»Aber Cäsar …!«, protestierte der Diener.
»Du kannst dem Präfekten bestellen«, sagte Julian und hob die Stimme, um ihn zum Schweigen zu bringen, »dass er hierbleiben wird. Wenn wir Glück haben, findet er vielleicht heraus, wo unser Nachschub sich gerade befindet. Danach kann er zu uns stoßen, sofern er es wünscht, und den Nachschub gleich mitbringen. Aber bis dahin brauchen wir ihn nicht.«
Er wandte sich ab und schritt davon, während der verblüffte Diener ihm hinterherstarrte. Die Soldaten hoben grinsend die bronzebeschlagenen Truhen und verschnörkelten Kästen vom Wagen und warfen sie auf einen Haufen.
Am nächsten Tag setzten wir uns bei strahlendem kaltem Frühlingswetter in Marsch. Wo wir auf Barbaren stießen, griffen wir sie an. Meistens aber schlüpften sie beim Klang von Schritten davon wie Ringelnattern.
In der Nähe von Tongern kamen Gesandte der Franken zu uns und verlangten den Cäsar zu sprechen.
»Also gut«, sagte Julian. »Hören wir sie an.«
Wir vereinbarten ein Treffen im Stall eines zerstörten Bauernhofes. Nachdem wir lange gewartet hatten, kam der fränkische Gesandte hereinstolziert. Er war groß wie alle Germanen und in dicke Pelze gekleidet, an denen zahlreiche Broschen mit kostbaren Steinen steckten. Seine langen blonden Haare waren zu kunstvollen Knoten verschlungen, die an keltisches Geschmeide erinnerten.
Er blieb vor uns Offizieren stehen und musterte uns – Marcellus und mich, dann Severus, Arintheus, Victor, Valentinian und andere. Wir trugen unsere besten Uniformen, gefiederte Helme, glänzende Brustpanzer und rote Mäntel. Geringschätzig ließ er den Blick über uns schweifen, als wären wir ein Haufen Schindmähren, und gab einen Laut der Verachtung von sich, um sich sodann mit ungezwungenem Schritt, wie ein dicker Mann, der einen Sommerspaziergang durch seinen Lustgarten macht, zu dem Baldachin zu begeben, wo Julian wartend stand. Unsere Zurschaustellung von Stärke, bemerkte der alte Severus später, hatte den Barbaren früher einmal Respekt abgenötigt, doch jetzt war das nicht mehr der Fall. Sie hatten gespürt, dass in dem Panzerhandschuh nur noch eine zitternde Hand steckte.
Vor dem behelfsmäßigen Baldachin hielt er an und blickte sich mit gespielter Verwunderung um, als könne der junge schlanke Soldat vor ihm unmöglich der Cäsar sein. Aber natürlich wusste er genau, wen er vor sich hatte. Endlich ließ er sich in unbeholfenem Latein vernehmen. Was es zu bedeuten habe, dass wir unser Heer so nah an fränkisches Gebiet heranführten, wollte er wissen. Unsere Nähe sei eine Drohung und Herausforderung, erklärte er und verlangte unseren Rückzug.
Das dauerte seine Zeit, denn es war mehr Wortschwall als geordnete Rede, und ab und zu unterbrach er sich, um bei seinen fellbekleideten Begleitern Bemerkungen in fränkischer Sprache anzubringen. Als er endlich geendet hatte und seine breiten Hände in die Seiten stemmte, erwiderte Julian freundlich, er habe Berichte erhalten, dass Räuber aus dieser Gegend römisches Land verwüsteten. Er sei sicher, dass die Leute des Gesandten mit diesen Verbrechern nichts zu tun hätten und sich daher nicht zu fürchten brauchten.
Der Gesandte lachte. Seine Begleiter folgten seinem Beispiel. Dann, so plötzlich wie ein Schwertstreich ein Seil kappt, brach das Lachen ab, und indem er sein breites blondbärtiges Kinn reckte, rief er: »Wir wissen nichts von diesen Räubern! Seit vielen Jahren hat uns kein Römer mehr belästigt. Trachtest du nach Krieg?«
»Wir trachten nach Frieden«, sagte Julian, hielt inne, trat einen Schritt auf den Gesandten zu und sah ihm in die Augen. »Wir wollen Frieden und werden dafür sorgen, dass wir ihn bekommen. Du kannst gehen und das deinem Häuptling ausrichten.«
Er schickte die Gesandten fort, und wir zogen weiter nach Norden und machten hin und wieder Halt, um verlassene Kastelle instand zu setzen. Noch immer kam keine Meldung aus Paris. Eingedenk unserer Rationen schickte Julian Soldaten auf die Jagd, damit sie Schwarz-und Rotwild erlegten. Die Kastelle mussten bemannt und die Besatzungen ernährt werden.
