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»Die sind in der Tasche. An der Garderobe«, erklärte sie.

»Dann holen Sie sie.«

Die Frau fischte ihre Papiere aus der Tasche. Mich bedachte sie mit einem höchst seltsamen Blick.

Die nächste Minute nahm sich der Obersergeant den Ausweis vor. Dann trat er ans Fenster und inspizierte das Dokument in den letzten Resten des Tageslichts. Schließlich stieß er einen Pfiff aus und schaute mich mit hintergründigem Lächeln an. »Das hier muss die Dritte Bauarbeiterstraße sein, Bürger Maximow.«

Warum zitierte er diese Adresse aus dem Film Ironie des Schicksals, die schon dort für allerlei Verwirrung gesorgt hatte? Warum nannte er mich Bürger? Mir behagte das überhaupt nicht. Mit gutem Grund.

Die Frau hieß Natalja, mit Nachnamen Iwanowa. Sie war einundzwanzig Jahre alt, also fünf Jahre jünger als ich. Und sie war in meiner Wohnung gemeldet. Jetzt saßen wir am Küchentisch, Natalja, der Obersergeant und ich.

Nachdem Dawydow die Ausweise eine Zeitlang geprüft hatte, fragte er: »Und Sie kennen einander nicht?«

Auf diese Frage zu antworten schenkte ich mir. Genauso wie die Frau.

»Wer wohnt hier?«, erkundigte sich der Obersergeant bei den Nachbarn.

»Er!«, rief Galina aus. »Er lebt hier! Schon seit drei Jahren.«

Gab es also doch irgendwas Menschliches in ihr.

»Kirill«, bestätigte auch Pjotr Alexejewitsch. »Daran gibt es nichts zu rütteln. Und die da ... sehe ich zum ersten Mal.«

Der Obersergeant musterte Natalja. »Was versprechen Sie sich denn davon, Bürgerin?«, fragte er in tadelndem Ton. »Urkundenfälschung, Einbruch ...«

»Die Schlussfolgerungen überlassen Sie den Richtern«, zischte die Frau. »Ich wohne hier! Seit drei Jahren, seit ich die Wohnung gekauft habe. Und die da ...« Ihr unbestimmtes Nicken schloss mich ebenso ein wie die beiden Nachbarn. »... sehe ich zum ersten Mal! Das ist eine Bande! Wieso wollen Sie das nicht begreifen?«

Während ich ihr zuhörte, musterte ich die Kacheln. Ein gewöhnlicher Kachelstreifen über dem Herd und der Spüle, zum Schutz. Ich hatte dafür hübsche bordeauxrote Kacheln gewählt, die eigentlich ziemlich viel kosteten, die ich aber verbilligt als Restposten bekommen hatte. Wie viel brauchte man da denn schon? Zwei Quadratmeter vielleicht.

Natalja hatte schlichtere Kacheln. Hellblaue.

Gewiss, an einem Tag konnte man sämtliche Möbel aus einer Wohnung schaffen. Und wenn man es darauf anlegte, wohl auch frisch tapezieren. Aber die alten Kacheln abklopfen und neue legen? Obendrein so penibel?

Oder ließ sich auch das bewerkstelligen?

Ich betrachtete den Fußboden. Linoleum. Nicht das, was bei mir auslag. Anderes.

»Ist das Ihre Wohnung?«, fragte Dawydow. »Wohnen Sie hier?«

»Ich weiß nicht ...«

»Was heißt das - Sie wissen es nicht?« Meine Antwort brachte ihn aus dem Konzept. »Sie müssen doch ...«

»Ich wohne hier. Das sind meine Nachbarn.« Ich nickte in Richtung der Zeugen. »Aber ... hier hat sich alles völlig verändert. Das sind nicht meine Möbel. Das Linoleum, das ich hatte, war ... heller und irgendwie weicher, auf einer Verlegepappe ...«

Natalja schnaubte.

»Die Kacheln an der Wand sind auch anders ...«, schloss ich, obwohl ich spürte, wie meine Chancen, Unterstützung seitens der Miliz zu erhalten, dahinschwanden.

»Die Kacheln?«, hakte der Obersergeant nach. »Die Kacheln sind anders?«

Er trat an die Wand heran und fuhr mit dem Fingernagel über eine Fuge, um dann die Achseln zu zucken. »Du hast doch mal auf dem Bau gearbeitet, oder?«, wandte er sich an einen seiner Kollegen. »Kann man eine Wand innerhalb eines Tages neu kacheln?«

»Theoretisch ist alles möglich«, gab sich der Bulle vage. »Guter Leim, ein schnelltrocknender Fugenkleber ... Aber praktisch ... Nein.«

»Gehen wir ins Bad«, entschied Dawydow.

Im Badezimmer trocknete Unterwäsche. Weibliche. Natalja huschte vorbei, um Höschen und BHs von der Leine zu klauben.

