Doch Julian war nicht in der Stimmung, sich abweisen zu lassen. Er schritt zu einer Frau, die auf einem niedrigen Schemel an einem Mahlstein saß. »Das!«, rief er, griff in den Korb und ließ die Körner durch seine Finger rinnen.
Aus den umstehenden Hütten kamen immer mehr bewaffnete Männer, stumm, aber drohend, mit Schwertern in den Händen – alte römische Schwerter, wie ich bemerkte. Der weißhaarige Häuptling machte eine unscheinbare Geste, und die Männer verharrten wie gut abgerichtete Hunde. Er musterte Julian mit scharfen, kobaltblauen Augen; dann räusperte er sich laut, bewegte den Mund und spuckte in den Schlamm.
»Was sollen wir essen, Römer, wenn du unser Getreide mitnimmst?«
»Ich verlange nur einen Teil von dem, was ihr habt. Ich werde es euch doppelt zurückzahlen. In Getreide oder in Gold. Mein Wort darauf.«
Unter den Männern erhob sich Gemurmel. Sie verstanden also Latein, wenn sie wollten.
Der Häuptling musterte uns. Er musste erraten haben, dass wir allein und folglich in der Unterzahl waren. Vielleicht wog er ab, ob er uns als Geiseln nehmen oder wegen der Rache, die gewiss folgen würde, besser darauf verzichten sollte. Vielleicht stellte er aber auch den persönlichen Mut, den wir bewiesen, über alles; so wurde es den Germanen nachgesagt.
Auf jeden Fall gab seine Miene nichts preis.
»Gold können wir nicht essen«, wandte er ein.
»Dann sollt ihr Getreide bekommen.«
»Und werdet ihr daran noch denken, wenn ihr wieder fort seid? Ich glaube es nicht.«
»Ich werde daran denken.«
Der Häuptling blickte Julian lange forschend an, wie ein Mann, der die Miene eines Fisches zu durchschauen versucht. Julian hielt dem Blick ruhig stand. Angespannte Stille herrschte. Schließlich hob der Greis mit unvermuteter Kraft seinen Eichenstab, zeigte zum Himmel und redete in seiner Sprache zu den Umstehenden. Von den jungen Männern kam unzufriedenes Gemurmel, das er mit einer Armbewegung abschnitt.
Dann wandte er sich Julian zu. Er lächelte nicht, doch unter den buschigen weißen Brauen sah man eine Spur Belustigung.
»Ihr sollt euer Getreide haben«, beschied er.
Bis wir ins Lager zurückkehrten, regnete es. Derweil hatte sich die Neuigkeit herumgesprochen, und eine beschämte Abordnung von Soldaten wartete vor Julians Zelt.
Es waren zu viele, als dass sie alle ins Zelt hineingepasst hätten; deshalb empfing er sie draußen und stand mit ihnen im Regen. Er hätte sie mit zu dem Dorf nehmen sollen, sagten sie tadelnd; er habe sein Leben für sie aufs Spiel gesetzt. Wie könne er sich in solche Gefahr begeben und sie zurücklassen?
Es gab Tränen und Umarmungen, und hernach reichte Julian jedem Mann eine Münze aus seinem spärlichen Besitz. Es war nicht mehr als ein Pfand, doch als die Männer sich zum Gehen wandten, drängte plötzlich jemand nach vorn. Es war Gaudentius. Mit lauter, diensteifriger Stimme verkündete er: »Es verstößt gegen das Gesetz, wenn ein Cäsar den Soldaten Sonderzahlungen gewährt.«
Julian drehte sich um und musterte Gaudentius mit verwundertem Blick. Auch die abziehenden Männer auf dem regennassen, morastigen Platz hielten inne und starrten. Ein anderer hätte Gaudentius verhaften und davonzerren lassen, doch Julian hatte so wenig vom üblichen Hochmut der Mächtigen, dass ihm wohl nicht einmal der Gedanke kam.
»Sonderzahlungen?«, wiederholte er. »Was redest du da? Die Münze reicht kaum für eine Rasur.« Er wählte einen milden Ton, wollte den Vorfall verharmlosen. Doch Gaudentius, dumm, wie er war, blieb energisch. Die Höhe der Summe sei unerheblich, erklärte er, und er sei verpflichtet, das Geld zurückzunehmen.