Julian ließ außerdem die Brotrationen kürzen. Die Männer murrten, aber es ging nicht anders. Und hier beging Julian einen Fehler, denn er versprach, den Mangel auszugleichen und unterwegs Getreide zu beschlagnahmen und dass der Nachschub aus Aquitanien schon bald kommen werde – ein waghalsiges Versprechen, das zu erfüllen er nicht in der Hand hatte. Die Männer glaubten ihm, weil er sie noch nie enttäuscht hatte. Aber als sie nach seiner Ansprache wieder auseinandergingen, sah ich lange Gesichter in der Menge. Ich wischte die Beobachtung jedoch achselzuckend beiseite, da ich zu sehr von dem Traum in Anspruch genommen war, den Julian gesponnen hatte.
In der Zwischenzeit rückten wir weiter vor.
Manchmal kam es zu kleinen Scharmützeln, aber meistens weigerten sich die Feinde zu kämpfen. Obgleich ihre Horden furchterregend sind, verfallen die Barbaren rasch in Zankerei untereinander, da ihnen Disziplin und Ordnung fehlen, um sich zu einem bedeutenden Heer zu formieren. So schloss jeder kleine Stamm, der allein auf sich acht gab, einen separaten Frieden mit uns und schwor heilige Eide der Unterwerfung und Treue.
Doch als Julian Getreide verlangte, zeigten sie auf die noch grünen Halme auf den Feldern und behaupteten, sie hätten nichts zu geben.
Die Rationen schwanden, und die Männer wurden unruhig.
Eines Abends saß ich mit Marcellus und seinen Freunden von der Reiterei am Feuer und trank verdünnten Wein. Es war kalt, und der Himmel war voller Sterne. Wir hatten uns über Julians frühere Feldzüge unterhalten, aus der Zeit, bevor Marcellus und ich nach Paris gekommen waren. Jetzt entstand eine Pause. Einer, der Plancus hieß, schüttelte den Kopf und sagte: »Wie schnell die Männer vergessen, was er für sie getan hat.«
»Keineswegs, Plancus«, widersprach Rufus, der neben ihm saß. »Einem anderen wären sie nicht so weit gefolgt – und das ohne Sold.«
»Ohne Sold?«, fragte ich und hob den Blick.
»Hast du das nicht gewusst, Drusus? Seit Straßburg haben sie nichts mehr bekommen. Der Kaiser will die Mittel nicht genehmigen.«
»Aber das können sie doch nicht Julian anlasten«, meinte einer.
»Tun sie auch nicht«, sagte Plancus. »Aber wenn man einen Mann mit leerem Geldbeutel stehen lässt, sollte man wenigstens für einen vollen Bauch sorgen.«
Ein anderer, der gern Witze riss, bemerkte: »Du siehst jedenfalls gut genährt aus, Plancus«, und streichelte ihm den Bauch. »Was ist dein Geheimnis? Hast du ein Barbarenmädchen aufgerissen, das dir jede Nacht Leckerbissen zusteckt? Und was kriegt sie dafür von dir?« Er machte ein neugieriges Gesicht, hob Plancus’ Tunika an, um zu verdeutlichen, was er meinte, und erntete Gelächter.
Plancus stieß ihn weg. »Sehr komisch, Maudio. Aber hör zu. Als ich heute unten bei den Pferden war, hab ich ein übles Gerede vernommen.«
Das Gelächter erstarb. »Was für Gerede?«
»Das Gerede von Meuterern, wenn du mich fragst. Wenn mein Pferd nicht lahmen würde, wäre ich gar nicht dort gewesen. Ich hörte sie durch die Wand, wo die Latrinen sind. Sie beklagten sich über Julian und nannten ihn einen dummen Griechen. Er habe sie an der Nase herumgeführt und hätte besser bei seinen Büchern bleiben und das Kriegführen denen überlassen sollen, die etwas davon verstehen … Wie gesagt, sie haben ein kurzes Gedächtnis.«
»Alle Soldaten klagen gern. Geschieht dir recht, wenn du das Ohr an die Scheißhaustür drückst.«
»Ha, ha! Mach dich nur darüber lustig. Aber denk an meine Worte: Da braut sich was zusammen.«
In den folgenden zwei Tagen murrten die Männer bereits offener, und das machte Julian zu schaffen. Er ging nie auf die Launen einer Menge ein, aber er wollte gemocht werden. Seit seinen ersten Siegen hatten die Soldaten ihn verehrt. Sie stammten allesamt aus Gallien. Er hatte an ihrer Seite gekämpft, um ihre Häuser und Familien zu schützen, und nun wollten sie zurück in die Heimat.