»Ist das Ihr Badezimmer?«, fragte Dawydow. »Sind das Ihre Fliesen?«

Was biss er sich bloß an diesen Fliesen fest? Langsam schwante mir freilich, worauf die Fragerei abzielte. Zwei Quadratmeter Kacheln auszutauschen war eine Sache. Aber das ganze Bad zu renovieren ...

»Es scheint meins zu sein«, meinte ich bedrückt. »Ich habe es so gelassen, wie es war.«

»Gibt es irgendetwas Besonderes? Eine abgeplatzte Stelle an der Wanne? Einen Riss in einer Fliese?«

Mit aller Gewalt versuchte ich mich zu erinnern. Zu gern hätte ich in dieser Wohnung etwas entdeckt, was mir gehörte.

»Auf dem Wasserhahn waren Kratzer, ich habe ihn schon mit diesem Mangel gekauft«, erklärte ich. »Aber das hier ist ein anderer, der ist viel älter.«

»Was heißt hier ein anderer Hahn?«, empörte sich Natalja. »Den habe ich nicht ausgewechselt, das ist der, der hier schon immer drin war!«

Das Funkgerät des Obersergeanten piepte. Er murmelte etwas ins Mikro. Nachdenklich betastete er den Wasserhahn. »Also gut«, stieß er aus. »Wer besitzt Papiere für diese Wohnung?«

»Ich!«, rief Natalja. »Einen Moment ...«

Sie rannte ins Zimmer.

»Ich hatte auch mal welche«, brachte ich hoffnungslos hervor. »In meinem Schreibtisch. Aber der steht nicht mehr in meinem Zimmer, da habe ich schon nachgeguckt. Der ist nicht mehr da, der Schreibtisch, meine ich.«

»Solche Dokumente muss man in einem Schließfach in der Bank aufbewahren«, belehrte mich der Obersergeant ernsten Tones.

Das brachte das Fass zum Überlaufen. »Was faselst du denn da, du Hüter des Gesetzes?«, platzte es aus mir heraus. »Was für ein Schließfach! Für wen hältst du mich denn? Für irgendeinen Neureichen? Mit Schließfach in der Bank? Wo bewahrst du denn deine Papiere auf?«

Er nahm mir das nicht einmal übel - und das jagte mir abermals Angst ein.

»Unter der Matratze ... Beruhigen Sie sich, Kirill Danilowitsch, sonst sagen Sie noch etwas Unbedachtes, und ich muss Sie festnehmen.«

Jetzt kam Natalja zurück. Mit den Unterlagen für die Wohnung, den Belegen für die Miete, Stromquittungen, der Kaufurkunde ...

Ich sagte kein Wort. Der Obersergeant besah sich die Papiere und gab sie Natalja zurück. »Also, meine Damen und Herren«, sagte er, »ich sehe keine Möglichkeit, Ihnen zu helfen. Sie müssen vor Gericht gehen, Kirill Danilowitsch. Wenn die Wohnung wirklich Ihnen gehört ...«

»Das ist doch nicht Ihr Ernst?«, rief ich.

»... dann werden beim Notar, bei den Behörden für den An- und Verkauf von Wohnraum und wohl auch bei der Direktion für Gebäudenutzung Kopien der Unterlagen vorliegen«, fuhr er mit gerunzelter Stirn fort. »Diese Dokumente auszutauschen« - er stockte -, »dürfte zwar möglich sein, wäre aber derart aufwendig und teuer, dass sich die ganze Angelegenheit kaum lohnen würde. Niemand würde sich wegen einer Einzimmerwohnung in einem Plattenbau am Stadtrand dergleichen aufhalsen!«

Natalja schnaubte - und dies derart triumphierend, dass unmissverständlich klar wurde: Sie hegte an der Existenz ihrer Papiere keine Zweifel. Sowohl bei der genannten Direktion wie auch beim Notar.

»Und Ihnen, Bürgerin Iwanowa, würde ich, wenn Sie hier wohnen, den Rat geben, wenigstens gewisse nachbarschaftliche Beziehungen zu pflegen. Wer kann denn bestätigen, dass Sie hier wohnen? Ihre Freundinnen? Ihre Verwandten?«

»Meine Verwandten wohnen in Pskow und haben mich bisher noch nicht besucht«, parierte Natalja. »Mit meinen Freundinnen gehe ich im Park spazieren oder ins Kino, betrinke mich mit ihnen aber nicht in meiner Wohnung, wie es Männer tun. Und was diese Nachbarn angeht, dieses versoffene Pack ...« Zornig blickte sie die Nachbarn an. »... die will ich gar nicht kennenlernen.«

»Ganz ruhig!« Mit einer Handbewegung stoppte Dawydow den auf Natalja zurollenden Pjotr Alexejewitsch. »Wir haben es hier mit einer komplizierten Situation zu tun, aber am Ende siegt das Recht immer. Verlassen wir jetzt die Wohnung der Bürgerin ...«