»Man verlangt ein Geschenk nicht zurück!«, rief Julian, dessen Stimme nun lauter wurde. »Hast du den Verstand verloren?«
Von einem ungesunden Selbstvertrauen beseelt, begann Gaudentius, ein Gesetz zu zitieren, aber Julian schnitt ihm das Wort ab. »Beim Hades, was fällt dir ein, dich einzumischen? Glaubst du, ich brauche einen Paragraphenkrämer, der mir erklärt, wie ich meine Pflichten zu erfüllen habe?« Er musterte Gaudentius aus schmalen Augen. »Warte mal, ich kenne dich doch … Ich habe dich in Paris gesehen. Du bist einer von Florentius’ Leuten, nicht wahr? Was hast du hier zu suchen?« Als Gaudentius zur Antwort ansetzte, fuhr Julian ihn an: »Schweig! Florentius kann nicht einmal seine eigenen Pflichten erfüllen. Da lasse ich mich von ihm – oder von dir – über meine Pflichten nicht belehren!«
Er wandte sich ab. Die Aussöhnung mit den Soldaten auf diesem morastigen Flecken in Nordgallien war verdorben; trotzdem ließ Julian die Sache auf sich beruhen. Doch als er davonging, rief Gaudentius ihm hinterher: »Du hast keine Befugnis! Das Geld muss zurückgegeben werden!«
Julian blieb stehen. Alle starrten ihn an, selbst der alte Severus, den kaum noch etwas überraschen konnte.
Langsam drehte Julian sich um. Sein Blick schwenkte zu den Soldaten, denen er die Münzen geschenkt hatte und die jetzt gespannt und offenen Mundes abwarteten.
»Schafft mir diesen Mann aus den Augen!«, befahl Julian. »Gebt ihm ein Pferd und schickt ihn zurück zu seinem Herrn. Sorgt dafür, dass er noch heute verschwindet – wenn es sein muss, mit dem Schwert.«
Dann ging er mit steinerner Miene zu seinem Zelt und schlug beim Eintreten heftig die Lederklappe zur Seite.
Wir rückten an die große Barriere des Rheins vor, und dort traf endlich die Nachschubkolonne ein, persönlich begleitet von Florentius.
Er wurde von mir in Empfang genommen, da Julian am Morgen ausgeritten war, um die Bootsbrücke zu begutachten, die er zur Überquerung des Flusses bauen ließ. Ich schickte einen Boten und wartete mit dem Präfekten in dem verlassenen Bauernhaus, das Julian als Quartier benutzte.
Florentius stand mit langem Gesicht schweigend da und tippte ungeduldig mit den Sohlen seiner Kalblederstiefel auf den Steinboden. Zwischendurch fiel mir auf, dass er Zeit gefunden hatte, sich Locken brennen und frisieren zu lassen. Aus Höflichkeit versuchte ich ein Gespräch anzufangen und erkundigte mich nach seiner Reise und ähnlichen Dingen. Doch er antwortete nur knapp, als wäre ich einer seiner Sklaven, und bald gab ich es auf und verfiel in unbehagliches Schweigen. Inzwischen war mir klar, dass Gaudentius ihm Bericht erstattete, und wenn ich mich nicht in ihm täuschte, hatte er die Geschichte kräftig ausgeschmückt.
Nach einiger Zeit waren draußen Stimmen zu hören. Julian kam hereingepoltert, gefolgt vom Hauptmann der Pioniere sowie Oribasius und Severus. Stiefel und Mantel waren schlammbespritzt, und er hatte einen Fleck an der Stirn, wo er sich mit dem Handrücken den Schweiß abgewischt hatte. Er sah aus, als wäre er über die gesamte Uferböschung geklettert – was er vermutlich auch getan hatte, da er nicht zu den Männern gehörte, die schmutzige Arbeit nur anderen auferlegen. Er war ein wenig außer Atem, und sein Enthusiasmus war noch immer zu spüren. Er lächelte sogar.
»Du bist persönlich gekommen«, sagte er freundlich.
Florentius erwiderte das Lächeln mit eisigem Blick. »Wie könnte ich anders? Die Sache sei dringend, wurde mir gesagt.«
»Ja, das ist wahr. Trotzdem danke ich dir, dass du dich hierherbemühst.«
Es folgte eine unangenehme Pause. Schließlich räusperte Julian sich und erkundigte sich nach Dingen, die er bestellt hatte – Pökelfleisch und Zwieback, Amphoren mit Öl und Wein, neue Brustpanzer und verschiedene Bauwerkzeuge.
»Dazu kann ich nichts sagen«, fiel Florentius ihm streng ins Wort, »das wirst du den Quartiermeister fragen müssen. Ich befasse mich nicht mit unbedeutenden Einzelheiten. Was mich vielmehr interessiert ist die Meldung, dass du vorhast, über den Rhein auf germanisches Gebiet vorzudringen. Ich hoffe, das ist ein Missverständnis. Aber ich fürchte, es ist keines, nicht wahr?«
»Ganz recht. Die germanischen Stämme haben unsere Schiffe geplündert. Sie haben den Rhein unpassierbar gemacht.«