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Noch zwei Stunden saßen wir zusammen. Eine dritte Flasche brachen wir Gott sei Dank nicht mehr an. Allerdings waren wir auch gegen Ende der zweiten schon gewaltig angegangen. Die Geschichte mit meiner Wohnung mutierte endgültig zum Abenteuer. Kotja erzählte mir von einem entfernten Verwandten, der durch geschickte Tauschgeschäfte, Scheidungen und mehrmaliges erneutes Zusammenziehen mit der Holden zwei Einzimmerwohnungen an entgegengesetzten Enden Moskaus in eine Vierzimmerwohnung »fast im Zentrum« verwandelt hatte. Aus irgendeinem Grund amüsierten wir uns köstlich über diese Geschichte, lachten lauthals darüber, und selbst als Kotja mir mitteilte, seinen Verwandten habe nach dem übermäßigen Kraftaufwand ein Herzinfarkt ereilt, obendrein habe ihn seine Frau verlassen, weshalb er jetzt wie ein Idiot in einer riesigen Wohnung hocke, krank und mutterseelenallein, dämpfte das unsere Stimmung nicht.

In diesem Zusammenhang wies Kotja darauf hin, das Wichtigste im Leben eines Menschen sei, seiner Vorherbestimmung nachzukommen, darüber habe sogar der große Denker Coelho geschrieben. Offenbar habe die Vorherbestimmung seines Verwandten darin bestanden, diesen grandiosen Tausch durchzuziehen. Im Vergleich zur Verwirklichung seiner ureigenen Bestimmung seien sowohl die eingebüßte Gesundheit wie auch die verlorene Frau Kinkerlitzchen, mit denen das Leben aufwartete.

Schließlich bereitete mir Kotja auf dem Sofa ein Nachtlager und kehrte zu seinem unvollendeten Werk zurück. Ich bettete den Kopf aufs Kissen, erklärte, überhaupt nicht müde zu sein - und schlief bereits im nächsten Augenblick beim gleichmäßigen Klappern der Tastatur ein.

Drei

Ich erwachte früh am Morgen, erstaunlich frisch und munter. Der alte Witz fiel mir ein, dass man mit zwanzig die ganze Nacht trinken und feiern kann und morgens munter ist, dass man mit dreißig die ganze Nacht trinkt und feiert, morgens aufsteht und merkt, dass man getrunken und gefeiert hat, während man mit vierzig nachts schläft und sich am Morgen fühlt, als habe man die ganze Nacht lang getrunken und gefeiert. Da ich noch zwischen zwanzig und dreißig lag, machte mir die bei Kognak durchquatschte Nacht nichts aus.

Immerhin ein Vorteil.

Kotja ratzte noch. Ich duschte, putzte mir unter Zuhilfenahme eines mit Zahnpasta eingeschmierten Fingers die Zähne, durchstöberte den Kühlschrank und machte mir ein paar belegte Brote mit Fleischwurst. Zu warten, bis der Geistesschaffende mit Gleitzeit erwachte, verspürte ich nicht die geringste Lust. Ich wollte handeln. Ich wollte aufbrechen und suchen, wollte finden und nicht klein beigeben. Ich linste ins Schlafzimmer.

Kotja schlief in einem breiten Doppelbett, schutzbedürftig an die Wand geschmiegt. Ich rüttelte ihn bei der Schulter. »Aufgestanden, Graf!«

Brabbelnd schlug Kotja die Augen auf. Verblüfft starrte er mich an.

»Ich gehe jetzt. Die Wahrheit suchen. In den Direktionen für Gebäudenutzung, den Notariaten und bei Anwälten. Mach mal hinter mir die Tür zu.«

»Ah ... Kirja ...« Kotja rieb sich über die Nasenwurzel. »Das macht mich noch ganz kirre ...«

Ich hasse einfallslose Wortspiele! Selbst wenn ich verkatert bin.

»Fährst du zum Tscherkisowski-Markt?«

»Um die Dame unter die Lupe zu nehmen? Ich erinnere mich noch an alles, keine Sorge.« Mit einem Grunzen setzte sich Kotja im Bett auf. »Gut, mach, dass du wegkommst! Ich stehe auch auf.«

»Hast du deinen Text fertig?«, erkundigte ich mich.

