letzter Zeit ganz schön schwer. Außerdem geht es jetzt nicht darum, dein Ego zu pampern, sondern um die Frage, wie wir möglichst alle ganz schnell nach München kommen. Also, wenn du dazu eine Idee hast, schieß los, ansonsten halt die Klappe.« Jawoll. Wuff!

»Nun komm«, Daggi legt ihren Arm um Luisa, »uns fällt schon noch etwas ein. Vielleicht haben die Schweine auch gar nichts.«

Karl-Heinz nickt.

»Zumindest scheinen sie sich wieder beruhigt zu haben. Man hört jedenfalls nichts mehr. Lass uns noch mal nach vorne schauen.«

Unser Trupp setzt sich in Bewegung. Vor der Schweinewiese angekommen, bleiben wir alle mit einigem Abstand stehen. Ob die Menschen Angst haben, sich anzustecken?

Karl-Heinz kratzt sich am Kopf.

»Hm. Jetzt sind sie wieder absolut ruhig und bewegen sich auch ganz normal.«

»Hast du sie dir denn schon mal genauer angeguckt?«, will Daggi wissen. »Von hier aus sehen sie völlig gesund aus. Keine Einblutungen, keine zugeschwollenen Augen. Vielleicht haben sie nur im Spiel wild herumgetobt, es sind doch noch sehr junge Schweine.«

»Also, das sah schon sehr seltsam aus. Ich hoffe natürlich auch, dass sie nichts haben. Trotzdem muss ich den Tierarzt rufen, zumindest zur Sicherheit.«

»Aber dann lass mich wenigstens vorher Willi und Luisa nach Nordergellersen bringen. Und zwar mit Hund und Katze. Habt ihr Wechselklamotten dabei?«