»Blöde Frage! Das Mädchen und ihr Hund.« Kotja erhob sich und folgte mir in die Diele. »Mir ist da eine exzellente Geschichte gelungen, die zu Herzen geht ... Ein minderjähriges Mädchen wird vom eigenen Onkel verführt, anschließend vergewaltigen sie nacheinander alle Klassenkameraden, danach arbeitet sie in einem Bordell auf Malta, kehrt irgendwann nach Russland zurück und züchtet fortan Malteser Schäferhunde ... hier findet sie auch ihre Liebe ...«

»Humbug!«, unterbrach ich ihn. »Es gibt keine Malteser Schäferhunde! Es gibt Malteser, aber das sind Schoßhündchen!«

»Du bist der Hundezüchter von uns beiden, du musst das wissen«, meinte Kotja unerschüttert. »Aber ein durchschnittlicher Leser schert sich doch einen Dreck darum, ob es ein Malteser Schoßhündchen oder ein Yorkshireterrier ist ... Und dann der Schlusssatz: ›Menschen können lügen. Ein Hund verrät dich niemals!‹«

»Na, damit ist dir der Booker sicher«, sagte ich, während ich zur Tür hinausging. Dann fiel mir allerdings Cashew ein - und meine Laune sank sofort.

Die nächsten vier Stunden verbrachte ich damit, kreuz und quer durch die Stadt zu fahren. Ich hatte - typisch für die heutigen Moskauer Verhältnisse - ein Privatauto mit einem Kaukasier am Steuer angehalten. Sein fahrbarer Untersatz war robuster als sonst üblich, auch der Mann selbst gefiel mir, weshalb ich ihn ohne zu zögern zu einem Pauschalpreis für vier Stunden anheuerte. Damit begann die Tour durch die Stadt. Zur Direktion für Gebäudenutzung, zum Notar, zur Abteilung zur Registrierung von Wohnraum, kurzum, zu all den Orten, die du nie freiwillig aufsuchst. Immerhin lachte mir heute hier und da das Glück. Ich brauchte kaum irgendwo anzustehen, fast alle Bürokraten »standen gern zu meiner Verfügung«.

Kotja hatte recht gehabt.

Sämtliche Wohnungsunterlagen lauteten auf den Namen Natalja Stepanowna Iwanowa.

Den Aufstand probte ich deshalb nicht. Waren sie auf ihren Namen ausgestellt - na gut, dann waren sie das eben. Es brachte wenig, die Herren Beamten gegen sich aufzubringen. Vielmehr galt es, mir ein lückenloses Bild von der Situation zu machen.

Meine letzte Station war die Telefongesellschaft in Ostankino. Auch das Telefon gehörte der Bürgerin Iwanowa.

Mit einem Mal schoss mir eine unangenehme Vermutung durch den Kopf. Ich bat den Fahrer, zur Filiale der Mobile TeleSystems im Prospekt Mira zu fahren, trat ans Kassenfensterchen heran und nannte meine Nummer.

»Nachname«, fragte das Fräulein mit zungenbrecherischer Schnelligkeit.

»Maximow.«

»Das stimmt nicht«, erklärte die Frau kalt. »Wiederholen Sie die Nummer.«

»Der Nachname ist Iwanowa«, fabulierte ich. »Ich habe ganz vergessen, dass meine Frau den Vertrag abgeschlossen hat ...«

»Mit wie viel soll die Karte denn aufgeladen werden?«

»Mit hundert Rubeln«, sagte ich düster.

Natürlich, man hatte mir auch das Handy genommen. Immerhin schien mir der Verlust nicht allzu gravierend. Ich bräuchte mir nur in einem Shop ein Paket von B+ oder JEANS zu kaufen oder einen neuen Vertrag abzuschließen. Wie hoch war denn mein Guthaben noch gewesen? Höchstens fünfhundert Rubel.

Angst jagte mir etwas anderes ein. Sie hatten an alles gedacht! Nicht die kleinste Kleinigkeit hatten sie übersehen, nicht einmal den Vertrag für das Mobiltelefon!

Sollte ihnen wirklich rein gar nichts entgangen sein?

»Fahren wir in die Poliklinik«, wies ich den Kaukasier an. »Das ist hier ganz in der Nähe ...«

Bei der Poliklinik handelte es sich um eine dieser stinknormalen Sowjeteinrichtungen. Ein altes Gebäude, das ewig instand gesetzt wird, mit schier endlosen Reihen hustender Jugend und lamentierender Greisinnen. Die jungen Leute kamen der Krankschreibungen wegen her, die alten, um sich zu unterhalten. Wer sich hier behandeln ließ, scherte sich nicht sonderlich ums Ergebnis. Mich selbst hatte es nur wenige Male wegen einer zumindest als solcher diagnostizierten Grippe hierher verschlagen.

Meine schmale Akte fand sich nicht. Natürlich existierte eine Akte der Bürgerin Iwanowa, ein dickes, zerfleddertes Ding. Offenbar ließ sie sich mit Vergnügen behandeln ...

Nachdem ich die Klinik verlassen hatte, blieb ich kurz stehen, den Blick auf meinen geduldig wartenden Chauffeur gerichtet. Wo fand ein Obdachloser Unterschlupf? Na gut, so schlecht sah meine Lage nicht aus. Immerhin konnte ich zu meinen Eltern, zu meinen Freunden, zur Arbeit ...